Berlin. Eckart von Hirschhausen hat ADHS. Das hat er während der Arbeit an einer Doku zum Thema herausgefunden. Sein Bekenntnis dazu: wichtig!
Der Mediziner, Moderator und Kabarettist Eckart von Hirschhausen hat nach eigenen Angaben ADHS. Darüber spricht er nun anlässlich einer neuen TV-Dokumentation erneut öffentlich. Die Diagnose bekam er während der Dreharbeiten zum Film. Dass er betroffen sein könnte, ahnte er aber schon länger, wie er in einem Interview mit „Zeit Online“ erzählt: „Ich hatte schon lange einen Verdacht.“ Damit ist er kein Einzelfall.
Laut Hirschhausen sind in Deutschland etwa zwei Millionen Erwachsene von der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, betroffen – oft, ohne es zu wissen. „Gerade Mädchen und Frauen leiden anders, stiller, einsamer, und kämpfen oft zusätzlich mit Angst, Depressionen oder Sucht“, sagt er im Interview. Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) bestätigt diese Zahl.
ADHS-Betroffene: Experten gehen von hoher Dunkelziffer aus
„Wir wissen aus sogenannten epidemiologischen Daten – also Studien mit diagnostischen Untersuchungen an repräsentativen Stichproben –, dass in der Allgemeinbevölkerung die Häufigkeit von ADHS im Erwachsenenalter zwischen zwei und drei Prozent liegt“, erklärt DGPPN-Vorstandsmitglied Andreas Reif unserer Redaktion. „Davon ist aber nicht einmal jeder Hundertste diagnostiziert. Das weist darauf hin, dass wir im Bereich der Erwachsenen eine Unterdiagnostik haben.“
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Umso wichtiger, dass ADHS in jüngster Vergangenheit immer mehr – auch mediale – Aufmerksamkeit erfährt. „Gerade unter Menschen in Medienberufen und speziell bei Komikern gibt es viele mit Symptomen und schon einige, die sich dazu auch öffentlich äußern“, sagt Hirschhausen.
Hirschhausen selbst bekam seine Diagnose von Alexandra Philipsen, die sich bereits seit Ende der 90er-Jahre intensiv mit dem Thema ADHS im Erwachsenenalter auseinandersetzt. In der Dokumentation fungiert die Chefärztin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn ebenfalls als Expertin.
ADHS-Expertin: „Hirschhausens Diagnose überrascht mich nicht“
Im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt Philipsen schmunzelnd: „Ich habe Eckhart von Hirschhausen schon vor etlichen Jahren auf der Bühne erlebt – lange vor unserer Zusammenarbeit. Dass es jetzt tatsächlich zur ADHS-Diagnose kam, überrascht mich nicht, auch wenn die Ausprägung beziehungsweise die Beeinträchtigungen moderat sind.“ Seine „unglaublich spritzige und assoziative Art“ habe schon an ADHS denken lassen.
„Ich finde es mutig, dass er damit in die Öffentlichkeit geht“, sagt Philipsen. Denn logischerweise löse eine solche Offenbarung nicht nur positive Diskussionen aus. „Aber es ist ein wichtiger Schritt. Die Aufmerksamkeit wird anderen Betroffenen helfen, Ärzte und Umfeld werden so immer sensibler für das Thema.“
Auch Hanna Christiansen, Leiterin der ADHS-Ambulanz für Erwachsene an der Philipps-Universität Marburg, begrüßt sehr, dass sich Hirschhausen und andere Prominente öffentlich zu ihrer Diagnose bekennen. „Je mehr Leute öffentlich machen, dass sie unter psychischen Belastungen oder einer psychischen Störung leiden, desto eher führt das auch zu einem Wandel in der Gesellschaft, endlich anzuerkennen, dass psychische Erkrankungen zum Leben dazugehören“, betont Christiansen.
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ADHS hat auch seine guten Seiten
„Die größte Barriere, Hilfe in Anspruch zu nehmen, sind nach wie vor Stigma und Scham“, sagt die ADHS-Spezialistin. Dabei sei ADHS nichts, wofür man sich schämen müsse. „Genau wie es auch Eckart von Hirschhausen nun tut, kann man nicht oft genug deutlich machen, dass ADHS nicht nur zu Schwierigkeiten führen kann, sondern auch Stärken mit sich bringt – etwa ein hohes Maß an Kreativität oder die Fähigkeit, sich extrem gut auf etwas zu fokussieren, wenn es von Interesse ist.“
Als typische Anzeichen für ADHS gelten Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit. Hyperaktivität muss sich laut Christiansen aber nicht unbedingt immer äußerlich, etwa durch Bewegungsdrang, bemerkbar machen, sondern kann sich auch durch innere Unruhe oder Unaufmerksamkeit durch Tagträumerei bemerkbar machen.
„Auch chronische Prokrastination ist ein verbreitetes Problem bei Menschen mit ADHS“, ergänzt Philipsen. „Wenn sie die Zeit dafür haben, schaffen sie es einfach nicht, Dinge zu erledigen. So sehr sie es auch wollen. Gleichzeitig fällt es ihnen schwer, sich wirklich zu entspannen – mal nichts zu tun.“ Die ADHS-Expertin spricht von den klassischen „Hummeln im Hintern“.
Erkennt man an sich selbst Symptome, ist das jedoch noch kein Grund zur Panik. „Es muss nicht unbedingt ein Problem sein, wenn man Symptome einer ADHS aufweist“, beruhigt Reif von der DGPPN. Er ist Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums Frankfurt und ebenfalls Spezialist für ADHS im Erwachsenenalter. „Die Frage ist, ob es als Belastung empfunden wird und zu Problemen im Alltag führt, die man behandelt haben möchte.“
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ADHS: Selbsttests zu Hause sind nicht aussagekräftig
Menschen, die merken, dass sie immer wieder wegen ihrer Symptomatik anecken oder in Schwierigkeiten geraten, rät Reif, eine Psychiaterin oder einen Psychologen aufzusuchen, der auf dem Gebiet Erfahrung hat, und erst einmal eine diagnostische Abklärung machen zu lassen.
Denn – mediale Aufmerksamkeit hin oder her – ADHS ist eine sogenannte klinische Diagnose. „Es gibt keinen einfachen Test, den man zu Hause machen kann, auf den man dann direkt und einfach eine Antwort bekommt“, betont Reif. „Stattdessen beruht die Diagnose auf einer sorgfältigen Anamnese, das heißt der Befragung von Patienten und auch Angehörigen.“ Zudem würden unter anderem auch die Schulzeugnisse angeschaut und andere Erkrankungen ausgeschlossen.
Wie aufschlussreich es sein kann, Angehörige einzubeziehen, musste auch Eckhart von Hirschhausen feststellen, der seine Frau mit zur Diagnostik nahm. „Ich dachte bei vielen Fragen ‚Ja, okay, das trifft ein bisschen zu, ich geb‘ mir mal eine Drei‘, und meine Frau lachte nur und sagte ‚Ganz klar eine Fünf!‘“, erzählt er im „Zeit“-Interview.
Thematisch ging es etwa darum, ob Hirschhausen Dinge verliere, die ihm wichtig sind, ob er im Voraus plane, ob er immer auf Achse sei, wie von einem Motor getrieben, ob es ihm schwerfalle abzuwarten, bis andere ausgesprochen haben, und er anderen ins Wort falle. Oder aber, ob er nicht richtig zuhöre, wenn jemand etwas zu ihm sage.
Gerade Letzteres sei ein häufiger Konfliktpunkt, sagt Christiansen. „Wenn man im Gespräch nicht aufmerksam ist, nicht zuhört, nehmen das einem die Interaktionspartner oder -partnerinnen irgendwann wirklich übel – egal ob Promibonus oder nicht.“