Büren. CDU-Chef Friedrich Merz hat die Zuwanderung als Schlüsselthema ausgemacht, gerade im Kampf gegen die AfD. So reagiert die Basis in der Region.

Die meisten wirken zufrieden, aber allen kann es Friedrich Merz nicht recht machen. Der Klub der Enttäuschten hat diesmal dreifachen Zuwachs erhalten.

Da ist – am Flughafen Paderborn-Lippstadt, wo die CDU im Rahmen der Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogrammes eine Regionalkonferenz inklusive Publikumsdiskussion abhält – zum einen der nuschelnde Mann, der sich mit seinem Anliegen an Merz wohl über die seiner Meinung nach unfaire Behandlung vor Gericht von Vätern im Trennungsfall beklagt. Da ist zum anderen der Mann, der in einem etwas wirren Vortrag irgendeinen (angeblichen) Missstand in irgendeiner kommunalpolitischen Causa anprangert. Beiden kann CDU-Parteichef Merz nicht helfen, weil es sich a) um persönliche Schicksale oder b) um Fälle handelt, von denen er keine Kenntnis hat.

Dann ist da schließlich der dritte Unzufriedene. Dessen Begehr – es geht um die „kleinen Paschas“ – könnte Merz erfüllen. Das will er aber nicht, und vielleicht darf man diese Reaktion als Ausdruck dafür werten, dass der Sauerländer einen neuen Kurs fährt – beziehungsweise: (s)einen Kurs wiederentdeckt hat. Ist die Zeit des „ängstlichen Mittelwegs des CDU-Vorsitzenden“ (FAZ) vorbei? So wirkt es auf dieser Mitmachveranstaltung der CDU mit dem Parteichef, über den ein Teilnehmer hinterher sagt: „Das war heute Merz zum Anfassen.“

Merz lehnt Entschuldigung ab

Der Merz zum Anfassen, der auch der Merz zum Anecken sein kann, stellt sich nach seiner gut 30-minütigen Rede einer Fragerunde, in der auch ein Mann mit Migrationshintergrund ans Mikrofon schreitet. Er stellt sich als Vertreter des Sportvereins SC Aleviten Paderborn vor und fordert in perfektem Deutsch und sehr sachlich eine Entschuldigung von Merz für dessen Aussage aus dem Januar über Schüler mit Migrationshintergrund, die sich wie „kleine Paschas“ benähmen. „Das war eine Beleidigung für die erste Generation (der Einwanderer, d. Red.), die unser Land mit aufgebaut hat“, sagt der Mann.

Buhrufe, Pfiffe aus dem Publikum, auf die der Fragesteller mit dem Hinweis reagiert, das sei ja nun kein Ausdruck von Toleranz. Die nächsten Fragen werden gesammelt, dann antwortet Merz.

Die Forderung nach einer Entschuldigung erfüllt er nicht. Applaus vieler Zuhörer. Im Übrigen, sagt Merz noch, sei die Formulierung über die „kleinen Paschas“ gar nicht seine Wortschöpfung, sondern gehe auf eine Begegnung mit zwei Lehrerinnen aus dem Hochsauerlandkreis zurück. „Die haben mir gesagt, sie werden mit diesen Leuten einfach nicht mehr fertig, sowohl mit den Schülern als auch mit den Eltern.“ Er habe diese Äußerung dann nur weitergetragen, und das werde er auch in Zukunft so handhaben, wenn „Lebenssachverhalte“ von Bürgern an ihn herangetragen würden. „Das“, findet Merz, „gehört zur Politik dazu.“

Viele treibt das Thema Zuwanderung um

Was zur Politik der CDU gehört, das ist eine der Fragen, die sie hier in Büren zusammengeführt hat. Die Christdemokraten arbeiten an einem neuen Grundsatzprogramm. Regionalkonferenzen wie die in Ostwestfalen sind Teil des Prozesses. 90 Prozent der Teilnehmer seien CDU-Mitglieder, für die Veranstaltung gab es mehr als 1000 Anmeldungen, heißt es. Die, die gekommen sind, können sich an der Diskussion beteiligen, teils über ihre Smartphones. Als „sehr gut“ bezeichnet das CDU-Mitglied Bernhard Arens aus Medebach die Konferenz. Der 72-Jährige sagt: „Ich bin zufrieden mit ihm.“

Gemeint ist Merz. Was zu seiner Politik gehört, auch das haben sich viele in den vergangenen Monaten gefragt. Für die einen, nicht zuletzt für Konservative in Südwestfalen, war es bisher zu wenig Merz. Für andere, auch in der CDU, ist es mit Merz meist zu viel Merz.

Auf die Vorlagen, die der 67-Jährige am Samstag liefert, reagieren die meisten Anwesenden immer wieder mit Applaus. Merz, für den der Auftritt nahe seiner Sauerländer Heimat ein Heimspiel ist, kommt hier an. „Die Leute müssen wissen, wofür die CDU steht. Da ist Klartext gut“, sagt etwa Robin Lintemeier, 27, Vorsitzender der Jungen Union Höxter. Er ist der, der fand: Das war heute Merz zum Anfassen.

Eine ältere Dame findet: Merz sei moderat gewesen

Viele treibt das Thema Zuwanderung um. Als Merz unter anderem die Ampel auffordert, nicht jede Kritik der Union als „rechts zu diffamieren“, da ist der Applaus der Zuhörer besonders groß.

Als er später vom Podium kommt, gibt sich der Parteichef volksnah. Ein älterer Herr hat ein Buch über Merz dabei („Der Unbeugsame“). Wie bei einer Signierstunde. Eine mittelalte Dame, die von ihrer mittelalten Begleiterin als „Merz-Fan“ vorgestellt wird, ist extra von der Ostsee angereist. Wie Groupies.

Karin G., die ihren Nachnamen wie ihr genaues Alter („um die 70“) lieber für sich behält, kommt hingegen aus der Region. Sie ist CDU-Mitglied, wie die meisten hier schon etwas älter und wie die meisten hier mit Merz ziemlich zufrieden. Sie sei ja ebenfalls sehr direkt, deshalb findet sie es „gut“, wenn der Chef Klartext spricht. Wobei, „heute war er sehr moderat“.

Nun ja. Der Oppositionsführer im Bundestag vertritt teils bekannte Positionen, etwa die, dass sich Leistung lohnen müsse, oder die, dass die Grünen die Menschen umerziehen wollten. Teils attackiert er die Ampel massiv, insbesondere für die geplante, aber erst mal gescheiterte Reform des Heizungsgesetzes. Teils wird er grundsätzlich, beschwört demokratische Gepflogenheiten. Einmal setzt er auch auf Ironie.

Die Kritik an der Ampel, die mache ihm nur „begrenzt“ Freude. Andererseits, aufgrund der Steilvorlagen des oft streitenden Dreierbündnisses, falle es der Union nicht besonders schwer, Opposition zu sein. „Wir haben eher die Qual der Wahl, mit was wir anfangen sollen“, sagt er.

Elfmeter muss man nutzen, auch in der Politik.

Merz: „Die Probleme verschärfen sich“

Natürlich geht es auch diesmal um den anderen politischen Gegner, Merz hat ihn sogar zum „Feind“ erklärt: die AfD. Der CDU-Chef will sie kleinmachen, indem man das Thema Zuwanderung/Integration anspreche und anpacke. Dieses treibt nicht nur Unions-Anhänger um. Merz sagt, dass es für zwei Drittel der Sympathisanten der AfD das Hauptmotiv sei, die Rechtsaußenpartei zu unterstützen. Und auch hier soll der Ton offensichtlich klarer werden.

„Wenn sich Probleme verschärfen, dann muss man auch deutlicher darüber sprechen. Und die Probleme verschärfen sich im Augenblick“, sagt Merz im Gespräch mit der Westfalenpost über seinen Kurs und erklärt: „Wir haben es mit einer massiven Zuwanderung in unsere Sozialsysteme zu tun, wir haben es mit massiven Problemen der Inneren Sicherheit zu tun, zum Teil aus diesen Gruppen. Und wir haben es mit einer Verschlechterung der Wirtschaftslage zu tun. Dazu muss die Opposition Stellung nehmen. Wer denn sonst?“

Die (neue) Klarheit des Friedrich Merz, die Kritiker als Kopie des AfD-Tons werten, soll nun wohl dafür sorgen, dass die Unzufriedenen die CDU als Alternative (wieder)entdecken.

„Wir müssen noch deutlicher unsere Alternativen zur Regierungspolitik anbieten und kommunizieren, noch deutlicher sagen, dass wir bessere Ideen haben als diese Koalition. Wir werden aber niemals in diesen Sprachgebrauch (der AfD, d. Red.) eintreten, wir werden niemals diese Fremdenfeindlichkeit damit verbinden und wir werden schon mal gar nicht eine solche außenpolitische Haltung gegenüber Russland, den USA und Israel teilen, wie es diese Partei tut“, sagt Merz.

Die kommenden Monate, unter anderem mit den Landtagswahlen in Bayern und Hessen (8. Oktober), werden zeigen, ob der CDU-Chef diesen Kurs fortsetzt und mit ihm nicht nur in der Heimat Erfolg hat. Entweder ist er dann für seine Partei der Merz zum Anfassen – oder der Merz zum Loslassen.