Hagen. Die Deutsche Umwelthilfe fordert die Bürger auf, Adventsbeleuchtung zu unterlassen. Ein Deko-Liebhaber erklärt sich. Was der Experte dazu sagt.
Seit vier Wochen erst lebt Marcel Rechenberg mit seiner Freundin in dem neuen Haus in Breckerfeld. Alles ist noch so frisch. Und wie schön das alles erst im Dezember aussehen wird, das weiß er ja noch gar nicht, das kann er sich ja nur ausmalen. „Ich stehe manchmal da und denke mir, wo ich was installieren könnte“, sagt der 30-Jährige, der Jahr für Jahr mit großer Hingabe üppige Weihnachtsbeleuchtung zaubert.
Deutsche Umwelthilfe fordert: Licht aus an Weihnachten
Im letzten Jahr noch war das in Hagen-Vorhalle zu besichtigen: 8000 LEDs, die unter der Aufsicht von zwei mannshohen Nikoläusen und einem Schneemann sowie mithilfe von 18 Zeitschaltuhren gesteuert werden. Dazu Lichtquellen im Garten, die riesige Schneeflocken auf alle Häuserseiten projizieren. „Das Hagener Weihnachtshaus“ nennt er sein altes Zuhause.
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Ein Jahr später ist die Welt eine andere. Weil Krieg herrscht, droht Energie knapp zu werden in diesem Winter. Vor diesem Hintergrund hat es die Deutsche Umwelthilfe jüngst zur „Selbstverständlichkeit“ erklärt, „dass sowohl auf die Weihnachtsbeleuchtung in Städten wie auch die der Häuser und Wohnungen verzichtet wird“. Eine Facebook-Umfrage unserer Zeitung in Südwestfalen zeigt: Das Thema Weihnachten ohne Lichterketten wühlt die Menschen auf – und die Mehrheit reagiert mit Unverständnis.
„Wie es bei mir zu Hause aussieht, das bestimme ich selber“
„Ich halte diesen Vorschlag für komplett daneben“, sagt der Hobby-Dekorationskünstler: „Wir sind in den vergangenen Jahren ohnehin viel eingeschränkt worden. Stichwort: Corona. Wie es bei mir zu Hause aussieht, das bestimme ich selber. Und die Weihnachtsbeleuchtung lasse ich mir nicht nehmen.“ Im Gegenteil: Er hat sich bisher zurückhalten müssen, sagt er, das bestehende Equipment nicht noch zu erweitern. Das neue Haus hat ein Flachdach, das erweitert die Möglichkeiten. „Oder auf den Garagen...“, sagt er, und es funkelt schon in seinen Gedanken.
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Das sind ja alles nicht bloß Lampen, das ist mehr, sagt er. Mit Familie und Freunden machen sie aus der Gartenschmückung ein kleines Event. Und ab Einbruch der Dunkelheit am ersten Advent hat sein Lichterwunderland geöffnet. Die Zeitschaltuhren stehen auf 17 bis 0 Uhr. „Vielleicht“, sagt Rechenberg“, „machen wir dieses Jahr etwas weniger.“ Soll heißen: kürzer,um anderthalb oder zwei Stunden. Mehr will er sich lieber nicht einschränken.
Lieber noch nicht heizen - dann bleibt mehr Geld fürs Licht
„Beleuchtung ist Tradition, das gehört einfach zum Weihnachtsfest. Ich kenne das von klein auf so.“ Düster ist die Welt schon genug, Rechenberg hält mit Licht dagegen. „Die Leute bleiben vor dem Haus stehen und erfreuen sich daran“, sagt er. Gerade Kinder liebten das.
Seine Freundin und er lassen die Gas-Heizung noch aus. Geld, das man später vielleicht fürs Licht braucht. „Einen Kostenüberblick für den Dezember habe ich mir nie verschafft, da stünden mir vermutlich die Tränen in den Augen“, lacht der Mann, der von Beruf Haustechniker ist. Selbstschutz ist das. Dann spart er sich die Kraft, sich das alles noch mehr schönzureden.
Und was sagt er den Menschen, die das viele Licht übertrieben finden? Gerade jetzt in diesen Zeiten? „Damit muss man klarkommen. Dafür habe ich ja zwei Ohren: hier rein, da raus.“
<<< DAS SAGT DER EXPERTE >>>
Wie soll man sich in diesem Winter verhalten? Was ist ist richtig, was ist falsch? „Viele Menschen stecken in einem moralischen Dilemma“, sagt Tillmann Nett, Psychologie-Dozent an der Fernuniversität in Hagen. Auf der einen Seite die Energiekrise und der Umweltschutz, auf der anderen die Tradition und das gute Gefühl. „Wichtig ist zu erkennen, dass niemandem etwas verboten werden soll“, sagt Nett. Es gehe bei diesem Abwägungsprozess um Bewertungen, die auf unterschiedlichen Einstellungen und Annahmen beruhen.
„Jeder muss selbst sorgsam gewichten, wie wichtig er mögliche Einsparungen findet. Es ist wichtig zu verstehen, dass man bei diesem Prozess zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann und darf. Aus Sicht der Psychologie gibt es kein Richtig und kein Falsch.“ Er stecke selbst in diesem Dilemma und habe noch keine Entscheidung für sich getroffen, sagt Nett. „Ich gehe auch gern durch eine weihnachtlich geschmückte Stadt, aber es wäre ja eine Überlegung wert, ob sich diese Stadt nicht kreative, umweltfreundliche Möglichkeiten zur Dekoration überlegen kann.“ Zwischen den beiden Extremen alles und nichts lägen schließlich auch noch Möglichkeiten.
„Eine gute Möglichkeit, dem moralischen Dilemma zu entkommen, ist, einen Schritt zurück zu gehen und die Situation ganz sachlich in Ruhe zu betrachten: Welche Möglichkeiten habe ich noch? Wie kann ich vielleicht beiden Welten gerecht werden? Wie schaffe ich Kompromisse.“ Konkret: Kann ich die Beleuchtung etwas weniger üppig ausfallen lassen oder zumindest nur die Lichterketten verwenden, die recht neu und damit energiesparend sind? Oder kann ich die Gemütlichkeit noch anders als durch elektrisches Licht herstellen?