Hagen/Herdecke. Prof. Tobias Esch forscht an der Universität Witten/Herdecke zum Thema Glück – und verrät 5 Tipps, wie wir das Glücksempfinden beeinflussen.

Hat dieser Mediziner das Rezept zum Glücklichsein? Professor Tobias Esch (53) hat sich als Leiter des Instituts für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung der Universität Witten/Herdecke der Forschung zum Thema Glück verschrieben und in wissenschaftlichen Untersuchungen herausgefunden, wann und warum wir im Leben am glücklichsten sind – und wie sich Glück erreichen lässt. Die Ergebnisse überraschten ihn sogar selbst. Ein Gespräch über Geld, Ekstase und inneren Frieden.

Menschen streben nach Glück und Zufriedenheit. Wie erreicht man das, Professor Esch?

Vornehmlich, das zeigt unsere Forschung, indem wir älter werden.

Das müssen Sie erklären!

Es gibt im Leben drei Phasen. Statistisch betrachtet sind wir im Alter am glücklichsten.

Wie kann das sein? Ist nicht die Zeit als Jugendlicher und junger Erwachsener die aufregendste und tollste, weil alles zum ersten Mal passiert?

Wir hatten selbst nicht mit diesen Ergebnissen gerechnet. Aber Phase A, die bis etwa zum 30. Lebensjahr dauert, ist vor allem geprägt von Vorfreude. Wir wollen etwas haben, bewegen uns auf etwas zu, erleben Extase, Thrill, Lust. Glück ist in dieser Phase etwas sehr Körperliches.

Wo ist der Haken?

Die Glücksmomente dieser Phase sind zwar sehr eindrücklich, aber auch sehr flüchtig und vergänglich. Das heißt: sie halten nicht lange an, es sind Momente. Wir hangeln uns von einem Glücksmoment zum anderen.

Und danach wird alles besser?

Nein. Zwischen 30 und 59 folgt Phase B, in der sich Glück nochmal völlig anders definiert. Das ist eine Phase, in der man zu viel auf dem Schreibtisch liegen hat, in der das Haus gebaut und abbezahlt wird, die kleinen Kinder nicht schlafen, die ersten Konflikte in der Partnerschaft auftreten und Burnout am häufigsten auftritt.

Das klingt furchtbar.

Vielleicht, aber es ist das „Tal der Tränen“, durch das wir offenbar durch müssen. Man wünscht sich in dieser Zeit nicht mehr hin zu etwas, sondern sogar weg von all dem. Glück ist die Erleichterung darüber, wenn das Unglück eine Pause einlegt, wenn die Bedrohung wenigstens von einer Seite nachlässt.

Was macht Hoffnung?

Dass es wieder besser wird. Denn statistisch gesehen sind wir im Alter am glücklichsten. Wir haben uns etwa gegen die Gefahren des Lebens durchgesetzt und können die Schutzschilde langsam herunterlassen: die Kinder sind aus dem Haus, die Partnerschaft gerettet oder die Scheidung vollzogen. Wir wollen nirgendwo mehr hin, wir wollen aber auch nicht weg. Wir sind genau richtig dort, wo wir gerade sind: angekommen bei uns, zufrieden und dankbar. Phase C. Dieser innere Frieden ist die Königsdisziplin des Glücks, weil es von Dauer ist. Das ist keine romantisierte Sicht auf die Dinge, sondern das Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit.

Arzt und Glücksforscher: Tobias Esch leitet an der Universität Witten/Herdecke das Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung (IGVF).
Arzt und Glücksforscher: Tobias Esch leitet an der Universität Witten/Herdecke das Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung (IGVF). © [.WP..] | Christian Hilgers, Lukas Schulze

Sie waren selbst überrascht von diesen Ergebnissen?

Wir hatten die theoretische Annahme zwar getroffen aufgrund neurobiologischer Befunde, hatten aber nicht daran geglaubt, dass sie in der Praxis wirklich zutreffend sein würde. Unser Bild vom Alter hatte schließlich mit Verdrießlichkeit zu tun, mit Einsamkeit, mit Geiz, mit Schmerzen durch nachlassende Gesundheit. Und obwohl die Gesundheit nachlässt, sind wir im Alter doch am zufriedensten. Wir sprechen daher jetzt auch vom „Zufriedenheitsparadoxon“. Die nächste Generation zieht für mich in den Kampf – und das hier ist mein Vermächtnis.

Warum interessiert Sie das Glücklichsein so?

Ich bin von Haus aus Mediziner und habe schnell festgestellt, dass es Menschen gibt, die trotz einer objektiv herausfordernden Lage erstaunlich zufrieden und glücklich sein konnten. Ich wollte wissen, warum jemand strahlend lächeln kann, obwohl die Ergebnisse aus dem Labor dagegen sprechen – und ob das nicht vielleicht einen Einfluss auf eine mögliche Heilung hat.

Was macht denn glücklich?

Wenn man sich anschaut, wie Menschen leben, die eine hohe Zufriedenheit aufweisen, dann finden wir neben dem wichtigsten Faktor, dem Älterwerden, fünf weitere Faktoren. Erstens: Jeder braucht eine Aufgabe, das Gefühl, etwas auf dieser Erde zu erledigen zu haben. Das kann der Beruf sein, ein Hobby, die Familie. Wichtig ist nur: Diese Aufgabe wird mit Haut und Haaren erledigt. Wenn es der Beruf ist, dann schauen wir dabei nicht zwingend auf die Uhr.

Die Generation Z bedankt sich gerade bei Ihnen.

Was ich sagen will: Für den Fall, dass diese Aufgabe im Beruf gefunden wird, dann ist das mehr als ein Ort, wo man Geld verdient, dann ist man mit Leidenschaft dabei. Neben dem Aufgehen in einer Aufgabe ist aber auch wichtig, Dinge loslassen zu können. Umstände, die nicht mehr sind, gehen lassen zu können: den Partner, die Gesundheit, die Kinder, den Job, den alten Wohnort. Je älter wir werden, desto besser erlernen wir das. Drittens: Etwas zu geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, zum Beispiel im Ehrenamt, als Vater, als Nachbar, als Freund.

Was noch?

Glaube. Mittlerweile weniger im Sinne eines religiösen Glaubens als eine Art Verbundenheit mit etwas Höherem: das kann ein Gott sein, aber auch die Natur oder die Familie. Da schließt sich direkt der fünfte Aspekt an: die Liebe – liebevolle Beziehungen. Dass man sich eingebettet und verbunden fühlt. Diese fünf Punkte zusammen münden in etwas, das ich lieben kann, das mich befähigt, mich der Beziehung mit der Welt hinzugeben. Aber auch den Körper sollte man nicht vernachlässigen.

Das bedeutet?

Bewegung macht glücklich, Entspannung, Achtsamkeit, Meditation, ein Gebet, guter Schlaf nicht zu vergessen, das ist nachgewiesen. Sieben bis acht Stunden jede Nacht sollten es schon sein. Eine gesunde Ernährung und Genuss sind ebenfalls gut fürs Glücklichsein.

Was ist mit Geld und Erfolg?

Das wird gerade wieder ganz heiß diskutiert. Die Reise zum Glück ist auch eine Emanzipation vom Konsum hin zu etwas Dauerhaftem. Geld ist nicht unwichtig. Wenn man in den Phasen der Bedrohung die Mittel hat, die Bedrohungen abzuwehren, dann ist das sicher hilfreich. Aber die Bedeutung von Geld nimmt mit dem Lebensalter ab – zumindest solange die Grundbedürfnisse abgedeckt sind. Allerdings…

Ja?

Ich frage mich, ob uns die Corona-Pandemie nicht gelehrt hat, dass plötzlich alles aus den Fugen geraten kann. Und ob da nicht im Hinterkopf bei vielen eine Stimme ist, die sagt: Sieh‘ zu, dass du ein Polster hast, damit du auf das, was du heute noch nicht kennst, reagieren kannst.

<<< ZUR PERSON >>>

Prof. Dr. Tobias Esch (53) studierte Humanmedizin an der Georg-August-Universität in Göttingen, in Penang (Malaysia) und Aarau (Schweiz), dazu Studium Generale an der Uni Göttingen, wo er auch über ein zelluläres Stressmodell in der experimentellen Gesundheitsforschung promovierte. Er ist Autor mehrerer Bücher, u.a. veröffentlichte er gemeinsam mit dem Arzt und Fernsehmoderator Dr. Eckart von Hirschhausen „Die bessere Hälfte: Worauf wir uns mitten im Leben freuen können“.