Soest/Olpe. Wütende Bürger stoppen die Pläne einer Flüchtlingsunterkunft in Arnsberg. In Soest und Olpe gibt es je eine. Wie die Erfahrungen dort sind.
Die Besorgnis erregenden Sätze sagt Eckhard Ruthemeyer in ruhigem Ton. „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich für die Menschen verändert, deswegen hat sich die Bereitschaft zur Offenheit verändert.“ Kurze Pause. „Die Bürger fragen sich zuerst: Was wird aus mir? Wenn die AfD auf mehr als 20 Prozent im Land kommt, dann ist das ein Indikator für die Stimmung im Land.“
Fall Oeventrop löst bundesweite Aufmerksamkeit aus
Ruthemeyer, 62 Jahre alt, CDU-Mann, ist Bürgermeister von Soest. Jener 45.000-Einwohner-Stadt, die in Südwestfalen die größte Flüchtlingsunterkunft beherbergt. Kapazität: 1800 Menschen. Auslastung: zuletzt sehr hoch. Ruthemeyer und seine Stadt spielten zuletzt eine Rolle bei einer Angelegenheit, die sich in Arnsberg-Oeventrop abspielte und bundesweite Aufmerksamkeit hervorrief.
Die Bürger des 6000-Einwohner-Ortes stoppten mit wütendem Protest die Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft -- und dies auch mit dem Hinweis auf Soest, auf Ruthemeyer, auf seinen Brandbrief an die NRW-Integrationsministerin im Frühjahr, in dem er schilderte, welche Folgen die Zentrale Unterbringungs-Einrichtung (ZUE) für die Stadt hat.
Wegen der ZUE? Steigende Kriminalitätszahlen in Soest
„Wir sehen uns nach wie vor als überlastet an: Nach Deutschland kommen zu viele Flüchtlinge zu schnell“, sagt Ruthemeyer. Seit vergangenem Jahr steigere sich der Zustrom wieder. Er wiederholt, was er in seinem Brief schrieb: „Zum Ende des vergangenen Jahres und zu Beginn des neuen haben wir steigende Kriminalitätszahlen festgestellt. Vor allem Ladendiebstahl hat zugenommen.“
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Zudem gebe es – auch unter dem Einfluss von Alkohol – Prügeleien der Geflüchteten untereinander im Bahnhofsbereich. „Anhand der Adressen, an die die Anzeigen gehen, sehen wir, dass Bewohner der ZUE überproportional oft vertreten sind. Und wenn dann größere Menschengruppen auf der Straße unterwegs sind, dann beeinflusst das das allgemeine Sicherheitsgefühl.“ Es gäbe daher „auch kritische Äußerungen in die Richtung der Geflüchteten“.
Der größte Ortsteil von Soest hat weniger Einwohner als die ZUE
2015, während der ersten großen Flüchtlingswelle, hatte sich Soest bereiterklärt, die ehemalige Kanaal-van-Wessem-Kaserne – unweit der Innenstadt gelegen – zur Verfügung zu stellen. Nicht ganz uneigennützig: Das brachliegende Gelände wurde durch die Millionen des Bundes wieder instandgesetzt und soll nach der auf zehn Jahre angelegten Nutzung als Unterkunft (bis 2028) für die Stadt entwickelt werden. „Allerdings war immer die Geschäftsgrundlage, dass wir durchschnittlich 500 Menschen in normalen Zeiten dort unterbringen“, sagt Ruthemeyer. Daher habe es damals einen Grundkonsens im Rat gegeben und keinen großen Widerstand – anders als in Oeventrop.
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Doch infolge des Ukraine-Kriegs seien nicht nur die 1200 Plätze in den Gebäuden belegt gewesen, sondern auch die 600 Betten in den Zelten auf dem früheren Exerzierplatz. Die Menschen aus der Ukraine seien wieder ausgezogen – die Unterkunft aber noch immer fast voll, sagt Ruthemeyer. „Wenn man überlegt, dass unser größter Ortsteil Ampen 1600 Einwohner hat, dann sind 1800 auf der kleinen Fläche der ZUE und in Zelten zu viele Menschen auf zu wenig Raum.“
Integrationsministerin: ZUE in Soest wird verkleinert
Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) kam nach dem Brandbrief nach Soest und versprach Hilfe. Seit Dienstag hat Ruthemeyer schriftlich: Die Zelte werden bis zum Jahresende abgebaut. „Ich bin der Ministerin dankbar, dass sie sich an ihr Versprechen hält“, sagt Ruthemeyer, der aber weiß, dass das Problem damit nur verlagert wird. „Die Möglichkeiten auch in Südwestfalen sind begrenzt“, sagt er, „ich befürchte, dass zum Herbst hin die eine oder andere weitere Kommune die weiße Fahne hisst.“
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Einrichtungen wie jene in Oeventrop, die für 450 Menschen vorgesehen war und sich nahe eines Wohngebietes befindet, seien den Bürgern derzeit kaum zu vermitteln. „Wir bräuchten eine Begrenzung der Zahl der Menschen, die aufgenommen werden – für Europa, für Deutschland, für jede Stadt und Gemeinde. Dazu fehlen derzeit aber die rechtlichen Rahmenbedingungen“, sagt Ruthemeyer.
Je kleiner die Einheit, desto größer die Akzeptanz beim Bürger
Daher spricht er sich für kleinere Einheiten aus. „Das Problem ist dann nur die Wirtschaftlichkeit“, sagt er. „Je kleiner die Einheit, desto teurer ist die Struktur pro Platz“, so Ruthemeyer. „Ich sehe aber keine Alternative dazu, um die Akzeptanz bei den Bürgern zu steigern.“
Die kleinste Unterbringungseinheit in Südwestfalen steht in Olpe. Zur Zeit beherbergt das Regenbogenland, eine ehemalige Familienferienstätte des Kolpingwerks, rund 300 Menschen. Der Mietvertrag zwischen der Stadt Olpe, die das Gelände kaufte, und der Bezirksregierung läuft bis 2030. „Wir hatten spürbaren Widerstand vor allem von direkten Nachbarn“, sagt Olpes Bürgermeister Peter Weber (CDU) zu den Anfängen im Jahr 2015. Eine Bürger-Initiative bildete sich, mit der es laut Weber einen konstruktiven Austausch gegeben habe. „Mittlerweile hat sich die Situation deutlich beruhigt. Die Einrichtung wird von den meisten akzeptiert.“ Das liege auch daran, dass es sich um eine vergleichsweise kleine Einrichtung handele. „Das ist der Knackpunkt für die Akzeptanz vor Ort.“
Wohnraum, Kita-Platz, Schule: Konkurrenz zu den Bürgern
Das heißt nicht, dass Weber nicht auch Herausforderungen sieht. Es brauche Wohnraum, der gerade in Olpe schwer zu finden sei, sowie Plätze in der Kita und der Schule. „Da entstehen Konkurrenzsituationen. Wenn Bürgerinnen und Bürger keinen Platz zugesprochen bekommen, weil den jemand belegt, der neu im Land ist, dann sorgt das für Unmut. An der Stelle braucht es größere personelle und finanzielle Unterstützung für die Kommunen durch Land und Bund.“
Die Geschehnisse in Oeventrop hat Weber natürlich verfolgt. Die Emotionen der Bürger dort könne er verstehen. Aber: „Ich mache mir Sorgen, weil es immer schwieriger wird, die Akzeptanz der Bürger nicht zu verlieren, wir aber die Probleme trotzdem lösen müssen.“
„Abschiebungen funktionieren in der Praxis nicht“
Wie das gehen kann? „Wir müssen schon auf europäischer Ebene ansetzen. Es braucht eine klare Linie“, sagt Weber. Heißt für ihn: „Wer verfolgt wird, muss Hilfe bei uns bekommen. Wer aber kein Recht hat hier zu sein, muss wieder gehen.“ Die Erfahrung aber zeige, „dass Abschiebungen in der Praxis nicht funktionieren, weil die Mitwirkung der aufnehmenden Länder oder der betroffenen Personen zu wünschen übrig lässt. In der Konsequenz müssen wir also dazu kommen, dass Personen, die kein Bleiberecht haben, an der Grenze zurückgewiesen werden müssen.“