Nachrodt-Wiblingwerde. Der NRW-Verkehrsminister verspricht vor Ort Tempo. Doch Regen und Kälte sind entscheidend. Und dann droht auch noch eine Klage.
Oliver Krischer stapft durch den Matsch. Die Sonne scheint, aber der Boden in Ufernähe ist aufgeweicht. Das Fundament der Lennebrücke im Hintergrund ist es auch. Seit Freitag versperren Baken und Gitter das Bauwerk; es ist sogar für Fußgänger gesperrt. Der NRW-Verkehrsminister von den Grünen kommt am Sonntag extra ins Sauerland, um das nächste Brückendesaster in Augenschein zu nehmen.
Sein Wochenende hat er sich wohl anders vorgestellt. Den Menschen in Nachrodt-Wiblingwerde geht es ähnlich, ihr Ort ist jetzt zerschnitten, der Stau in den nächsten Wochen programmiert. Er habe absolutes Verständnis für den Frust, sagt Krischer, „weil natürlich die Menschen den Eindruck haben, da bröselt die Infrastruktur weg“.
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Ja, das tut sie. In der von der A-45-Sperrung gebeutelten Region ist nun ein weiteres Brückenbauwerk in die Knie gegangen. Und die Autobahn soll frühestens in zwei Jahren wieder für den Verkehr freigegeben werden. Was kommt da noch? Ein paar Anwohner stellen sich an die Brücke, schütteln die Köpfe.
THW und Feuerwehr im Dauereinsatz
Im Hintergrund bauen die Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks die Behelfsbrücke über die Lenne zusammen. Sie kommen aus allen Teilen Nordrhein-Westfalens, am Samstag schieben etwa 100 Leute Dienst, am Sonntag 80. „Hier geht keiner weg, bevor die Senioren nicht wieder zum Arzt und die Kinder in die Schule gehen können“, sagt Michael Kling, Kreisbrandmeister des Märkischen Kreises.
Er weiß, was es für die Menschen bedeutet, dass der Ort urplötzlich in zwei Teile zerschnitten wurde. Kling kommt aus Nachrodt-Wiblingwerde. Krischer und alle anderen Politiker aus dem Bundes- und dem Landtag bedanken sich für den tollen Einsatz von Feuerwehr und THW. Aber davon wird die richtige Brücke auch nicht schneller fertig. Landrat Marco Voge (CDU) steht auch im Matsch; er wiederholt seine Forderung nach einem Infrastrukturgipfel. In Kürze werde er in dieser Angelegenheit tätig, sagt er dieser Zeitung.
Am Fluss stehen Strömungsretter der Feuerwehr bereit. Die Lenne hat an dieser Stelle ein ganz schönes Tempo drauf. Auch deswegen ist das Bauwerk ja marode. Das Weihnachtshochwasser hat Pfeiler und Fundament erneut angegriffen. Jetzt sind Risse aufgetreten, die Standsicherheit sei nicht mehr gewährleistet, sagt Steffen Scholz von Straßen-NRW, der sich sein Wochenende sicher auch anders vorgestellt hatte.
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Eine „akute Einsturzgefahr“ bestehe jedoch nicht, sagt er, die Sperrung sogar für Fußgänger sei eine Vorsichtsmaßnahme. Jetzt dauere es zwei, drei Wochen, bis Fundament und Pfeiler stabilisiert werden können. Zu kalt werden darf das Wasser dafür aber nicht - und weniger werden muss es. Der Wasserstand muss um ganze 70 Zentimeter sinken, damit die Arbeiten beginnen können.
Anwohner stellt sich quer gegen Neubau
Krischer betont gleich dreimal, dass dieses Brückendesaster nichts mit der Verkehrsbelastung zu tun habe, sondern eben das Hochwasser die Ursache sei. „Den Anwohnern und den Unternehmern hier ist das völlig egal“, ruft ein Bürger dem Gast zu und fordert ihn auf, Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) ins Sauerland zu schicken, damit die mal sehen könne, was hier gerade los sei. „Die Unternehmen packen das nicht mehr lange“, sagt er. Auch von politischen Auseinandersetzungen, wer wann wo im Rat etwas blockiert oder beschleunigt hat, möchten die Menschen hier nichts mehr hören. Sie wollen nur von einem Ortsteil in den anderen gelangen können.
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Der Minister verspricht mehr Tempo, aber gegen Recht und Gesetz könne er auch nichts ausrichten. Tatsächlich ist die 150 Jahre alte Lennebrücke nämlich ein Spezialfall. Seit Jahren steht fest, dass sie erneuert werden muss; ein zeitaufwändiges Planfeststellungsverfahren läuft; Krischer kündigt den entsprechenden Beschluss noch für dieses Jahr an. Allerdings hat ein Anlieger, dem in der Region ziemlich viele Grundstücke gehören, offenbar etwas gegen den Neubau. Er will sogar klagen, heißt es im Ort, und er sei für gute Argumente nicht zugänglich. Mit dieser Redaktion möchte er nicht sprechen, seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Egal, in Nachrodt-Wiblingwerde kennt ihn sowieso jeder. Krischer sagt, er sei zu einem Gespräch mit dem Anlieger bereit.
Ob der jedoch ausgerechnet mit einem Grünen sprechen möchte, ist fraglich. Vermitteln wollen aber auch andere, zum Beispiel der CDU-Bundestagsabgeordnete Paul Ziemiak, der ebenfalls gekommen ist. Auch er dürfte sich sein Wochenende anders vorgestellt haben - so wie die Helfer vom THW und die Menschen in Lüdenscheid und Umgebung. Die aber müssen schon seit mehr als zwei Jahren ständig umplanen.