Berlin. Höchstleistung dank Hyperfokus: Menschen mit ADHS können in den Zustand höchster Konzentration kommen. Wie das geht, sagt die Expertin.
- ADHS bedeutet nicht nur Hyperaktivität und Unkonzentration: Erwachsene können sich auch in eine gesteigerte Form der Konzentration bringen
- Menschen sind während der Hyperfokussierung deutlich leistungsfähiger als üblich und blenden sogar Hunger aus
- Wie kann man sich in den Zustand des Hyperfokus bringen?
ADHS ist mehr als Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität: Neben vielen mitunter störenden Faktoren schlummern zahlreiche Potenziale in ADHS-Betroffenen. Eines davon ist der sogenannte Hyperfokus – ein Zustand erhöhter Konzentration. Sandra Amrein, Präsidentin der Informations- und Beratungsstelle für Erwachsene mit ADHS (adhs20+), erklärt, was das Phänomen für Menschen mit ADHS bedeutet und welche Chancen und Gefahren durch den Hyperfokus entstehen können.
Höchstleistung bei Menschen mit ADHS: Was ist der Hyperfokus?
Der Begriff Hyperfokus beschreibt einen Zustand intensiver Konzentration. Ähnlich wie beim Flow-Zustand sind Menschen während der Hyperfokussierung deutlich leistungsfähiger als üblich, da sie jegliche Störfaktoren aus der Umwelt ausblenden – selbst Hunger, Durst oder Harndrang werden nebensächlich. So können sie sich besonders fokussiert mit einem Thema beschäftigen.
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Wie erleben ADHS-Betroffene den Hyperfokus?
Menschen mit ADHS haben häufig Schwierigkeiten, sich auf eine einzelne Aufgabe zu konzentrieren, und neigen zum Aufschieben. "Stehen sie dann unter Druck, manövrieren sie sich letztlich in diesen Flow, wo Denken, Fühlen und Handeln in Übereinstimmung kommen.", sagt Sandra Amrein von adhs20+.
Im Gegensatz zu sonstiger innerer Unruhe, Anspannung und Zerstreutheit erleben Menschen mit ADHS im Zustand der Hyperfokussierung ein Gefühl des Fokus, innerer Klarheit und Wohlbefinden. "In diesem Hyperfokus gelingt es ihnen, alles auf einem Mal zu erledigen, was zuvor tagelang schlechtes Gewissen und Schuldgefühle verursachte", so Amrein. Erwachsene mit ADHS würden etwa begeistert von einem neuen Projekt sprechen und seien Tag und Nacht gedanklich und in ihrem Tun vollkommen absorbiert. Lesen Sie auch: ADHS bei Erwachsenen – So machen Sie den Test
Wie erreichen ADHS-Betroffene den Zustand des Hyperfokus?
Gelingt es den Betroffenen in den Zustand des Hyperfokus zu kommen, ist es ihnen trotz des Aufmerksamkeitsdefizits möglich, sich dauerhaft mit einem Thema oder einer Arbeit auseinanderzusetzen. Voraussetzung dafür ist, dass die Aufgabe für die ADHS-Betroffenen eine hohe subjektive Relevanz hat.
"Menschen mit einer ADHS-Disposition sind stark intrinsisch motiviert. Wenn ein Thema sie subjektiv zu begeistern vermag, gelangen sie in diesen Hyperfokus, auch Röhrenblick genannt, wo sie keinen Aufwand scheuen, alles bis ins letzte Detail zu erforschen und zu erkunden, was zu Höchstleistungen und Neuentdeckungen führen kann", erklärt Amrein.
ADHS: Welche Probleme können durch Hyperfokussierung entstehen?
Sandra Amrein betont, dass eine starke Fokussierung auf ein Thema auch zu Schwierigkeiten führen kann. Der Hyperfokus kennt keine Pausen und beutet ADHS-Betroffene oft physisch und psychisch aus. Oft geht das so weit, dass es Betroffenen schwerfällt, sich im Alltag oder im Gespräch mit Mitmenschen gedanklich von dem Thema, das sie beschäftigt, abzulösen. Diese unbewusste Selbstausbeutung ist neben anderen Faktoren ein Grund für die höhere Burn-out-Gefährdung bei Menschen mit ADHS.
Was folgt, ist der sogenannte negative Hyperfokus. "Eine Ablehnung, Kritik oder gar nur eine irritierende Bemerkung kann Menschen mit einer ADHS-Veranlagung in diesen eingeschränkten Gedankenstrudel voller negativen Assoziationen verfrachten", erklärt die Expertin. "Sie sind in diesem Augenblick dem Stress ausgeliefert und reagieren nur noch instinktiv – explodierend oder implodierend: Gegenangriff und Verteidigung oder Flucht und Blockade." Auch interessant: ADHS bei Erwachsenen – Betroffene erklärt, was wirklich hilft
Wie können ADHS-Patienten den Hyperfokus steuern?
Die Informations- und Beratungsstelle für Erwachsene mit ADHS adhs20+ bietet auf ihrer Webseite eine Reihe von Coaching-Tipps für ADHS-Betroffene – auch im Bezug zum Hyperfokus. Ein wichtiger Schritt ist, Selbstfürsorge zu lernen. Zu erkennen, was einem guttut und das auch umzusetzen, muss nicht nur von Kindern und Jugendlichen, sondern oft auch von Erwachsenen erst gelernt werden.
Folgende Fragen können Sie sich selbst stellen:
- Wann arbeite ich gut?
- Welches Essen tut mir gut?
- Wie viel Schlaf brauche ich?
- Wie organisiere ich benötigte Pausen?
- Wie reagiere ich auf Anforderungen von außen?
- Wie kann ich mich selbst motivieren?
- Wie kann ich mich selbst antreiben aber auch stoppen?
- Wie kann ich nein sagen?
- Wie zeigt mir mein Körper, wenn es zu viel wird?
Für einen bewussten Umgang mit dem Hyperfokus ist es notwendig, sowohl die eigenen Stärken als auch Schwächen zu erkennen. Erst dann gelingt es Menschen mit ADHS ,das Steuerrad selbst an die Hand zu nehmen, um den positiven Hyperfokus zu starten und den negativen zu unterbrechen.