Schmallenberg. Im Mai erklärte sich Schmallenberg für überlastet, nahm keine Flüchtlinge mehr auf. Wie angespannt ist die Lage noch? Zu Besuch im Hochsauerland.

Sie sind gerade angekommen, hier, in Schmallenberg-Grafschaft, auf dem Wanderparkplatz. Gelbes Nummernschild, Fahrräder auf dem Autodach, Touristen aus den Niederlanden...

Auch Swetlana Maruschtschak ist neu hier. Sie und ihre Kinder stehen in der Nähe des Wanderparkplatzes vor einem Fachwerkhaus. Sie führt allerdings kein Sommerurlaub ins Hochsauerland, sondern der Krieg in ihrer ukrainischen Heimat. Sie haben keine Fahrräder dabei, sie sprechen kein Deutsch, sie müssen sich noch einfinden und einrichten, suchen etwa einen Kinderwagen. Die Unterkunft, in der sie seit kurzem untergebracht sind, wird derzeit für weitere Flüchtlinge hergerichtet. Und damit ist man gleich beim Thema.

Schmallenberg ist eine der Kommunen, die bei der Versorgung von Flüchtlingen SOS gefunkt, im Mai eine sogenannte Überlastungsanzeige bei der Bezirksregierung Arnsberg gestellt hat. Schmallenberg? Diese pittoreske und schuldenfreie Kleinstadt im Herzen des Hochsauerlandes mit einer Arbeitslosenquote von 2,8 Prozent, die momentan etwa 660 zu versorgende Flüchtlinge angibt. Doch auch sie konnte nicht mehr.

Was bedeutet es, wenn eine solche Stadt temporär in die Knie geht? Und wie ist die Lage heute, zweieineinhalb Monate danach? Das Flüchtlingsthema ist ein sensibles, und deshalb war auch etwas Überzeugungsarbeit erforderlich, aber dann hat sich Bürgermeister Burkhard König doch bereit erklärt zu einem Vor-Ort-Termin. An einem Vormittag im Juli steht er nun mit Ulrich Hesse, dem Leiter des Sozialamts, vor einer neuen Flüchtlingsunterkunft, in der auch Familie Maruschtschak untergebracht ist, während zwei Hausmeister unter anderem damit beschäftigt sind, Duschvorhänge in der umfunktionierten Pension zu installieren.

Neu in Schmallenberg: Swetlana Maruschtschak mit ihren Kindern Maria (l.), Wacja (r.) und Nakar.
Neu in Schmallenberg: Swetlana Maruschtschak mit ihren Kindern Maria (l.), Wacja (r.) und Nakar. © FUNKE Foto Services | Patricia Geisler

Im Mai SOS gefunkt

Nichts ging mehr im Mai, als Schmallenberg von der Bezirksregierung in Arnsberg für die Dauer von vier Wochen ein Zuweisungsstopp gewährt wurde, weil die Stadt keinen Wohnraum mehr für weitere Flüchtlinge hatte. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben, sagt die Bezirksregierung. Wenn sich eine Kommune für überlastet erklärt, müsse sie ihr Kontingent dennoch erfüllen, nur verzögert. Bürgermeister König spricht deshalb von einer „temporären Entlastung, um das Wohnraumproblem zu lösen“.

Sie haben dann diese ehemalige Pension im Ortsteil Grafschaft gemietet, in Nachbarschaft zum alten Kloster, in dem heute ein Fachkrankenhaus untergebracht ist. Wiese, Bäume, Ruhe. Viele Fachwerkhäuser drumherum. Ein schönes Fleckchen Erde. Hier hat die Stadt Schmallenberg jetzt 25 Plätze mehr für Flüchtlinge. Für fünf Jahre. Was das kostet, möchte der Bürgermeister nicht verraten. Könnte Gerede befördern. Dazu später mehr.

Im Ortsteil Fleckenberg hat die Stadt zudem eine Unterkunft in Fertigbauweise und Holzoptik für 40 Personen errichtet (die Hälfte der Plätze sei schon wieder belegt), in Bad Fredeburg ein kleines Hotel mit 60 Plätzen gemietet. Problem also gelöst? Jein.

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Diese ehemalige Pension in Grafschaft hat die Stadt Schmallenberg für fünf Jahre gemietet. Hier wohnt seit kurzem auch Swetlana Maruschtschak mit ihren Kindern.
Diese ehemalige Pension in Grafschaft hat die Stadt Schmallenberg für fünf Jahre gemietet. Hier wohnt seit kurzem auch Swetlana Maruschtschak mit ihren Kindern. © FUNKE Foto Services | Patricia Geisler

Weitere Engpässe: Kindergärten, Schulen, Sprachkurse

Monatlich bekämen sie etwa 35 Zuweisungen, bis zum Jahresende haben sie wohl ausreichend Unterbringungsmöglichkeiten, sagt Sozialamtsleiter Ulrich Hesse. Aber es geht ja bei der Versorgung von Flüchtlingen nicht nur darum, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu besorgen. „Plätze in Kindergärten und Schulen, das ist die nächste Stelle, an der es eng werden kann“, sagt Hesse.

Oder die medizinische Versorgung, angesichts der geringeren Arztdichte auf dem Land auch nicht so einfach. Oder Sprachkurse. Gerade die sind ein Engpass.

Drei Integrationskurse würden bei ihnen angeboten, mit insgesamt 60 Plätzen. Die seien voll belegt, und auf der Warteliste stünden noch mal fast 60 Personen, berichtet Hesse. Manche Flüchtlinge benötigen Alphabetisierungskurse, in denen sie lesen und schreiben lernen. Die jedoch würden in Schmallenberg nicht angeboten, dafür im 35 Kilometer entfernten Meschede. Für Integration braucht‘s Teilhabe. Aber was, wenn’s keine freien Plätze gibt?

1,7 Millionen Euro für zwei Unterkünfte

König und Hesse beginnen aufzuzählen, aus welchen Ländern inzwischen Menschen in Schmallenberg angekommen sind: Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Mongolei, Nordmazedonien, Ägypten, Indien, Albanien, Nigeria. 35 Prozent der Flüchtlinge seien Ukrainer. Wie Swetlana Maruschtschak mit ihren Kindern Maria, Wacja, Nakar.

All diese Menschen müssen in Schmallenberg versorgt werden. Die neue Container-Unterkunft im Ortsteil Fleckenberg koste 800.000 Euro, und die Preise steigen, berichtet König. Für eine baugleiche Anlage in Grafschaft, die in Planung ist, liege man schon bei 900.000 Euro. Über die Finanzlage seiner schuldenfreien Stadt sagt König: „Es gibt Städte, die sind deutlich schlechter aufgestellt.“ Welche Herausforderung ist die Flüchtlingsversorgung dann erst für die?

Eine neue Flüchtlingsunterkunft in Fleckenberg: Hier finden 40 Menschen Platz, die Hälfte der Plätze sind bereits belegt.
Eine neue Flüchtlingsunterkunft in Fleckenberg: Hier finden 40 Menschen Platz, die Hälfte der Plätze sind bereits belegt. © FUNKE Foto Services | Patricia Geisler

Ängste und Vorbehalte in der Stadt

Das Finanzielle ist jedoch nur ein Aspekt. Ein anderer: der soziale Frieden. König berichtet von Ängsten und Vorbehalten in seiner Stadt, die bislang nicht als Migrationshotspot bekannt war. Aktuell kommen etwa 660 Flüchtlinge auf insgesamt 25.700 Einwohner in den 84 Ortsteilen, aus denen sich Schmallenberg zusammensetzt. Bis zum Jahresende rechnen sie mit bis zu 200 weiteren Flüchtlingen. In der Kernstadt Schmallenberg (6300 Einwohner) beträgt der Anteil der Flüchtlinge an der Bevölkerung aktuell gut drei Prozent. In Oberhenneborn (450) sind es zehn, in Bödefeld (1100) etwa 7,5 Prozent. Das kann zu viel sein. „Die Skepsis der Bevölkerung, wenn eine neue Einrichtung aufgestellt wird, ist deutlich zu spüren“, sagt der Bürgermeister.

Bürgermeister Burkhard König zeigt eine der Wohnungen in der ehemaligen Pension in Schmallenberg-Grafschaft, in der nun Flüchtlinge untergebracht werden.
Bürgermeister Burkhard König zeigt eine der Wohnungen in der ehemaligen Pension in Schmallenberg-Grafschaft, in der nun Flüchtlinge untergebracht werden. © FUNKE Foto Services | Patricia Geisler

Mit Bürgerversammlungen – wie am Montagabend in Bad Fredeburg – versuche man, die Bevölkerung mitzunehmen. Auch bemühe man sich, keine Ghettos entstehen zu lassen, die Flüchtlinge auf die vielen Ortsteile zu verteilen. Es muss aber auch alles Sinn machen. Mit 303 km² ist Schmallenberg die flächenmäßig größte kreisangehörige Gemeinde in NRW. Wer hier kein Auto hat, sitzt mitunter auf dem Land fest. Das ist auch für manchen Flüchtling kein Wunschlos.

Von „kleineren Ausnahmen“ abgesehen sei in den Flüchtlingsunterkünften aber bisher nichts Gravierendes passiert, auch die Diskussionen mit den Einheimischen seien noch nicht eskaliert. „Aber es wird schon schwieriger, Flüchtlinge unterzubringen“, stellt König fest.

Flüchtlinge werden „Dauerthema bleiben“

Er findet, dass es „Grenzen gibt“ bei der Aufnahmefähigkeit seiner Stadt wie der des ganzen Landes. Politisch Verfolgte müsse man aufnehmen, aber es gebe auch viele Wirtschaftsflüchtlinge, sagt der CDU-Politiker, der nicht daran glaubt, dass der Zulauf an Flüchtlingen mittelfristig nachlässt, auch erst einmal nicht durch die geplanten EU-Grenzverfahren. Die Flüchtlingssituation, sagt König, „wird ein Dauerthema bleiben.“

Mit drei neuen Flüchtlingsunterkünften und einer vierten, die im September fertig sein soll, haben sie sich in Schmallenberg eine Atempause verschafft. Mehr wohl nicht. Deshalb schauen sie sich weiter um, wie sie die Kapazitäten erweitern können. Was bleibt ihnen anderes übrig.