Berlin. ADHS ist bekannt, doch es gibt auch eine Variante ohne das H: ADS. Wo der wesentliche Unterschied liegt – und warum dies wichtig ist.
ADHS hat inzwischen wohl jeder schon mal gehört. Diese Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung macht sich meistens bei Kindern bemerkbar, wird aber teilweise erst im Erwachsenenalter festgestellt. Die Hauptsymptome von ADHS sind Impulsivität, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität.
Laut dem Bundesministerium für Gesundheit umschreibt der Begriff ADHS auch jene Ausprägung der Erkrankung, bei der keine hyperaktiven Verhaltensweisen beobachtet werden, sondern nur Aufmerksamkeitsstörungen vorliegen: ADS. Doch bedeutet das, dass lediglich die Hyperaktivität bei Menschen mit ADS wegfällt, oder können sie auch weitere Symptome haben?
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Chefarzt: Das ist für Personen mit ADS kennzeichnend
Einer, der sich schon länger mit AD(H)S beschäftigt, ist Daniel Schöttle. Er ist Chefarzt der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Asklepios Klinikum in Harburg. Der Experte erklärt: „Es gibt keine Zusatzsymptome bei ADS – es fallen vielmehr die hyperaktiven und impulsiven Symptome weg.“ Kennzeichnend für Menschen mit ADS sei die Aufmerksamkeitsstörung. Schöttle hebt hervor: „Während frühere Studien davon ausgehen, dass der kombinierte Typ am häufigsten vorkommt, zeigte eine neue Meta-Analyse, dass der häufigste Subtyp wahrscheinlich sogar der unaufmerksame Typ der ADHS ist.“
ADS und ADHS äußert sich bei Betroffenen laut Schöttle unter anderem wie folgt:
- Flüchtigkeitsfehler
- kurze Aufmerksamkeitsspanne
- nicht richtig zuhören können
- Aufgaben anfangen und nicht zu Ende bringen
- Schwierigkeiten, sich zu strukturieren und zu organisieren
- Verlust von Gegenständen
- Leichte Ablenkbarkeit: im Äußeren und Inneren (Tagträumereien und innere Fantasien)
Symptome, die ausschließlich bei Menschen mit ADHS vorliegen:
- Impulsivität: Menschen mit ADHS handeln oft unüberlegt und treffen Entscheidungen, ohne die möglichen Konsequenzen zu bedenken.
- Hyperaktivität: Betroffene haben einen auffälligen Bewegungsdrang und haben Schwierigkeiten, stillzusitzen oder ruhig zu bleiben.
Menschen mit reinem ADS kämpfen also meist primär mit Unaufmerksamkeit. „Unaufmerksamkeit gehört zu den AD(H)S-Symptomen, die nur unglaublich schwierig kompensiert werden können, da es der willentlichen Verhaltenskontrolle am wenigsten unterliegt“, erklärt Alexandra Philipsen, Chefärztin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn.
„Hier kann es einzelnen Menschen helfen, Achtsamkeitsübungen zu erlernen oder auch zu meditieren und dabei zu versuchen, gezielt und regelmäßig die Aufmerksamkeit zu trainieren“, meint Philipsen. Daniel Schöttle ergänzt, dass auch Psychoedukation, Coaching, Therapie und Sport helfen können – sowohl bei dem unaufmerksamen, als auch bei dem hyperaktiven und impulsiven Typ. „Nicht jeder muss Medikamente nehmen, diese sind aber sehr effektiv und viele profitieren davon“, sagt der Experte.
Doch warum ist es wichtig, zwischen ADS und ADHS zu differenzieren? Laut Schöttle werde dadurch klar, dass AD(H)S ein Spektrum sei und unterschiedliche Verhaltensweisen und Symptome umfasse. Der Arzt betont: „Es sind eben nicht alle die aufgedrehten Zappel-Philippe. Es ist wichtig, auch das Augenmerk auf Menschen zu richten, die eher dem primär unaufmerksamen Typ zuzuordnen sind und von außen unauffällig wirken.“ Verträumte Mädchen zum Beispiel würden oft eher als unauffällig wahrgenommen und die Erkrankung daher häufig erst später erkannt.
Begleiterkrankungen bei AD(H)S: So viele sind betroffen
Tatsächlich ist es so, dass bei Mädchen und Frauen mit ADS deutlich häufiger die unaufmerksame Form der Störung zu finden ist. Bei Jungen und Männern ist es dagegen eher die vielen geläufigere hyperaktive und impulsive Form. Laut der beiden Experten müssen Personen mit AD(H)S oft einen hohen Aufwand betreiben, um ihre beruflichen und schulischen Ziele zu erreichen.
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Schöttle zufolge entwickeln im Verlauf ungefähr 80 Prozent der Menschen mit AD(H)S Begleiterkrankungen, wie Abhängigkeitserkrankungen, affektive Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen. Er hebt hervor: „Dass AD(H)S allein vorkommt, ist eher selten.“
AD(H)S, vor allem unerkannt, kann also hohen Leidensdruck auslösen. Auch können Betroffene laut dem Experten in einen Hyperfokus schalten und sich stundenlang konzentrieren, wenn sie für etwas brennen. Es stimme nicht, dass sie sich immer nicht konzentrieren können. Schöttle aber gibt zu bedenken: „Im Alltag muss man auch viel erledigen, was uninteressant ist. Dann können Probleme entstehen.“
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Ob das Leben von Personen mit ADS und ADHS gleichermaßen beeinträchtigt wird, könne man Daniel Schöttle zufolge nicht eindeutig beantworten. Das komme auf den Ausprägungsgrad und die Kompensationsmechanismen an, die man im Laufe des Lebens für sich entwickelt habe. Wenn sich jemand ein Umfeld geschaffen habe, dass an seine Symptome angepasst sei, könne die AD(H)S auch wenig belastend sein, so der Experte: „Die damit einhergehenden Stärken können sich dann voll entfalten“, meint Schöttle.
Entscheidend dabei sei auch, ob man eine Nische für sich gefunden habe und mit Menschen zusammen sei, die einen unterstützen. Als Beispiel nennt Schöttle: „Wenn jemand Werbetexter ist und auf ungewöhnliche Ideen kommt, dann kann dieses Blitzhafte und die Kreativität, die damit verbunden ist, etwas Vorteilhaftes sein. Wenn jemand aber ADHS oder ADS hat und als Steuerberater Excel-Tabellen erstellt, dann ist das möglicherweise nicht der ideale Job.“