Warstein. Weil die Bürger jetzt weg vom Gas wollen, kommen sie auf skurrile und riskante Ideen. Der Schornsteinfeger muss das Schlimmste vereiteln.
Irgendwo in Freienohl bei Meschede steht Marc Lohmann auf dem Dach, neben ihm der rauchende Schornstein, hinter ihm die idyllische Kulisse, die das Sauerland bei Sonnenschein bieten kann: Wälder, Bäume, Wiesen, kleine Ortschaften, die aus dieser Perspektive allein aus Dächern zu bestehen scheinen. Dächer, unter denen der bevorstehende Winter eine große Rolle spielt. Lohmanns Dächer.
Schornsteinfeger sehe gerade jetzt einiges, das ihnen Sorgen macht
Das hier ist sein Bezirk, bis nach Eslohe. 2500 Häuser betreut er. Arbeitsaufwand: stark steigend. „So extrem wie dieses Jahr war es noch nie“, sagt der 38-Jährige, runde Brille, rötlicher Viertagebart. Seit 20 Jahren übt er den Beruf aus. Täglich laufen bei ihm zehn bis fünfzehn Anfragen für die Abnahme neuer Öfen auf. Das ist mehr, als er manchmal abarbeiten kann.
+++ Vom Gebiss bis zur Kalaschnikow: Pfandhäuser sind gefragt +++
Lohmann ist Schornsteinfeger. Männer wie er sind mehr als nur Rußbeseitiger und Glücksbringer, sie sind heute nicht selten Energieberater und Klimatechniker. Sie kommen, um Feuerstätten oder Heizungsanlagen zu begutachten. „Als Schornsteinfeger muss ich in viele private Räume. Da sieht man einiges“, sagt Lohmann. Einiges auch, das Sorgen bereitet. Vermutlich kann vor diesem Energiespar-Winter niemand einen so klaren Blick auf die Verzweiflung der Bürger werfen wie Schornsteinfeger.
Ofen? Oder doch eher eine Blechbüchse für 30 Euro?
„Sehr regelmäßig schrillen bei mir derzeit die Alarmglocken“, sagt Lohmann und steuert seinen Wagen zum nächsten Termin. Drei, vier Wochen erst sei es her, dass er bei der turnusmäßigen Feuerstättenschau auf einen bereits angeschlossenen Ofen stieß, den sich der Kunde von einem Auslandsaufenthalt mitgebracht hatte. „Für 30 Euro irgendwo günstig geschossen“, sagt Lohmann: „Kein Typenschild, nichts. Eigentlich nicht mehr als eine Blechbüchse. Da bin ich fast hinten rübergefallen.“
Das Gerät dauerhaft zu betreiben wäre lebensmüde, weil es in Flammen aufgehen oder eine Kohlenstoffmonoxidvergiftung verursachen könnte. Man liest davon in Deutschland derzeit häufiger.
+++ Gevelsberg: Tochter findet Eltern tot in der Wohnung +++
„Die Angst davor, dass Putin den Gas-Hahn zudreht, ist groß“, stellt Lohmann für seinen Bezirk fest. In den Baumärkten gibt es längst keine Öfen mehr, die Ofenbauer lieferten meistens erst im nächsten Frühjahr wieder – frühestens. „Die Leute kommen im Moment auf die skurrilsten Ideen.“ Aus Unwissenheit. Oder Verzweiflung. Oder aus Sorge vor den Kosten. „Ich glaube, der große Knall wird im Frühjahr kommen“, sagt Lohmann und rechnet vor, was er meint: Wenn die Kilowattstunde, die sonst fünf Cent kostete, jetzt 35 Cent koste, dann kann die Rechnung für manche in einem schlecht gedämmten Haus fast fünfstellig werden.
Alle wollen weg vom Gas – mit riskanten Manövern
Weg vom Gas, das wollen gerade alle. Wie die Dame, die in einem Haus mit hohen Decken und bröckelndem Außenputz lebt. Mit Lohmann lotet sie aus, ob ein Pelletofen Sinn ergäbe – und wo er anzuschließen wäre. Der Schornsteinfeger deutet mit dem Zeigefinger auf die kurze Hausseite: dort vielleicht. 3,50 Euro kostete der Sack Pellets früher, heute seien es 12 Euro, sagt Lohmann zurück im Auto.
+++ Der Kampf ums knappe Brennholz: „Die Leute sind bekloppt“ +++
Feuerstättenschau ein paar Straßen weiter: Gartenzaun aus Holz, Rosen, die sich nach der Sonne strecken. Im Garten in langen Reihen: Brennholz. Die Preise haben sich verdoppelt, auch weil gehortet wird. „15 bis 20 Raummeter werden da manchmal geordert. Damit würde man fünf Jahre auskommen. Wenn das alle machen...“, sagt er und beendet den Satz nicht: „Es machen viele, wenn sie können.“ Gesammelt wird, was helfen könnte: Bei einem Kunden hat Lohmann neulich im Keller eine Sammlung von Propangasflaschen vorgefunden: Gase könnten austreten, sich am Kellerboden sammeln und zur Explosion führen.
Steigende Zahl an Schornsteinbränden befürchtet
Lohmann zückt sein Handy und öffnet die App mit den Bildern. Er wischt welche zur Seite, bis er gefunden hat, was er sucht. „Hier“, sagt er, „erst gestern gemacht.“ Zu sehen ist etwas Rundes, Schwarzes. „Glanzruß“, sagt er. Der lagert sich bei ausbleibender Säuberung im Abgasrohr oder Schornstein ab und kann sich schon bei der nächsten Erhitzung des Ofens entzünden und zu einem Schornsteinbrand führen.
+++ Mit diesen 6 Tipps vom Experten sparen Sie eine Menge Heizkosten +++
„Derzeit wird auch der 20 Jahre lang nicht genutzte Kachelofen wieder angefeuert“, sagt Lohmann. Problem dabei: Wenn der Schornsteinfeger nicht weiß, dass ein Ofen wieder öfter oder fast durchgehend genutzt wird, dann kann er auch die Reinigungsintervalle nicht anpassen. Ein Risiko. „Das ist ein gefährliches Spiel. Ich habe die Sorge, dass die Zahl der Schornsteinbrände in diesem Winter steigt“, sagt er. „In der Not wird doch alles verstochert. Wir kriegen das im Zweifel gar nicht mit.“
Kostengünstige Tipps zum sicheren Energiesparen
Kann er auch nicht. Zweimal in sieben Jahren kommt der Bezirksschornsteinfeger – zusätzlich zur normalen Reinigung – zur Feuerstättenschau. Neue Öfen oder Fenster müssen ihm für eine Überprüfung auch mitgeteilt werden. Macht nur nicht jeder. Dabei können die Lohmänner der Republik helfen, sicher und effizient zu heizen. „Ich sehe uns auch in der Pflicht, als Klimatechniker den Menschen kostgünstige Tipps zu geben.“
+++ Weihnachtsbeleuchtung? „Das lasse ich mir nicht nehmen“ +++
Die Not der Menschen sieht er, aber auch die Nachlässigkeiten. „Mehrmals in der Woche bin ich bei Menschen, die die Couch direkt vor dem Heizkörper stehen haben. Dann kann die Luft nicht zirkulieren.“ Ein Meter Abstand sollte mindestens vorhanden sein. Schwere Vorhänge seien auch hinderlich. „Und wenn die Heizung 20 Jahre lang von außen gesäubert wird, aber nicht von innen, dann kostet das Geld.“ Ein, zwei Millimeter Staubschicht können zu einem Heizverlust von sechs Prozent führen.
Bei der Trinkwassertemperatur: Vorsicht vor Legionellen
Nächster Termin: Abnahme einer neuen Ölheizung in Freienohl. Lohmann heftet im fensterlosen Kellerraum einen magnetischen Mini-Computer an das Gehäuse, als wolle er wie in einem Hollywoodfilm einen schweren Tresor knacken. Daten flackern auf. Gute Daten. Alles okay. „Nur die Rohrleitungen für das Warmwasser hier im Keller sollten Sie dämmen“, rät er dem Hausbesitzer. „Das spart viel Energie.“
+++ Die Heiz-Umfrage: „Noch nehme ich lieber die Wolldecke“ +++
Andere wiederum übertreiben es. Bei seinem Nachbar sei Lohmann neulich gewesen und habe einen Blick auf die Haustechnik geworfen: Bei 35 Grad Trinkwassertemperatur sei er zusammengezuckt. Man müsse ja sparen, habe der Nachbar gesagt. Aber nicht auf Kosten der Gesundheit. „Selbst an der letzten Wasserentnahmestelle im Haus muss das Wasser mit mindestens 50 Grad Maximaltemperatur ankommen“, sagt Lohmann: „Sonst: Legionellengefahr.“
„Viele Kunden wachsen einem über die Jahre ans Herz“
Es ist ein besonderer Winter, der da ansteht. „Ich fühle gerade mit den älteren Kunden, die nicht auf Rosen gebettet sind“, sagt Marc Lohmann. Über die finanzielle Lage weiß er ja meistens nichts Verlässliches, aber es lassen sich Dinge erahnen. Die ältere Dame, die kürzlich ihren Mann verloren hat und nun allein in dem großen Haus wohnt… „Viele wachsen einem über die Jahre ans Herz.“
Er denkt an eine andere Dame, die ihn mit Kaffee und Weihnachtsplätzchen empfing. Das Rezept ließ er sich geben, die Kekse gibt es im Hause Lohmann seither jedes Jahr. „Man merkt es schon jetzt. Öfters höre ich: Herr Lohmann, wir können die Rechnung nicht zahlen. Auch die Zahlungsmoral hat nachgelassen.“
Und der Winter beginnt erst.