Siegen/Bad Berleburg. Alles noch mal auf Anfang: Die Ex-Minister Remmel und Heinen-Esser sollen bis September den Wisentstreit beenden. Die Hürden dafür sind hoch.
Der Runde Tisch soll es richten und Frieden schaffen. Die europäischen Bisons im Rothaargebirge bleiben umstritten. Sie spalten die Menschen in Südwestfalen in zwei Lager: Wisentgegner und Wisentfreunde. Die wilden Wisente wissen nichts davon. Sie tun das, was Wildrinder eben tun – sie streifen weiter durch die Wälder am Rothaarkamm, grasen und schälen auch weiter Buchen.
Um den Streit zu beenden, der im März 2013 vor fast zehn Jahren mit der Auswilderung der ersten Tiere in Bad Berleburg begann, sollen nun von den ehemaligen Umweltministern Ursula Heinen Esser (CDU) und Johannes Remmel (Grüne) Gegner und Befürworter, politische Entscheider und Experten gemeinsam an den Runden Tisch geholt werden.
Lösungsmöglichkeiten
Wie dieser Konflikt gelöst werden kann, das ist noch völlig offen. Es kann sowohl mit einem „weiter so“ für die dann herrenlosen Wisente enden als auch mit einem „Weg damit“, wenn sich weder juristisch noch politisch eine Lösung abzeichnet. Aber das sind nur die beiden extremen Pole. In einem Gutachten der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover werden bereits unterschiedliche Lösungen skizziert. Diese reichen von der letalen Entnahme - also der Tötung - über eine Gatterung, einer Lenkung der freien Herde durch gezielte Vergrämung aus „No-go-Areas“ - bis zu Lenkungsfütterungen.
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Zuletzt hatte die Siegener Universitätsprofessorin Dr. Klaudia Witte mit einer Idee für Aufsehen gesorgt: Sie will die Wisente mit dem Summen von wildgewordenen Insekten, Wespen oder Hornissen aus den Waldgebieten der Wisentgegner verscheuchen. Wisentfreunde, greifen nach diesem Strohhalm, Wisentgegner schütteln nur mit dem Kopf.
Die Frage der Herrenlosigkeit ist entscheidend
Allerdings bietet eine rechtlich noch ungeklärte Frage auch Raum für ein „weiter so“: Wenn die bislang nur einseitig vom Trägerverein erklärte „Herrenlosigkeit der Herde“ juristisch anerkannt wäre, dann müssten Waldbauern die Schälschäden dulden und könnten wie bisher lediglich auf Erstattung hoffen. Der vom Trägerverein verpflichtete Hamburger Rechtsanwalt Rüdiger Nebelsieck pocht auf die Herrenlosigkeit und unterlegt die Schutzwertigkeit der Tiere mit dem EU-Naturschutzrecht. Experten sind sich aber einig, dass das Thema Herrenlosigkeit selbst Potenzial für einen neuerlichen, sehr langen Rechtsstreit hätte, währenddessen sich an der Situation der freien Herde nichts ändern könnte. Somit bliebe die Thematik Schälschäden ein Dauerbrenner.
Sowohl Johannes Remmel als auch Ursula Heinen-Esser haben sich auf Nachfrage dieser Redaktion ganz bewusst nicht zum Runden Tisch oder ihrer Motivation, die Moderation zu übernehmen, geäußert. Eine weise Entscheidung, denn in den vergangene Jahren wurden alle politischen Äußerungen auf die Goldwaage gelegt.
Neutralität wahren
Um alle entscheidenden Konfliktparteien an einen Tisch zu holen, ist größtmögliche Neutralität das Gebot der Stunde, heißt es aus Insiderkreisen. Zwei Dinge bringen sowohl Remmel als auch Heinen-Esser mit: Sie haben das Thema Wisente „geerbt“. Denn als die Idee Anfang der 2000er Jahre entstand, waren beide noch nicht im Amt. Allerdings begleiten beide Minister das Projekt zusammengenommen seit 2010 in den wichtigsten und schwierigsten Phasen. Remmel war vom Juli 2010 bis Juni 2017 im Amt, Heinen Esser von Mai 2018 bis April 2022. Die Sachkenntnis darf also vorausgesetzt werden. Beide sind als ehemalige CDU- bzw. Grünen-Minister auch bestens in der aktuellen NRW-Landesregierung vernetzt. Rückendeckung des Landes ist sicher auch ein Faktor.
Bilder- Wisentprozess vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe
An der Basis also am Rothaarkamm stößt der Plan eines Runden Tisches aktuell aber auf ein geteiltes Echo. Während der Kreistag Siegen-Wittgenstein nicht nur eine kreative Lösung für die Beauftragung der Winterfütterung der Wisente gefunden hat. Er hat den Förderverein des Projektes beauftragt und konnte damit den Trägerverein umgehen, der aktuell jede Verantwortung für eine aus seiner Sicht herrenlose die Herde ablehnt. Der Kreistag Siegen-Wittgenstein hat auch diesen Runden Tisch beschlossen.
Harte Gegner
Auf der anderen Seite des Rothaarkamms im Kreishaus in Meschede bleibt man hart. Im Gespräch mit der Zeitung hatte Landrat Karl Schneider (CDU) die sofortige Beendigung des Wisent-Projektes durch das Land NRW gefordert und an den amtierenden Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) geschrieben. Und ins Horn der klagenden Waldbauern stößt inzwischen mutmaßlich auch die Stadt Schmallenberg – die möchte wie die Waldbauern aus Oberkirchen ein Betretungsverbot für ihre Flächen geltend machen. Sie beruft sich damit auf den rechtsgültigen Spruch des Oberlandesgerichtes Hamm, der den Waldbauern Georg Feldmann-Schütte und Hubertus Dohle das Recht zu billigt, den Trägerverein für jedes Wisent auf seinem Grund und Boden zur Rechenschaft zu ziehen.
Wie verzwickt die rechtliche Lage für die Wisentfreunde ist, zeigt sich auch daran, dass am 27. Februar vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg ein bislang ruhendes Verfahren eines weiteren Waldbauern wieder aufgenommen wird. Auch dessen Anwalt Hans-Jürgen Thies verweist auf das OLG-Urteil.
Der Runde Tisch muss versuchen Chancen und Bedingungen für Kompromisse auszuloten. Die Zeit drängt - im September soll ein Ergebnis präsentiert werden.