Schwelm/Gevelsberg/Ennepetal. Der Weg zum Vanlife: Nicole Püttmann und Stefan Scherer bauen ein uraltes Wohnmobil für autarkes Reisen um. Ein romantisches Paar-Projekt? Nein!
Wir haben die Sache gnadenlos unterschätzt. Ein Ratschlag an alle, die glauben, ohne ein Fünkchen Ahnung ein mehr als 40 Jahre altes Wohnmobil auf moderne Komfortbedürfnisse und autarke Energie umzubauen, könnte so ein romantisch angehauchtes Paar-Projekt sein: Vergiss es! Blut, Schweiß, Tränen und viel mehr Euros als geplant haben unseren Weg gepflastert. Doch für uns hat sich der Einsatz gelohnt, wir sind überglücklich mit dem Ergebnis. Nochmal würden wir das aber nicht auf uns nehmen.
Frühjahr 2021: Die Welt hangelt sich von einem Corona-Lockdown zum nächsten. An Urlaub ist nicht zu denken, für uns ist endgültig der Zeitpunkt gekommen, unseren langgehegten Traum vom eigenen Wohnmobil wahr werden zu lassen. Da sind wir nicht die einzigen. Mit dem Womo auf die Piste zu gehen, ist auch in der Pandemie eine Urlaubsmöglichkeit. Vanlife hat Hochkonjunktur – dementsprechend gehen die Preise durch die Decke. Eine gewisses Platzangebot ist allein wegen der Größe des Hundes unerlässlich, denn so naturverbunden, dass er auch bei Mistwetter klatschnass und dreckig mit uns im Bett schlafen darf, sind wir nicht.
Preise gehen durch die Decke
Die einzig logische Lösung aus unser möglicherweise naiv-euphorisch eingefärbten Sicht: Wir kaufen eine günstige Basis und bauen unser autarkes Camping-Träumchen einfach selbst. Schnell ist klar: Auch da sind wir weder die Ersten noch die Einzigen, die diese Idee haben. Der Markt ist leer gefegt, die Preise sind astronomisch. Selbst für Kernschrott in der Sprinterklasse, den Lieferdienste schon 400.000 Kilometer durchgenudelt haben, rufen die Verkäufer 15.000 Euro und mehr auf. In einem Gewerbegebiet treffen wir uns mit Adam, der online eine gebrauchten Fiat Ducato anbietet. Adam kommt 15 Minuten zu spät, hat optisch wie auch vom Geruch her, den er verströmt, eine harte Nacht hinter sich. Über die Geschichte des Autos könne er nicht viel sagen. Aus den polnischen Papieren würden aber sicherlich noch deutsche. Er sei auch nicht der Verkäufer, das sei sein Kumpel Salih, der einen Kiosk betreibt und da auch Gebrauchtfahrzeuge verkauft. Wir winken dankend ab.
„Guck mal hier“, steht in der Nachricht, die mir meine heimische Chefin einige Tage später sendet, während ich im Büro sitze. Ein Wohnmobil, das in Schwelm angeboten wird. Ein Dodge Sportsman, 1979 in den USA gebaut; 5.2-Liter V8, Dreigang-Wandlerautomatik, die Wohnkabine an altbackener Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffen. Zur Probefahrt haben wir jemanden dabei, der sich mit US-Wohnmobilen auskennt und anschließend den Daumen für die Technik hebt. Mich hat der Klang des V8 überzeugt, sie kann sich sofort vorstellen, wie wir die Wohnkabine und den Alkoven umgestalten. Natürlich stellen wir uns die Frage ob wir 25 bis 30 Liter Sprit auf 100 Kilometern ohne Kat in die Umwelt pusten wollen.
+++ DAS PROJEKT IN BILDERN: 130 Fotos vom Selbstausbau +++
Wir rechnen in Euros: Was geben wir eigentlich für Flugreisen aus? Wie viel Kerosin wird für uns dabei verbrannt? Wie umweltschädlich ist die Produktion eines neuen Wohnmobils? Unter dem Strich steht: Das Geld, das wir sonst in unsere Urlaube gesteckt haben, inklusive der Kosten für die Unterkünfte, werden wir selbst mit dem Spritfresser nicht ausgeben können für die gleiche Zeit im Wohnmobil. Und: Einzig Kreuzfahrten sind eine noch größere Umwelt-Sauerei als unser bisheriges Gefliege. Das grüne Gewissen ist beruhigt. Für 9000 Euro wechselt der Wagen, der ab sofort auf den Namen „Dodgy“ hört, die Besitzer.
Da stehen wir nun: Nicole und Stefan, Anfang 40, Bürojobs, ungezügelte Motivation paar sich mit völliger Ahnungslosigkeit. Unsere handwerkliche Erfahrung: Wir haben viel renoviert und umgebaut. Ansonsten: Nix. „Wir finden schon spontan einen Platz zum Schrauben“, hatten wir vermutet, ohne uns jemals mit dem Thema ernsthaft auseinander gesetzt zu haben. Wie man sich täuschen kann. Die wenigen Plätze in Scheunen oder Hallen, die überhaupt existieren, werden quasi vererbt. Keine Chance, dazwischenzukommen und die Zeit drängt. „Storage 24“ heißt unsere Not-Lösung – ein Garagenpark im Gewerbegebiet Lennetal. Eine XXL-Garage im hintersten Winkel von Hagen wird Dodgys neue Heimat, nachdem der frische Bremsen bekommen hat.
Unser Plan: Das meiste von dem, was sich in dem Auto befindet, können wir aufarbeiten und wiederverwenden. Pustekuchen! Gleich an den ersten Tagen, in denen wir vorsichtig Möbel und Technik ausbauen wollen, offenbart unser Schmuckstück die düstere Seite seiner Geschichte. „Guck mal bitte hier, was hinter dem Brett ist.“ „Was denn?“ „Wasserschaden.“ „Nicht schon wieder.“ „Neues Brett in schön vormachen und ignorieren oder ordentlich neu machen?“ Jedes Mal entschieden wir uns für neu machen. Unsere Idee, dass wir von der Einrichtung Dinge behalten, schwindet mit jedem Mal, wenn wir einen weiteren Tag beim Dodgy sind. Wie unsere Motivation, wie der Glaube an uns selbst, der Sache allein Herr beziehungsweise Frau werden zu können.
Aus dem Sommer wurde Herbst und bei 5 Grad Außentemperatur erreichten wir auch im Auto unseren ersten echten Tiefpunkt. Nichts, aber auch wirklich gar nichts konnten wir noch gebrauchen. Das Wohnmobil bestand noch aus nackten Wänden, im Boden direkt an der Tür: ein Loch von einem knappen Quadratmeter. Schaffen wir das? Können wir das? Wollen wir das? War das eine total bekloppte Idee? Zweifel nagen an uns. Der Tonfall zwischen uns bei Diskussionen um den Wagen wird ruppiger. In Millisekunden können wir ausblenden, dass uns Vorwürfe nicht weiterbringen und werfen sie uns gegenseitig – mal süffisant, mal deutlich angesäuert – an die Köpfe.
Doch aufgeben ist für uns trotzdem nie eine wirkliche Option. Allein schon die Einkäufe für den Wiederaufbau lassen zumindest mein Herz höher schlagen: Kapsäge, Stichsäge, Tischkreissäge, oszillierende Säge. „Ey ganz im Ernst Stefan, wozu brauchen wir noch eine Säge?“ Manchmal ist beim Werkzeug haben wichtiger als brauchen, vor allem bei der Tischkreissäge, die ich unbedingt haben wollte. Weil in der Kiste rechte Winkel und gerade Kanten nicht existent sind, war zumindest dieser Kauf völlig überflüssig. Das Ding diente fortan als Ablage.
Über den Winter 2021/2022 kommen auch bei eisiger Kälte zügig voran und fassen euphorisch einen Zeitplan: Ende Juni wollen wir mit Dodgy nach Cornwall. Jedes freie Wochenende verbringen wir fortan in dieser Garage in Hagen. Wir bauen neue Fenster ein, neue Dachluken, verlegten den Boden, bauen die Badezimmerwände auf und zofften uns dabei, was das Zeug hält. „Wann willst Du Dich um den Strom kümmern?“ „Lass mich doch erstmal das hier machen.“ „Baust Du da einfach drauf los mit Deiner Sitzbank oder hast Du irgendeinen Plan?“ „Kümmer Dich um Deinen Mist und lass mich in Ruhe!“ Die Illusion, wir würden uns beide unterstützen, während wir an den selben Dingen rumwerkeln, ist geplatzt. Gleichzeitig explodieren die Materialpreise, vieles gibt es in den Baumärkten der Region überhaupt nicht mehr.
Zu Fuß nach Hause
An einem Sonntag bringe ich Nicole derart auf die Palme mit meinem Gemecker, dass sie sich ins Auto setzt und nach Hause fährt – mit meinem Handy und meinem Portemonnaie, was beides im Auto lag. Das fällt mir aber erst Stunden später auf. So viele Kilometer bin ich zuvor noch nie in meinem Leben am Stück gelaufen. Doch auch diese Episode, über die wir heute herzhaft lachen, hat nicht dazu geführt, das Projekt abzubrechen.
Das hätte beinahe die Technik geschafft. Die sollte ja auf Top-Niveau und selbst eingebaut sein. Über die Monate hatte ich ein handwerkliches Selbstbewusstsein erlangt, dass ich recht sicher bin, innerhalb kürzester Zeit Strom, Gas, Wasser und Abwasser einbauen zu können. Nicole hat da Zweifel. Der Strom steht ganz oben auf der Liste und ich stehe vor ungeahnten Hürden, als ich mich das erste Mal tatsächlich ernsthaft damit auseinandersetzte. Autobatterie, Versorgungsbatterie, Solarpanel, Landstromanschluss, 12-Volt-Netz, 230-Volt-Netz und viele Warnungen im Internet, dass zu kleine Kabeldurchmesser schnell ein Feuer auslösen können.
Wir waren der Verzweiflung nahe, doch die Rettung kam von nebenan. Nachbar Stefan ist promovierter Luft- und Raumfahrttechniker, sein größtes Hobby ist Elektronik und er hat mit seiner Frau zusammen ein uraltes Wohnmobil. Und – am Allerbesten: Er hat richtig Bock auf solche Dinge. Seine erste Amtshandlung: Er schreibt uns eine Einkaufsliste. Kabeldurchmesser berechnet er nebenbei im Kopf. Drei Wochen später der Test. Alles funktioniert wie es soll, das Solarpanel klebt felsenfest auf dem Dach. Wir müssen nur noch die Strippen zu den Verbrauchern ziehen.
Wechselschaltung hier, Dimmer da, eine neue Euphorie löst die angespannte Stimmung ab. Es geht voran, jetzt das Gas. Zwei große Gasflaschen sollen Heizung, Warmwasser und Kochstelle befeuern. Nicole: „Kannst Du das?“ Stefan: „Ich habe zwei Youtube-Videos gesehen. Klar kann ich das.“ Nicole: „Deine Gasexpertise ist Youtube? Das macht ein Fachmann, weil ich nicht sterben will.“
Wir leben noch und tatsächlich hat ein Fachmann Hand angelegt. Zu dem Zeitpunkt bauen wir seit einem Jahr an dem Wagen. Unser Plan: Acht Wochen später nach England aufbrechen.
Hier geht es zu Teil 2 der Vanlife-Selbstausbau-Geschichte: Blut, Schweiß und Tränen für den Traum vom Vanlife
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