Siegen. Energiekrise, Inflation: Das Geschäft in den Pfandhäusern zieht spürbar an, heißt es vom Zentralverband. Zu Besuch beim Geldleiher in Siegen.

Die Frau trägt eine schwarze Hose und einen schwarzen Pullover, auf den die nassgeregneten Haare fallen. Mit gesenktem Blick huscht sie aus dem Laden, wieder hinein in das fiese Wetter des Septembers. In der Tasche hat sie: 650 Euro. In der Tasche hat sie nicht mehr: einen Ring und vier Ketten aus Gold. Verpfändet.

Besuch des Pfandhauses oft noch mit Scham behaftet

„Eine Stammkundin“, sagt Mark Imlau ohne größere Regung und blickt auf die große digitale Uhr an der Wand. 9.58 Uhr. Zwei Minuten, bevor aufgeschlossen wird. „Sie kommt immer ein paar Minuten vor der eigentlichen Öffnungszeit – oder kurz vor Ladenschluss, damit sie niemandem begegnet. Hier herzukommen ist für viele immer noch mit Scham behaftet.“ Denn das heißt: Das Geld reicht nicht.

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Das 1. Siegener Pfandhaus gibt es seit 1980. Ein Eckgebäude mit Schiefer an der Fassade, bürgerliche Gegend, quadratischer Verkaufsraum, kaum größer als ein Kinderzimmer. Eine Sicherheitsglasscheibe, hinter der Hans-Georg Imlau (71) und sein Sohn Mark (33) warten, teilt den Raum, in dem sich ein kleiner Fernseher, ein Regal, ein Schreibtisch von antiquarischem Wert und ein Bilderrahmen mit alten D-Mark-Scheinen befinden.

Pfandhaus als Seismograph der Not

Die Tür zum Laden öffnet sich nur, wenn einer der beiden den Summer hinter der Theke betätigt. Eeeeeeehhhh. Das Pfandhaus als Seismograph der Not hat ein Geräusch. Eeeeeeehhhh. Es entlässt die Dame in Schwarz mit ihrem Geld. „Sie hat eine Arbeit, aber der Monat ist immer zu lang“, sagt Mark Imlau. Und die Monate, das steht zu fürchten, werden in naher Zukunft nicht nur für sie immer länger.

Seit 1980 im Geschäft: Hans-Georg Imlau vor seinem Pfandhaus in Siegen.
Seit 1980 im Geschäft: Hans-Georg Imlau vor seinem Pfandhaus in Siegen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

41 im Zentralverband organisierte Pfandhäuser gibt es in NRW, etwa 250 sind es in Deutschland. Wie es den Menschen finanziell geht, sieht man vermutlich nirgendwo klarer als in Leihhäusern. „Wir stellen seit einigen Wochen eine spürbare Belebung des Geschäfts fest“, sagt Wolfgang Schedl, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Pfandkreditgewerbes (ZDP). Erst Corona, jetzt Energiekrise und Inflation. „Ich könnte mir vorstellen, dass der Kreditbedarf der Menschen noch massiv zunimmt.“

Schnell und unkompliziert ans Geld kommen

Eeeeeeehhhh. Ein junger Mann mit beflecktem Pullover und teuren Sportschuhen kommt herein und legt auf die Theke, was er hat.

„Was haben wir da? Diese beiden Ringe?“, fragt der Seniorchef und drückt sich seine Juweliers-Lupe aufs Auge. „Hm, ja, 14 Karat. 61 Gramm. 130 Euro. Ok?“

„Jaja“, sagt der Mann, der seinen Ausweis zeigen und ein kleines Formular ausfüllen muss. Mit dem gelben Pfandbrief und seinem Geld geht er wieder.

„So schnell und unkompliziert hat man sein Geld“, kommentiert Juniorchef Mark Imlau den Prozess. „Eheringe sind ein sehr gängiger Artikel.“ Das Symbol der Liebe als Symbol der finanziellen Not. Was ist passiert, um diesen Schritt zu gehen? „Wir hinterfragen nicht, wofür das Geld gebraucht wird.“

Die benötigten Beträge werden deutlich höher

Manche Familien kenne man seit Generationen, manche Kunden blieben immer einigermaßen unbekannt, sagt Imlau junior, der Betriebswirtschaftslehre studiert hat. „Wir wissen, dass es Menschen gibt, die mit dem Geld gleich weiter ins Wettbüro gehen. Wir wissen aber auch von denen, die in diesem Monat noch den Einkauf machen müssen oder den Strom bezahlen, damit er nicht abgestellt wird.“

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Wächst die Not schon jetzt? Schwer zu sagen, sagt Imlau junior. „Das wird erst mit Verzögerung so richtig bei uns ankommen. Im Dezember oder Januar, wenn die Rechnungen mit den Nachzahlungen kommen.“ Er überlegt. „Was wir feststellen: Die Beträge, die benötigt werden, sind deutlich höher. Vielleicht ist es bei manchen auch ein präventiver Akt, weil sie nicht wissen: Was kommt da jetzt?“

„Die Uhr? Die is’ nix“, sagt der Senior-Chef

500 Euro sei der durchschnittliche Pfandwert, heißt es vom Zentralverband. Über 90 Prozent der verpfändeten Gegenstände werden wieder abgeholt. Der Pfandleiher lebt von den Zinsen. „Immer häufiger ist es aber auch so, dass die Wertsachen nicht mehr abgeholt werden“, sagt Imlau junior.

Junior-Chef Mark Imlau mit einer wertvollen Cartier-Uhr.
Junior-Chef Mark Imlau mit einer wertvollen Cartier-Uhr. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Eeeeeeehhhh. Zwei Männer treten ein, beide in modischen Sportschuhen und Oberteilen. Goldschmuck haben sie dabei. Juwelierlupe.

„650 Euro“, sagt Imlau senior.

Die Männer tuscheln. Einer fragt: „750?“

„650 Euro“, sagt Imlau senior ungerührt.

Die Männer tasten alle ihre leeren Taschen ab. „Was ist mit meiner Uhr“, fragt einer.

„Die is’ nix“, sagt Imlau senior, ohne sie genauer ansehen zu müssen.,

Mit 650 gehen sie hinaus in den Regen und fangen an zu telefonieren.

Gefüllte Goldbarren, falsche Münzen, nachgeahmte Rolex-Uhren

Mark Imlau hat schon als Kind seinem Vater im Geschäft zugesehen. „Was man hier braucht, lernt man nur hier“, sagt der Senior. Menschenkenntnis ist wichtig. Und zu wissen, welche Betrugsmaschen gerade angesagt sind: mit Wolfram aufgefüllte Goldbarren, falsche Goldmünzen, brillant nachgemachte Rolex-Uhren. „Ich habe schon alles erlebt“, sagt der Senior. Alles? „Vom Gebiss bis zur Kalaschnikow hat hier schon alles auf der Theke gelegen.“ Vor zehn Jahren sei eine junge Frau gekommen, die die Waffe aus einer Aldi-Tüte wickelte. Ein Sammlerstück, entmilitarisiert. 100 Euro habe das gegeben. Und natürlich sei das Stück wieder abgeholt worden.

So hat jeder seine eigene Geschichte, nach der aber niemand fragt. Eisernes Gesetz. „Manche erzählen ihre Geschichte ungefragt. Dann hören wir natürlich zu“, sagt Mark Imlau: „Das lässt einen nicht kalt.“

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Der Pfandleiher schätzt den Wert des Gegenstandes, der ihm vorgelegt wird – und beleiht aber eher nicht den vollen Wert. Grund: Wird das beliehene Stück nicht wieder abgeholt, dann wird es öffentlich versteigert. Bleibt es dabei unter dem beliehenen Wert: Pech für den Pfandleiher. Erzielt es einen höheren Erlös, hat der Verleiher drei Jahre lang Zeit, seinen Gewinn abzuholen, sagt Wolfgang Schedl, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Pfandkreditgewerbes (ZDP). Macht er das nicht, geht der Mehrerlös an den Staat.

Weiterer Vorteil für Kunden: eine schlechte Schufa-Auskunft, persönliche Verhältnisse des Kunden, oder andere Kredite interessieren den Pfandleiher nicht. „Die persönliche Bonität des Kunden spielt keine Rolle. Es geht nur um das, was er mitbringt“, sagt Jochen Brauers, Vorsitzender des Pfandkreditverbandes West. Wichtig ist nur, dass er „zur Verfügung der Sache berechtigt ist“ und einen Personalausweis mitbringt. „Unkomplizierter können Sie kurzfristig kein Geld bekommen.“

Der Pfandleiher lebt von den Zinsen und Gebühren pro Monat. Laut Pfandleiherverordnung dürfen die Zinsen für das Darlehen ein Prozent im Monat nicht übersteigen. Die Gebühren sind bis zu einem Darlehensbetrag von 300 Euro festgelegt, darüber frei verhandelbar. Bei einem Darlehen von 30 Euro fallen zwei Euro Gebühren pro Monat an, bei 300 Euro 6,50 Euro. Klingt nach wenig, läppert sich aber offenbar.