Hagen. Es geht um Mordversuche, Gewalt und ein Schweigegelübde: In Hagen wird ab Montag der Rockerkrieg aufgearbeitet. Mit sechs angeklagten Bandidos.
Einmal, da haben sie es durchbrochen, dieses Schweigegelübde: Da sind Mitglieder der Hagener Rockergruppe Freeway Riders zur Polizei gegangen und haben Anzeige erstattet, weil in der Stadt am helllichten Tag auf ihr fahrendes Auto geschossen worden war. Von einem Bandido. Aber da wurde auch nur die Staatsmacht eingeschaltet, weil eine Frau im Auto saß, die kein Rocker-Mitglied ist. Da durften die eisernen Rocker-Regeln ausnahmsweise aufgebrochen werden. Ansonsten herrscht das Schweigen.
Ein Schweigen über mehrere versuchte Tötungsdelikte. Selbst die Opfer sagen wenig bis gar nichts. Polizei und Staatsanwaltschaft sollen außen vor bleiben, die brutalen Konflikte sollen untereinander ausgemacht werden. Ganz nach dem Prinzip der OMC’s – der Outlaw Motorcycle Clubs, die sich nicht an die Gesetze gebunden sehen, und zu denen unter anderem die Bandidos, die Hells Angels und die Freeway Riders gezählt werden.
Schon jetzt 32 Prozesstage geplant
Und so müssen sich die Ermittler auf eine in mühevoller Arbeit entstandene Indizienkette stützen, wenn am Montag der erste von zwei großen Bandidos-Prozessen am Landgericht Hagen startet. Gleich sechs Mitglieder oder Anwärter der Rockergruppe im Alter von 27 bis 53 Jahren müssen sich verantworten. 32 Prozesstage hat die Schwurgerichtskammer schon jetzt terminiert. Aufgearbeitet werden sollen nicht nur zwei versuchte Tötungsdelikte, sondern auch eine Reihe weitere Delikte, die auf den ersten Blick gar nicht so gravierend erscheinen.
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Da wurde etwa in einer Shisha-Bar ein Mann gezwungen, sein T-Shirt auszuziehen, weil das angeblich Sympathie für eine andere Rockergruppe erkennen ließ. Und da wurden Waffen und andere verbotene Gegenstände wie Schlagringe gefunden. Alle die Punkte seien für die Anklage aber dennoch wichtig, so Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli: „Das sind Bausteine, die nach unserer Ansicht zeigen, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt.“
Als zumindest in Teilen kriminelle Vereinigung werten die Ermittler aber nicht nur die Bandidos, sondern auch die Freeway Riders. Dabei hatte man in Hagen über Jahre nicht selten mit einem im Zweifel eher wohlwollenden Blick auf die Mitglieder der 1974 in Hagen gegründeten Freeway Riders geschaut. Motto: Das sind zwar keine Waisenknaben, aber eigentlich ganz nette Jungs, die Feten veranstalten und auch für das Tierheim spenden.
Machtdemonstrationen
Mit diesem Schuss Rocker-Romantik war es aber spätestens 2018 vorbei. Die Bandidos hatten seit einiger Zeit versucht, im Freeway-Riders-Stammland Hagen Fuß zu fassen, auf einmal waren verstärkt Kutten mit den Buchstaben BMC für „Bandidos Motorcycle“ Club im Stadtbild zu sehen und die Freeway Riders reagierten unter anderem mit einem Marsch durch die Stadt. Diese Machtdemonstrationen endeten dann schließlich in eine Orgie der Gewalt im Sommer und Herbst 2018 – im so genannten „Hagener Rockerkrieg“. Auf offener Straße wurden Schüsse abgegeben, und zwar von beiden Seiten. Die Rocker hatten sich hochgerüstet.
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Es gab Schwerverletzte und Männer, die um ihr Leben fürchten mussten. Doch zur Polizei gingen sie alle nicht. Die Ermittler stießen auf eine Mauer des Schweigens, die nur einmal durch die Aussagebereitschaft eines damaligen Freeway-Riders-Mitglied ein wenig löchrig wurde. Ansonsten mussten sie mühsam Stück für Stück recherchieren, Telefonüberwachungen einsetzen und Whats-App-Nachrichten mitlesen, um das Puzzle zusammenzusetzen.
Das Puzzle wird immer größer
Und das ist inzwischen weit über den ursprünglichen Rahmen des Hagener Rockerkriegs herausgewachsen. Der Umarex-Prozess in Arnsberg wäre so wohl nicht zustande gekommen: Ein Mitarbeiter des Waffenherstellers aus dem Sauerland hatte immer wieder Einzelteile aus der Firma geschmuggelt, sie zuhause zusammengebaut und die Waffen unter anderem auch über Mittelsmänner in die Rockerszene verkauft.
Und auch der zweite Bandidos-Prozess am Landgericht Hagen, der bald ansteht, ist ein überraschendes Ergebnis der Hagener Ermittlungen: Denn es geht um den Rockerkrieg in Köln, wo Bandidos unter anderem auf das Café Jokers, einen Treffpunkt der verfeindeten Hells Angels, geschossen hatten. Ein Fall, der für viel Aufsehen gesorgt hatte, der jetzt aber unter anderem deshalb in Hagen verhandelt wird, weil in Schwerte der Plan dafür ausgeheckt worden sein soll. Und zwar auf Anweisung und mit Billigung der NRW-Führungsebene der Bandidos, wie sich Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli sicher ist: „Die Bandidos sind absolut hierachisch organisiert, es ist nicht denkbar, dass die Spitze davon nichts wusste.“
Vorwurf: Mordversuch
Nun geht es aber zunächst ab Montag um den Hagener Rockerkrieg im engeren Sinne. Der hat die Justiz schon bislang erheblich belastet. 31 Verhandlungstage und nahezu ein Jahr dauerte der Prozess gegen ein Freeway-Riders-Mitglied, der einen Bandido in der Hagener Innenstadt auf offener Straße niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt haben sollte. Der Kfz-Gutachter, der zuvor auch als Sachverständiger vor Gericht aufgetreten war, ist inzwischen zu fünfeinhalb Jahren Haft wegen versuchten Totschlags verurteilt worden.
Zuvor war bereits ein Bandidos-Mitglied zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Der 33-Jährige hatte auf einen fahrenden Pkw geschossen, in dem Freeway-Riders-Mitglieder saßen. Damals konnte ihm nicht der versuchte Mord nachgewiesen werden. Ob das diesmal anders wird? Denn der 33-Jährige, der schon länger wegen des ersten Urteils in Haft sitzt, soll noch zwei weitere Male auf Freeway Riders geschossen haben. Einmal in Hagen-Haspe, einmal in der Hagener Stadtmitte -- und zwar dort mit Hilfe eines 46-jährigen Bandidos-Mitglieds aus Iserlohn.
Auch hier gilt in beiden Fällen, dass sich die Opfer nie bei der Polizei gemeldet hatten. Die kam erst durch die intensiven Ermittlungen auf die Taten. Und die könnten nun für lange Haftstrafen sorgen: Bis zu 15 Jahre sieht das Strafgesetzbuch für den Mordversuch vor. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.
Rocker weiter präsent
Haben die Aussicht auf hohe Haftstrafen, die massiven Razzien, bei denen Hunderte Polizisten und sogar Räumpanzer zum Einsatz kamen, die Rockerszene beeindruckt? Zumindest ist es ruhig geblieben seit dem Herbst 2018. „Uns sind keine weiteren massiven Straftaten bekannt“, sagt der Oberstaatsanwalt. Aus dem Stadtbild verschwunden sind die Männer mit den Bandidos-Kutten aber nicht. Sie sind weiter unterwegs.
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Aber es hat Bewegung gegeben: Sowohl die Bandidos als auch die Freeway Riders haben ihre Chapter in Hagen aufgelöst. Wohl auch, um einem möglichen Verbot zuvorzukommen. Ob mit diesem Akt aber auch die Strukturen verschwunden sind, ist fraglich. Sowohl die Bandidos als auch die Freeways haben im Hagener Stadtbezirk Hohenlimburg neue Chapter gegründet. Zumindest die Freeway Riders behaupten aber, dass es sich keineswegs um eine Nachfolgeorganisation handele. Die Polizei hat die Szene weiter im Blick. Und Oberstaatsanwalt Pauli zweifelt, dass es den Rockern künftig nur um Feiern, Motorradfahrern und Rockerehre gehen wird: „Es geht um Revierkämpfe, um massive wirtschaftliche Interessen in den Bereichen Schutzgelder, Prostitution sowie Waffen- und Drogenhandel.“
>> HINTERGRUND: Bandios-Größen schreiben sogar ein Buch
- Bei dem zweiten Bandidos-Prozess, in dem es um die Schüsse in Köln gehen wird, sitzen auch Peter M. und Leslav H. auf der Anlagebank. Sie gelten als die führenden Köpfe der Bandidos in NRW und haben schon ein Buch über ihre Rocker-Zeit geschrieben: „Ziemlich böse Feinde“.
- Die Bandidos gelten laut Landeskriminalamt als Nummer 1 in der Rockerszene in NRW mit 800 Mitgliedern, Platz 2: Freeway Riders (400). Es folgen „Gremium MC“ (330), „Hells Angels“ (270).