Hagen. Immer mehr E-Autos und Co., und immer mehr Windkraft und Solar: Jetzt gibt es eine Prognose, wie groß der Bedarf im Westen sein wird. Die Zahlen.

Mehr E-Autos, mehr Wärmepumpen, für die Strom gebraucht wird. Mehr Wasserstoff, für dessen Herstellung ebenfalls viel Elektrizität notwendig ist. Das alles soll es schon bald geben. Doch geht die Rechnung auf? Gibt es genug Strom und kann der auch verteilt werden? Zum künftigen Verbrauch und zu den produzierten Strommengen gibt es jetzt erstmals eine Prognose für die „Region West“, zu der auch Südwestfalen gehört.

Und die zeigt: Es wird erhebliche Verschiebungen geben. Die Erzeugung durch Windenergie wird sich demnach bis zum Jahr 2045 verdreifachen, die aus Photovoltaik sogar verachtfachen. Auf der anderen Seite wird der Bedarf der Industrie enorm steigen, aber auch der des Verkehrs und im Zuge der Digitalisierung auch bei den Rechenzentren.

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Erstellt haben dieses so genannte „Regionsszenario West“ insgesamt 29 Verteilnetzbetreiber, darunter auch der größte, die Westnetz GmbH, die unter anderem auch das Netz in Weiten Teilen des Sauerlandes oder des Kreises Siegen-Wittgenstein betreibt. Aber auch das Hagener Unternehmen Enervie oder AVU aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis. Das Gebiet, das in diesem Regionalszenario untersucht worden ist, ist weitaus größer als die Region, umfasst neben Nordrhein-Westfalen auch Rheinland-Pfalz und das Saarland sowie Teile von Niedersachsen, Hessen und Bayern.

Das Ziel: Bis 2045 Klimaneutralität

Der Rest von Deutschland ist in fünf weitere Regionen eingeteilt - und auch diese haben nun bis Ende Juni solche Regionsszenarien entwickeln müssen. Der Grund: Diese Prognose soll die Grundlage für die weitere Planung sein: Wie müssen sich die Stromnetze in der Fläche verändern, damit bis 2045 Klimaneutralität entstehen kann? Das Gesamtnetz hat dabei Ähnlichkeiten mit dem Straßennetz: Dort gibt es Autobahnen, Bundesstraßen und Straßen, auf denen ein Tempo von 50 oder 30 Stundenkilometern gilt.

Im Stromnetz gibt es analog dazu die nationale Höchst-, Hoch-, Mittel- oder Niederspannungsebenen – und eben das Übertragungs- und Verteilnetz. Für die „Stromautobahnen“ gibt es bereits einen Netzentwicklungsplan. Erst im Juni hatten Pläne der Firma Amprion für eine neue Nord-Süd-Trasse, die auch das Sauerland tangieren könnte, für Schlagzeilen gesorgt. Und auch die Höchstspannungsleitungen von Dortmund bis nach Rheinland-Pfalz, die unter anderem durch Hagen, den Kreis Olpe und das Siegerland führen, stoßen bei Betroffenen vor Ort auf Protest.

Strom aus Biomasse wird eher rückläufig sein

Bei dem Verteilnetz, quasi den Bundes-, Land-, Kreis-und Gemeindestraßen, gibt es bislang dagegen noch keinen Masterplan. Der soll nun aber kommen. Das Energiewirtschaftsgesetz aus dem Frühjahr 2022 schreibt das vor - und tatsächlich ist die ambitionierte Frist von gut einem Jahr für die nun vorliegende Prognose für Verbrauch und Erzeugung von Strommengen von den großen Verteilnetzbetreibern eingehalten worden. „Die Zahlen zeigen einmal mehr, wie wichtig vor allem der Ausbau der Verteilnetze ist“, so Patrick Wittenberg, Geschäftsführer der Westnetz GmbH. „Die Basis für eine erfolgreiche Energiewende ist und bleibt das Verteilnetz. Das wird in der öffentlichen Diskussion oft vergessen.”

Einige markante Erkenntnisse aus dem Szenario (siehe Grafiken):

  • Die Stromerzeugung in der Region West wird sich nach der Prognose erheblich steigern, sogar mehr als verdreifachen: Von knapp 36 auf 116 Gigawatt im Jahr 2045.
  • Haupttreiber wird nach der Prognose Photovoltaik sein, die 77,5 Gigawatt von der Gesamtmenge ausmachen wird. Die Windenergie sorgt demnach „nur“ für knapp 28 Gigawatt.
  • Auch interessant: Die Stromerzeugung aus Biomasse wird nach dem Szenario zurückgehen. Diese lohne sich nicht mehr vor dem Hintergrund einer geänderten Förderkulisse.
  • Der Verbrauch wird sich auf der anderen Seite auch mehr als verdoppeln. Hier wird von den Experten eine andere Maßeinheit verwendet: Terawattstunde pro Jahr (TWh/a), so dass man beide Posten (Erzeugung/Verbrauch) nicht 1:1 vergleichen kann. Absolut wird die Industrie im Jahr 2045 den höchsten Stromverbrauch haben: Mit rund 133 TWh/a – derzeit sind es 81.
  • Bei Privathaushalten wird der Verbrauch eher zurückgehen, da mehr stromsparende Geräte eingesetzt werden. Es steigt dagegen der Bedarf beim Heizen wegen der Wärmepumpen – und auch ganz massiv im Verkehr durch die E-Mobilität. Dort wird fast achtmal so viel Strom gebraucht. Aber die größte Steigerung wird in einem Bereich erwartet, der manche überrascht: bei Rechenzentren. Die Digitalisierung der Gesellschaft erfordert eine Menge Strom.

Bürgerproteste werden nicht erwartet

Wie genau nun die Verteilnetze, also die Stromnetze in der Fläche, vor Ort zwischen Städten und Dörfern, ausgebaut werden müssen, um diesen Veränderungen standhalten zu können – das steht noch nicht fest. Die Betreiber haben nun ein weiteres Jahr Zeit, um hier einen Masterplan vorzustellen. Die Prognose zu Erzeugung und Verbrauch liefert dafür nun die Grundlage.

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Dass es dabei zu ähnlich großen Protesten kommen wird, wie stellenweise beim Ausbau der Amprion- Höchstspannungsleitungen, befürchtet die Westnetz GmbH nicht: Es werde in den allermeisten Fällen um Ersatzneubauten gehen, bei denen die Trassenführung bestehen bleibe. Dabei würden dann Maststandorte teilweise optimiert, aber am Ende seien es auch oft weniger Masten, da die modernen Masten leistungsfähiger seien. Es werde zudem eine frühzeitige Bürgerbeteiligung geben.

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