Michael Klammt (55) kann Arbeit nichts abgewinnen. Er berichtet, warum das so ist, wie er sich das leisten kann und wer ihn als Spinner schimpft.

Michael Klammt (55) aus Iserlohn ist Junggeselle und bekennender Arbeitsverweigerer. Er berichtet über sein Leben, was ihn an Arbeit stört und am Umgang der Gesellschaft mit ihm:

„Nein, ich arbeite nicht gern und ich möchte meine Zeit lieber für andere Dinge verwenden. Das unterscheidet mich nicht sonderlich von vielen anderen Menschen, die sich aber trotzdem jeden Tag zur Arbeit quälen. Bei mir ist es aber so: Ich arbeite tatsächlich nur sechs Wochen im Jahr. Der Rest? Ist freie Zeit. So wie ich es immer wollte. Kurz vor dem Abitur wurde mir das klar. Aber dass alles so kommen würde, wie es jetzt ist, damit habe ich selbst nicht gerechnet.

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In der Jahrgangsstufe 11, anderthalb Jahre vom Abitur entfernt, habe ich damals festgestellt, dass ich alles, was da kommen würde, völlig inakzeptabel finde. Alles erschien mir fertig entworfen: gutes Abitur machen, an die Uni gehen, mich in die Arbeitswelt stürzen, um Tag für Tag zu arbeiten und Geld zu verdienen. Ein täglicher Wettbewerb, am besten bis zur Rente. Das wollte ich nicht. Das interessierte mich überhaupt nicht.

Abi gemacht, Sport studiert – aber das war nicht das Wahre

Mein Abi habe ich damals noch gemacht. Leistungskurse: Sport und Religion. In München habe ich Sport studiert, aber eher pro forma. Das war eine sechs Jahre währende Party, bis mein Vater, der den Spaß bezahlte, sagte: Schluss damit! Immerhin bis zum Vor-Diplom habe ich es gebracht. Von dem letzten Geld, das ich hatte, 5000 Mark, flog ich in die Karibik. Ohne Plan. So fing alles an.

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Der Generation meines Vaters, aber auch allen anderen, zu erklären versuchen, dass man Arbeit als etwas Störendes empfindet, ist nicht leicht. Er hat mich immer machen lassen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Aber er sagt auch heute noch, dass diese Arbeitsscheu wohl eine Krankheit sein müsse, die ich da mit mir herumschleppe.

„An der Arbeit bemisst sich in unserer Gesellschaft oft Ansehen und Respekt“

Er ist nicht der Einzige, der nicht verstehen kann, was ich da tue. Oft muss ich mich rechtfertigen, denn das Thema Arbeit ist so unglaublich tief verankert in unserer Gesellschaft. An ihr bemisst sich oft Ansehen und Respekt. Meine Schulfreunde sind Anwälte geworden, Ärzte, Architekten. Und ich bin Michael. Kein Titel, kein Abschluss.

In der Dominikanischen Republik fing ich an, als Reiseleiter auf Bustouren zu arbeiten. Herumreisen, in tollen Restaurants essen und den besten Hotels nächtigen. Was war das damals ein Leben…! Drei Jahre lang ging das so, ehe ich gefeuert wurde und auf einem Kreuzfahrtschiff anheuerte. In den fünf Jahren habe ich sechs Weltreisen gemacht: Japan, Brasilien, Alaska, Norwegen, alles gesehen. Ich hatte eine eigene Kabine, wie die Gäste auch, das Essen war kostenfrei. Nur die Getränke an der Bar musste ich bezahlen. Das war teuer genug.

Statt sechs Wochen Urlaub nur sechs Wochen Arbeit im Jahr

Ansonsten hatte ich kaum Ausgaben, genoss ein traumhaftes Leben, sparte viel. Zurück in Deutschland kaufte ich mir von dem Geld zwei Wohnungen, eine in München, eine in Iserlohn. Seitdem lebe ich von den Mieteinnahmen – und zwar gut. Ich mache seit fünf Jahren nach Rücksprache mit dem Finanzamt keine Steuererklärung mehr, da die Einnahmen gleichbleibend genau unter dem Grundfreibetrag liegen. Andere haben sechs Wochen Urlaub im Jahr, ich arbeite nur sechs Wochen im Jahr als Reisebegleiter auf einem historischen Sonderzug, der schöne Ziele in Europa anfährt.

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Acht Jahre Arbeit unter traumhaften Bedingungen waren das damals. Keinen Tag wollte ich länger arbeiten. Ich bin faul, dazu stehe ich. Das provoziert manche und manchmal mag ich das. Denn was mich stört, ist, wenn mich Leute für einen Taugenichts halten, nur weil ich keine Lust auf Arbeit habe. Ich fahre viel Bahn, oft auch auf der Strecke von Köln nach Frankfurt, wo die Männer mit ihren Hemden und Krawatten und Aktenkoffern verkehren. Und ich mittendrin. Im T-Shirt. Und dann frage ich mich: Wer hat jetzt alles richtig gemacht?

Junge Menschen sollten wissen: Es kann auch anders gehen

Hinter meinem Rücken nennen mich die Menschen eine faule Sau, belächeln mich als Spinner. Niemand muss so handeln wie ich es getan habe. Aber ich finde wichtig, dass auch junge Menschen wissen, dass es auch anders gehen kann. Natürlich, ich habe auch Glück gehabt: Der Wert meiner Wohnungen hat sich deutlich erhöht. Aber am Anfang stand die Erkenntnis, was mir guttut, und der Mut, danach zu handeln.

Wenn die Menschen auf ihr Leben zurückblicken, dann sagen viele: Ich hätte gern mehr Zeit gehabt für Menschen, die ich liebe, für die Dinge, die ich liebe. Mir soll es anders gehen. Ich mache das einfach jetzt. Und das immer schon. Das Leben muss man genießen, wenn man jung ist. Alles kommt zeitlich nur einmal. Man kann nichts wiederholen, nichts zurückdrehen.

Die meisten Menschen haben eine riesige Angst davor, eine Lücke im Lebenslauf zu haben. Mein ganzer Lebenslauf ist eine einzige Lücke. Ich habe es vielleicht auch leichter als andere: Ich bin Junggeselle. Aber auch das war mir früh klar, dass ich das so wollen würde. Seit einigen Jahren bin ich zurück in Iserlohn, ich lebe bei meinem Vater im Haus. Ich kümmere mich um ihn. Die Zeit dafür habe ich ja.“

(aufgezeichnet von Daniel Berg)

<<< HINTERGRUND >>>

Serie „Mein Leben“, die zwischen März und Mai 2021 erschien, befasste sich mit Menschen, die einen anderen Weg einschlagen, die sich rechtfertigen müssen, für das, was sie sind, was sie sein wollen. Menschen, die klassischen gesellschaftlichen Erwartungen freiwillig nicht entsprechen oder in ein Leben hineingeboren wurden, das ihnen Vorurteile und Diskriminierungen beschert.

Kernfrage der Serie: Wie offen und unbefangen ist der Umgang miteinander? Nach dem eigentlichen Ende der Serie wollen wir das Format in unregelmäßigen Abständen wieder aufleben lassen und Menschen den Raum geben, uns und Ihnen von sich zu erzählen.

Bisher erschienene Teile:
Mein Leben...

als homosexuelle Frau
als Autist
als Weltverbesserer
als junger Konservativer
als schwarze Frau
als Arbeiterkind an der Uni
als ältere Arbeitnehmerin
als Frau, die keine Kinder will
als Muslim

Alle Serienteile finden Sie unter: www.wp.de/mein-leben