Dortmund. Der Dortmunder Netzbetreiber Amprion muss eine 500 km lange Stromleitung von der Nordsee bis Hessen bauen – wie das Südwestfalen betrifft.

Die Energiewende in Deutschland wird nicht ohne große Stromautobahnen von Nord nach Süd gelingen. Windstrom vom Meer aus sogenannten Offshore-Anlagen muss dorthin transportiert werden, wo der Energiebedarf hoch ist. Eine Erkenntnis, die weit mehr als ein Jahrzehnt alt ist. Aber erst jetzt wird der Ausbau der dafür notwendigen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) konkreter. Amprion aus Dortmund ist neben Tennet, TransnetBW und 50 Hertz einer der vier für den Ausbau verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber. Eine HGÜ-Leitung, die mitten durch NRW führen wird, soll vor allem Hessens Metropolregion Frankfurt verlässlich mit Strom versorgen. Es ist das Projekt Rhein-Main-Link, dessen Verlauf am Reißbrett der Bundesnetzagentur erst einmal in gerader Linie mitten durch das Hochsauerland sowie Siegen-Wittgenstein führen würde.

Am Mittwoch erläuterte Amprion einigen Journalisten das Vorhaben Rhein-Main-Link, bei dem es sich eigentlich um vier Leitungen mit je zwei zwanzig Zentimeter dicken Gleichstromkabeln handelt, die zwei Meter tief in der Erde vergraben werden sollen. Bis Bagger rollen, um rund 50 Meter breite Gräben für die Erdkabel des mehrere Milliarden teuren Projekts auszuheben, werden aber noch Jahre vergehen.

Erklärungsbedarf

Als diese Skizze das erste Mal öffentlich wurde, gab es mindestens ein leichtes Beben in Südwestfalen. Amprion ist laut Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet, dieses Projekt durchzuführen – und ebenso bemüht, es zu erklären. Anders als vor zehn Jahren sind die Gleichstromstrecken in der Regel als Erdkabel vorgesehen. Im Falle von Rhein-Main-Link also 500 Kilometer von der Nordsee bis Hessen komplett unterirdisch. Eine Vorgehensweise, die – abhängig von Bodenbeschaffenheit und notwendigen Untertunnelungen von Autobahnen oder Schienen beispielsweise – drei bis zehn Mal so teuer ist wie eine Freileitung mit Masten, die alle paar hundert Meter unter Höchstspannung den Strom transportiert.

Dieses Format haben Erdkabel, die Amprion über 500 km von der Nordsee nach Hessen verlegen wird.
Dieses Format haben Erdkabel, die Amprion über 500 km von der Nordsee nach Hessen verlegen wird. © Amprion | Frank Peterschroeder

Die Entscheidung, nicht nur im frühzeitig nörgelnden Bayern die Kabel unter die Erde zu legen, fiel 2015. Das Ziel: Die Akzeptanz für die künftigen Stromautobahnen zu erhöhen, zumindest für die Gleichstromstrecken. Im Gegensatz zu Wechselstrom kann Gleichstrom ohne große Verluste über große Entfernungen transportiert werden. Am Ende muss ein Konverter den Gleich- in Wechselstrom umwandeln, wie er üblicherweise in den Haushalten und Betrieben aus der Steckdose kommt.

Bundesnetzagentur macht Vorgabe für Verlauf

Einen konkreten Fahrplan für das Projekt gibt es. Der richtet sich nicht zuletzt nach dem Tempo der zuständigen Bundesnetzagentur (BNetzA), die im November dieses Jahres einen Korridor für die neue unterirdische Trasse vorstellen will. Fünf bis zehn Kilometer in der Breite wird der messen. Dies ist der Spielraum der vor Ort bleiben wird, um auf Einwände Betroffener eingehen zu können, so gut es geht.

Erst im März oder April kommenden Jahres wird dann die vorläufige Trasse feststehen, um mit einer Leistung von acht Gigawatt verlässlich Energie für Industrie und Dienstleister wie die riesigen Rechenzentren im Raum Frankfurt zu transportieren. Die Prognose laute, dass mit zunehmender Elektrifizierung der Gesellschaft auch in Hessen der Strombedarf enorm steigen werde, und zwar von heute 34 Terawattstunden auf 85 TWh im Jahr 2037. Ob diese Annahmen (Modulationen) immer genau stimmen, ist nicht belegt. Aber: „Der Energiehunger der Industrie ist zu groß, als dass ohne Offshore-Strom auszukommen wäre“, erklärt Jonas Knoop, bei Amprion Projektsprecher für Rhein-Main-Link und bisher verantwortlich für die etwa 300 Kilometer lange Trasse „A-Nord“ von Emden bis Meerbusch.

Erdkabel im Mittelgebirge?

Möglichst bis Ende Juni will der Dortmunder Übertragungsnetzbetreiber den Planfeststellungsbeschluss erreichen, dem ein Planfeststellungsverfahren folgt. „Ende Juni endet voraussichtlich die EU-Notfallverordnung, die das Einreichen von verschlankten Unterlagen bei solchen Vorhaben erlaubt“, erklärt Amprion-Sprecher Jonas Knoop. Bedeutet: Umwelt- und Artenschutz haben bis dahin nicht oberste Priorität. Ob die EU die Verordnung verlängert, um die Energiewende in ganz Europa beschleunigt voranzutreiben, ist derzeit offen.

Dass für den Stromtransport bei Rhein-Main-Link von der deutschen Nordseeküste nach Hessen tatsächlich Sauerland, Siegerland und Wittgenstein durchpflügt werden, ist keineswegs sicher. Im Gegenteil. Die gerade Strecke, die die Luftlinie vorgibt, scheint eher problematisch zu sein. „Mit einem Erdkabel über ein Mittelgebirge zu gehen ist technisch sehr komplex. Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ein Stück weit versucht wird, um das Sauerland herum zu queren“, bleibt Amprion-Gesamtprojektleiter Dominik Stunder ein wenig vage, ehe er mutmaßt: „Man wird da vermutlich nicht direkt durchgehen.“ Aber es stehe eben noch nicht fest. Zuständig ist letztlich die BNetzA.

Wahrscheinlicher erscheint es, dass ein Weg durch flacheres Gelände mit eher sandigem als felsigem Boden gesucht wird. Derzeit wird der Weg analysiert. „Wir schauen, wie hoch die Widerstände sind“, sagt der Projektverantwortliche Dominik Stunder – und meint zunächst die sogenannten Raumwiderstände wie etwa Berge. Erst ab November 2023 wird es dann um die Widerstände in Städten, Gemeinden, Dörfern, bei Anwohnern und voraussichtlich Landwirten in Ostwestfalen gehen, deren Felder möglicherweise durchkreuzt werden, um den Nordseestrom dann rund zehn Jahre später nach Hessen transportieren zu können.

Mehr als 22 Milliarden Euro sollen in kommenden fünf Jahren investiert werden

Mehr als 22 Milliarden Euro wird Amprion nach eigenen Angaben in den nächsten fünf Jahren in den Netzausbau investieren. Rhein-Main-Link besteht aus vier Vorhaben mit den Kennzeichnungen DC34, DC35, NOR-19-2 und NOR-19-3. Zur beschleunigten Umsetzung setzt Amprion auf das Präferenzraumverfahren der Bundesnetzagentur, das eine Bündelung der Vorhaben erlaubt.