Schmallenberg. Seit 10 Jahren verursachen freilebende Wisente Schäden in den Wäldern des Sauerländers Georg Feldmann-Schütte. Dabei hat er vor Gericht gewonnen.

In 580 Metern Höhe ist die Welt in diesem Moment für Georg Feldmann-Schütte noch in Ordnung. Der 62-Jährige steht unter Buchen, die einst sein Urgroßvater gesetzt hatte, und scheint die Natur förmlich einzuatmen. „Diese Ruhe hier oben“, schwärmt er und bestätigt die alte Weisheit, dass der Wald Körper und Seele gesund hält. Wenn da nicht die freilebenden Wisente aus dem Wittgensteiner Artenschutzprojekt wären.

Auch an diesem Baum haben Wisente die Rinde geschält Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services
Auch an diesem Baum haben Wisente die Rinde geschält Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

„Schauen Sie sich das an“, sagt der Waldbauer aus Schmallenberg-Oberkirchen und zeigt auf die Buchenstelle in eineinhalb Metern Höhe, an der ein großes Stück Rinde fehlt. Feldmann-Schütte zufolge in der vorvergangenen Woche geschält von Wisenten.

2013 kamen die ersten Wisente

Wenn man so will, feiert der Sauerländer ein Jubiläum. Ein trauriges: Seit zehn Jahren knabbern die Wisente Buchen - mittlerweile auch Weichhölzer wie Kastanien oder Weiden – in seinem Privatwald an und zerstören so generationenübergreifenden Waldbestand. „Ich habe den Eindruck, dass die Wisente nicht nur wegen der Mineralien an die Rinde gehen, sondern auch aus Langeweile“, sagt der Unternehmer. Und: „Wenn das so weiter geht, habe ich irgendwann gar keine Buchen mehr.“

Zwei Monate nachdem die ersten Wisente in Wittgenstein feierlich in die Natur entlassen wurden – 2013 unter Schirmherrschaft des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Rüttgers – standen die ersten Bullen und Kühe in Feldmann-Schüttes Wäldern. Gemäß den Projektvorgaben sollten die Tiere in Wittgenstein bleiben. Doch schnell zeigten die Kolosse, dass sie nicht nur einen großen, sondern auch einen eigenen Kopf haben, der nicht unbedingt mit menschlichen (Wunsch-)Vorstellungen kompatibel ist.

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Seitdem sind die Wisente zum juristischen Streitfall geworden. Die Klagen von Feldmann-Schütte und seinem Waldbauer-Kollegen Hubertus Dohle gegen den Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein (kurz: Wisentverein) haben schon den Bundesgerichtshof, das Oberlandesgericht Hamm und das Landgericht Arnsberg beschäftigt. Zuletzt wurde dem Wisentverein per Urteil aufgetragen, dafür zu sorgen, dass die Tiere nicht mehr die Grundstücke der beiden Waldbauern betreten.

Wisentverein erklärt Tiere als herrenlos

Seit Herbst 2022 fühlt sich der Wisentverein nicht mehr zuständig, hat die einst von ihm ausgesetzten Tiere eigenmächtig als herrenlos erklärt. „Was ist das für ein Rechtsstaat, wenn man Recht zugesprochen bekommt, aber dieses nicht umgesetzt wird?“, fragt Feldmann-Schütte. Ja, sagt er, bei ihm herrsche große Verdrossenheit.

Waldbauer Feldmann-Schütte hat noch keine Entschädigungszahlungen für 2022 und 2023 erhalten, wie er sagt.
Waldbauer Feldmann-Schütte hat noch keine Entschädigungszahlungen für 2022 und 2023 erhalten, wie er sagt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Denn seitdem der Wisentverein für sich das Kapitel abgeschlossen hat, fließen auch keine Entschädigungszahlungen mehr. Mit Projektbeginn war auch mit Landesmitteln extra ein Fonds eingerichtet worden. Das Verfahren: Waldbauern mussten Schälschäden beim Wisentverein melden, ein Gutachter legte die Schadenshöhe fest, dann flossen Gelder.

„Der Wisentverein hat uns mitgeteilt, dass jetzt die Untere Naturschutzbehörde des Hochsauerlandkreises zuständig sei. Doch die wissen nichts von ihrem Glück“, sagt Feldmann-Schütte und schüttelt einmal mehr den Kopf. „Ich habe für 2022 und 2023 noch keine Gelder erhalten. Es müssten schon 15.000 Euro zusammengekommen sein.“

Runder Tisch soll Lösungen bringen

Der eine spielt dem anderen den Ball zu. Diesen Eindruck muss der Waldbauer gewinnen – und der könnte auch bei Presseanfragen entstehen. Bernd Fuhrmann, Bürgermeister von Bad Berleburg und 1. Vorsitzender des Wisentvereins, mag Fragen nach der Regulierung von Schäden, nach Maßnahmen zur Verhinderung von Wisent-Besuchen in Privatwäldern und der Größe der Herde nicht beantworten. Er verweist darauf, dass der vom Kreistag des Kreises Siegen-Wittgenstein initiierte Runde Tisch zur Wisent-Problematik bis zum „Ende der Gespräche Stillschweigen vereinbart“ habe.

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Der Kreis Siegen-Wittgenstein betont ebenfalls die „Vertraulichkeit“. Das NRW-Umweltministerium weist darauf hin, „dass der Trägerverein verantwortlich für das Projekt“ sei, „und das beinhaltet auch die Annahme der Schadensmeldungen. Wir als Land beteiligen uns an dem entsprechenden Entschädigungsfonds. Ihre Fragen zur Abwicklung kann daher nur der Verein bzw. der Kreis Siegen-Wittgenstein beantworten.“

Sechs Kälber auf Handy-Video zu sehen

Und täglich grüßt das Murmeltier – so in etwa dürfte sich Georg Feldmann-Schütte im falschen Film wähnen. Oder in einer TV-Reihe: „Aktenzeichen XY… Ungelöst“. Die Herde, so steht es im öffentlich-rechtlichen Vertrag zum Wisentprojekt, darf nicht größer als 25 sein. „Eine letzte - uns bekannte - Zählung der Tiere“, so eine Sprecherin des Kreises Siegen-Wittgenstein, habe im März stattgefunden. „Damals wurden 30 Tiere verzeichnet. Da inzwischen aber weitere Tiere geboren sein dürften, ist die Zahl inzwischen sicher höher.“

Georg Feldmann-Schütte startet auf seinem Handy ein im Juni in seinem Wald aufgenommenes Video. Darauf sind sechs Kälber zu sehen. „Mittlerweile ist die Herde auf 35 bis 40 Wisente angewachsen“, sagt er.

Auch Weihnachtsbaumkulturen betroffen

Wanderer berichteten am Donnerstag von 15 Tieren am großen Heidkopf bei Schmallenberg-Jagdhaus. „Das Problem“, so Feldmann-Schütte: „Je mehr unterwegs sind, umso mehr Schälschäden.“ Darüber hinaus ließen sie sich mittlerweile auch Setzlinge schmecken oder trampelten Pflanzen in seinen Weihnachtsbaumkulturen kaputt.

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Zurück zum Buchenwald in 580 Metern Höhe: Gutachter haben zahlreiche geschädigte Rotbuchen markiert. 50 Meter von dem frischen Schaden findet sich ein besonderer „Tatort“: Eine Buche ist Mitte Juli umgekippt. Sie sollte 130 Jahre alt werden.

Fäulnispilze auf Holzkörpern

Feldmann-Schütte zeigt auf eine Sollbruchstelle und erklärt: „Durch das Schälen der Rinde war der Holzkörper freigelegt. Fäulnispilze haben sich daran gemacht und die Statik so geschädigt, dass der Baum bei einem Sturmgewitter umgekippt ist.“ Eigentlich sollte der Baum eines Tages an die Möbel-, Parkett- oder Spanplattenindustrie gehen – jetzt taugt ein nicht unerheblicher Teil nur noch als Brennholz.

Diese durch Wisent-Knabbereien geschädigte Buche ist bei einem Gewittersturm gekippt.
Diese durch Wisent-Knabbereien geschädigte Buche ist bei einem Gewittersturm gekippt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Was ist zu tun? Kürzlich hat Feldmann-Schütte beim Landgericht Arnsberg einen Antrag auf Kostenvorschuss für eine Ersatzmaßnahme in Höhe von 180.000 Euro gestellt. Er beruft sich auf einen Passus in dem Ende 2021 vorgestellten Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover zum Wisentprojekt. Darin wird vorgeschlagen, Hirten einzusetzen.

Auf dem Quad als Wisent-Hirte?

„Wir müssten eine Dienstleistungsfirma beauftragen, die darauf aufpasst, dass die Tiere nicht auf meine Grundstücke laufen – und sie gegebenenfalls verscheuchen.“ Mitarbeiter, die auf lauten Quads durch den ruhigen Wald düsen, wie es in Medienberichten hieß? „Könnte sein“, sagt Feldmann-Schütte.

Ende September will der Runde Tisch seine Ergebnisse vorstellen. Was erwartet der Waldbauer? „Hm“, sagt er, „schon komisch, dass der von den ehemaligen NRW-Umweltministern Heinen-Esser und Remmel geleitet wird. Die haben es während ihrer Dienstzeit nicht geschafft, Lösungen zu finden.“

Feldmann-Schütte befürchtet, dass wieder einmal eine Entscheidung vertagt wird. „Im Grunde will keiner mehr die Tiere haben und man sucht einen eleganten Abgang für das Projekt.“ Aber niemand wolle seinen Kopf dafür hinhalten. „Vielleicht nehmen die uns Waldbauern als Bauernopfer, weil wir geklagt haben. Ich habe Angst davor, am Ende der Bösewicht zu sein.“