Gevelsberg. Wegen des Personalmangels drohen Volksfesten große Veränderungen. Zu Besuch in der bunten Welt der Schausteller auf der Gevelsberger Kirmes.
Er ist ein Mann, trotz dieses Handicaps aber „multitasking-fähig“, sagt Dirk Wagner. Und dann legt er los in seinem kleinen Kassenhäuschen auf dem Kinder-Karussell.
Links vor ihm auf dem Tisch steht eine Münzbox, aus der er immer wieder Wechselgeld holt. In der Schublade auf Bauchhöhe parkt er die Geldscheine, die er nach Noten sortiert. Mit einer Hand gibt er die hellblauen Fahrchips aus und startet mit der anderen alle paar Minuten die nächste Runde seines Fahrgeschäfts auf der Gevelsberger Kirmes. Ein Knopfdruck, ein Warnton, „so, Vorsicht bitte, es geht los“, sagt er dann in das Mikrofon, das rechts am Tisch installiert ist und auf Mundhöhe vor ihm hängt. Dazu beantwortet der Schausteller Dirk Wagner noch die Fragen der Kunden, und erstaunlich oft muss er Zahlende erinnern, dass sie ihr Wechselgeld vergessen haben. „Da sage einer, Kirmes wär’ so teuer“, kommentiert der 57-Jährige, nachdem er mal wieder einem nachgerufen hat: „Sie kriegen noch Geld zurück.“
Montagnachmittag, Gevelsberger Kirmes, eines der größten Volksfeste in der Region. Familientag, in allen Fahrgeschäften reduzierte Preise. Es ist viel zu tun für Dirk Wagner und seine zwei Mitarbeiter, die auf dem Karussell „Kinder-Traum“ Fahrchips einsammeln und für Sicherheit sorgen. Zufrieden ist der Chef dennoch nur sehr bedingt. Die Geschäfte liefen bisher sehr mäßig, in der ganzen Saison. Energiekrise, Inflation, Kundenzurückhaltung, behördliche Auflagen, Wetter, Pech, was so alles angefallen ist. Hinzu kommt ein Problem, das man eher mit anderen Branchen verbindet, das offensichtlich aber auch vor der sehr speziellen Schausteller-Welt nicht Halt macht: der Personalmangel.
Vielen Volksfesten drohen große Veränderungen.
Ein Fahrendes Volk
„Es geht los, neue Runde. An der Seite bitte aufgepasst.“ Bevor Dirk Wagner, vierte Generation einer Schausteller-Dynastie aus Hagen und Chef des Schaustellervereins in seiner Heimatstadt, sich weiter zur Lage der Schausteller-Nation äußert, reißt er einen Witz. Eine Gruppe Männer in blauen Kitteln und mit roten Halstüchern rückt auf das Bierrondell nebenan vor. „Das ist der Gevelsberger Kirmesverein. Der hat immer Durst“, sagt Wagner ins Mikrofon, so dass es alle hören. Auch die Mitglieder des Kirmesvereins. Kleiner Scherz, man kennt sich.
Wagner ist seit fast vier Jahrzehnten als selbstständiger Schausteller tätig. Er bestätigt, dass man kein Personal bekomme. Die Mitarbeiter – viele kämen aus Polen oder Rumänien – fahren meist mit den Schaustellern, die oft als Familienbetriebe tätig sind, monatelang durchs Land. Ein Leben auf Achse. Arbeiten, wenn andere frei und Spaß haben. Auf einem ohnehin umkämpften Arbeitsmarkt sind das nicht die attraktivsten Bedingungen. Dazu kam Corona. Fast drei Jahre lang keine Volksfeste. Also suchten sich viele Mitarbeiter neue Jobs und kamen nicht zurück. Dafür kam die Mindestlohnerhöhung (auf 12 Euro, soll bis 2025 auf 12,82 Euro steigen). Und Energiekrise. Und Inflation. Die Wagners zogen – auch familiär- und altersbedingt – die Konsequenzen und ihr zweites Kirmes-Standbein, einen Meeresfrüchte-Wagen, aus dem Verkehr. Nach 37 Jahren.
Für den Fischimbiss war nicht zuletzt Dirk Wagners Frau Sabine zuständig. Sie kommt in Gevelsberg am Nachmittag mit dem zwölfjährigen Enkel beim Kinder-Karussell vorbei. Wie ihr Mann kritisiert sie Unzuverlässigkeit und Unfähigkeit eines Teils der jüngeren Generation, der harte Arbeit nicht leisten wolle. Familiär sieht das offenbar anders aus.
Leben im Wohnwagen oder Container
Ihre Tochter steht mit einem Asia-Imbiss weiter oben auf der Kirmes-Meile, der zwölfjährige Enkel helfe in den Ferien schon mal bei Opa aus. Die Familie kommt aus dem 20 Autominuten entfernten Hagen, übernachtet aber in Gevelsberg im Wohnwagen, der auf dem Kirchplatz geparkt ist. Die Mitarbeiter schlafen in Containern, vier mal vier Meter seien die groß, mit Toilette, Dusche.
Sie sind ein Fahrendes Volk, bleiben arbeitsbedingt oft unter sich. Sabine Wagner bezeichnet sich und die anderen als „Reisende“, Ehen von Schaustellern mit Außenstehenden als „die absolute Ausnahme“ und sagt: „Wir haben schon ein turbulentes Leben.“
Sie hadert noch immer mit dem Aus für ihren Meeresfrüchte-Wagen, in dem sie über die Jahrzehnte „mehr Zeit als Zuhause“ verbracht habe. Aber es habe eben keinen Sinn mehr gemacht.
Wegen Personalmangel: Schausteller sagen ab
Jetzt sind sie also noch mit ihrem Fahrgeschäft hier. 36 Plätze biete das für Kinder, in Feuerwehrwagen, Polizeiauto oder Donald-Duck-Wanne. Eineinhalb Minuten dauert eine Fahrt. Wenn 20 Plätze belegt sind, sei er zufrieden. Es gebe zu viele Karussells, zu viel Angebot, sagt Dirk Wagner. Andererseits berichtet er davon, dass seit einiger Zeit auf Volksfesten immer wieder Stellplätze für Fahrgeschäfte frei blieben. Kein Personal für Betrieb sowie Auf- und Abbau...
Auch deshalb würden viele Schausteller kleine Veranstaltungen meiden, sich stattdessen auf die großen Volksfeste konzentrieren. Die Stellplätze sind aber begrenzt, also erwartet Dirk Wagner einen Verdrängungswettbewerb. „Es wird ein Hauen und Stechen geben“, prophezeit er und erklärt: „Die arbeitsintensiven Geschäfte sterben nach und nach aus.“
Früher hingen Schilder an den Schaustellerbuden: Junger Mann zum Mitreisen gesucht. „Die hängt keiner mehr raus“, sagt Wagner. Lohnt sich nicht.
„Ich kann mir Mitarbeiter nicht leisten“
Weiter oben am Hang in der Gevelsberger Innenstadt steht die Becherwurf-Bude von Gilbert Lemoine. Der 41-Jährige hat Zeit für ein kurzes Gespräch. Ein Kumpel und sein zwölfjähriger Sohn helfen im Wagen aus. Lemoines Frau arbeitet auch hier, seine Schwiegereltern sind mit zwei Ständen auf der Kirmes, seine Schwiegermutter trifft man sogar gleich nebenan, in einer Softeis-Bude.
„Du kriegst kein Personal“, bestätigt Gilbert Lemoine, der ebenfalls aus einer Schaustellerfamilie kommt. Dann zählt er als Gründe für die Probleme unter anderem Corona, Mindestlohn, Platzmieten, Stromgebühren oder Einkaufspreise für die Trophäen auf, die Kunden bei ihm erringen können. Die Kosten seien enorm gestiegen. „Da kann ich mir Mitarbeiter nicht leisten“, sagt er.
Der Kumpel, der ihm helfe, mache das gratis. Ein Freundschaftsdienst. Lemoine hat noch einen Imbissstand. Den Wagen könne er aber nicht gleichzeitig mit seinem Becherwurf-Geschäft betreiben. Zu wenig Personal. „Ich bräuchte für beide Wagen sieben Leute. Wo willst du sieben Leute herkriegen?“, fragt Lemoine. Es ist eine rhetorische Frage.
Vor Dirk Wagners Kassenhäuschen auf dem Kinder-Karussell taucht irgendwann am Nachmittag eine ältere Dame auf, kauft sechs Fahrchips. „Sind die auch nächstes Jahr gültig?“, fragt sie. Ja, sagt der überraschte Wagner.
Vielleicht wird die Zukunft ja doch nicht so schlecht.