Herdecke. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wird die Klage von Herdecker Bürgern gegen die Stromtrasse Amprions verhandelt. Das Ergebnis betrifft viele.
Das Lachen ist keine Freude, sondern Sarkasmus. „Schauen Sie sich das an“, sagt Wolfgang Heuer: „Das ist, als ob man vor dem Eiffelturm steht.“ Was er meint, ist schwerlich zu übersehen: einen Strommasten hinter ihm, 87 Meter hoch. Der ist neu errichtet worden und steht auf dem Schraberg in Herdecke ganz in der Nähe eines Wohngebiets. „Das sind Monsterteile, die machen doch etwas mit den Menschen“, sagt Heuer: „Das ist doch nicht die Energiewende, das ist Quatsch.“
Dieser Masten gehört zur neuen Höchstspannungs-Stromtrasse (380 Kilovolt) des Netzbetreibers Amprion, die von Dortmund-Kruckel durch Südwestfalen bis nach Rheinland-Pfalz führen soll. Erbaut wird sie auf einer bereits bestehenden, aber weniger leistungsfähigen Trasse. Heißt: Höhere Masten, mehr Spannung – und mehr Beschwerden von Bürgern. Doch die haben es nicht leicht, weil es formal kein Neubau ist, sondern Ausbau.
Am Dienstag wird daher vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Klage von zwei Herdecker Bürgern gegen den ersten Abschnitt der Stromtrasse verhandelt. Wolfgang Heuer gehört zu den Frontmännern des Widerstands, er hat geholfen, die „Prozessgemeinschaft Herdecke unter Strom“ zu gründen, die zum Beispiel Spenden sammelte für den Gang vors Gericht. Mit Spannung wird der Prozess erwartet, nicht nur in Herdecke, denn er könnte das millionenschwere Großprojekt vorerst stoppen. Das sagt…
… der Standort Herdecke:
Konkret geht es in der Klage unter anderem darum, dass Amprion und die Bezirksregierung Arnsberg als Genehmigungsbehörde eine Beeinträchtigung des Wohnumfeldes ab einer Entfernung von nur 200 Metern von der Trasse nicht berücksichtigt hätten, was wegen der Ausmaße der Masten und der Besonderheiten der Wohngebiete am Hang ein schwerwiegendes Versäumnis sei.
Längst hätte der Termin in Leipzig stattfinden sollen: Für Dezember 2019 war er zunächst anberaumt, dann für April. Zeit, in der Amprion weiter an der Trasse arbeitete, weil ein entsprechender Passus in der Klageschrift fehlte. Bäume wurden gefällt, Masten aufgestellt, Stromleitungen gespannt.
Und das alles, obwohl der von Herdecker Seite beauftragte Gutachter Prof. Lorenz Jarass zu dem Ergebnis kam, dass der „geplante Netzausbau kohle-getrieben“ sei. Die Genehmigung der Bezirksregierung wurde 2018 erteilt, 2019 wurde der Kohleausstieg beschlossen. „Dass das Abschalten von Kohlekraftwerken keine Auswirkung auf das Netz haben soll, ist unglaubwürdig.“
Wolfgang Heuer wird selbst in Leipzig sein. „Wir haben die Hoffnung, dass das Ganze gestoppt wird oder zumindest soweit geändert wird, dass die Menschen hier damit leben können.“
… der Standort Hagen:
Von seinem Balkon aus, sagt Uli Höhne, seien bald die Masten der prägende optische Eindruck. Höhne wohnt in Hagen-Hohenlimburg. Er hat die Bürger-Initiative „No Monstertrasse“ gegründet, die den Widerstand zusammen mit der Initiative „Hohenlimburg unter Höchstspannung“ organisiert. Breite Unterstützung hätten sie, sagt Höhne, weil fast der gesamte Ortsteil betroffen wäre. „Als wir den Begriff Monstertrasse gewählt haben, war uns nicht klar, dass die Realität noch schlimmer aussieht, als wir sie uns ausgemalt hatten“, sagt er zu der Größe der neuen Masten, die er in Herdecke schon inspiziert hat. Die Leitungen, sagt er, überspannten in Hohenlimburg Kindergärten und Schulen. „Der Gesundheitsschutz wird nicht beachtet, das ist haarsträubend.“
Für den zweiten von insgesamt sechs genehmigungspflichtigen Abschnitten ist noch kein Planfeststellungsverfahren eingereicht worden. Das soll laut Amprion Anfang des Jahres geschehen. „Wir hoffen“, sagt Höhne mit Blick nach Leipzig, „dass Amprion in seine Schranken verwiesen wird.“
… der Standort Attendorn:
Versöhnlicher geht es in Attendorn im Kreis Olpe zu. Nach monatelangem Hin und Her haben Stadt und besorgte Anwohner den Netzbetreiber im Frühjahr zum Umdenken gebracht: Auf den Abschnitten B und C, die durch den Kreis Olpe führen, werden andere Masttypen verwendet. Dies führe zu einer schmaleren Trassenführung und somit zu einem geringen Flächenverbrauch und zu größeren Abständen zur Wohnbebauung. Einziger Nachteil: Die neuen Masten sind höher. Aber auf den Ausgang des Prozesses in Leipzig schaut man dort weniger.
… der Standort Kreuztal
Ansgar Klein ist nicht gut auf Amprion zu sprechen. Amprionen nennt er alle, die für den Netzbetreiber arbeiten, was klingt als handle es sich um ein kriegerisches Völkchen aus Star Trek. Klein steht der „Bürger-Initiative Junkernhees“ in Kreuztal bei Siegen vor. Dort sollen die Masten ebenfalls dreimal so hoch werden – mitten in einem Naherholungsgebiet. „Mitten in den schönsten Flecken des Heestal hinein“, sagt Klein. Die Gegend sei wegen unterschiedlicher Denkmäler kulturhistorisch wertvoll und zudem ein Landschaftsschutzgebiet. Neben den erhöhten Masten stört ihn und seine Mitstreiter, dass ein Umspannwerk dort gebaut werden soll. Viel Mühe und Arbeit habe die Bürger-Initiative in die Erstellung einer Alternativtrasse gesteckt. Das war, so sagt Klein, als man noch hoffte, Amprion sei kompromissbereit. Doch der Netzbetreiber sei stur bei seinen Plänen geblieben.
Wenn Herdecke Amprion nicht stoppen kann, dann will es Kreuztal machen. „Wir haben – glaube ich – noch bessere Chancen“, sagt Klein. „Wir sind gerade dabei, uns auf eine juristische Auseinandersetzung vorzubereiten. Wir lassen uns nicht noch weitere fünf Jahre an der Nase herumführen.“ Die Stadt Kreuztal, die Stadt Siegen und der Kreistag folgen den Argumenten der Initiative vorbehaltlos. „Es ist eine komfortable Lage, dass alle hinter uns stehen“, sagt Klein und formuliert eine Kampfansage an Amprion: „Wir sind fest entschlossen und haben einen langen Atem.“
… die Firma Amprion
Im Jahr 2025 soll die neue Trasse in Betrieb genommen werden. „Wir sind nach wie vor sehr zuversichtlich, dass der Beschluss der Bezirksregierung bestätigt wird“, sagt Firmen-Sprecherin Mariella Raulf vor dem Termin in Leipzig. Dass Befindlichkeiten von Anwohnern nicht berücksichtig worden seien, kann sie nicht erkennen.
Die gesetzlichen Grenzwerte für magnetische und elektrische Strahlung würden weit unterschritten. Die Höchstspannungs-Trasse sei „in jedem erdenklichen Szenario“ geplant und daher unabhängig vom Kohleausstieg. „Egal, was die politischen Ziele sind und wie hoch der Anteil der erneuerbaren Energien ist: Das unterstreicht die Wichtigkeit.“