Berlin. Menschen mit ADHS haben im Alltag mit Problemen zu kämpfen. Das hat auch Folgen für die Beziehung. Ein Experte gibt Betroffenen Rat.
Sie können mitreißend sein, begeisterungsfähig und voller Ideen: Menschen mit ADHS stecken oft voller Lebensfreude, so Experten. In der Partnerschaft allerdings zeige sich dann auch die andere Seite des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom – wie Stimmungsschwankungen oder der Hang zur Unzuverlässigkeit, der nicht selten zu Chaos führt. Beziehungsprobleme sind bei ADHS-lern deshalb keine Seltenheit, weiß Psychotherapeut und Leiter der EOS-Klinik-Ambulanzen Thomas Miebach. Er verrät im Interview, was betroffene Paare tun können, welche Rolle dabei „Gebrauchsanweisungen“ spielen und was passiert, wenn zusätzlich Kinder ins Spiel kommen.
ADHS in Beziehung: Diese Konflikte erleben viele Paare
Es heißt, viele ADHS-Betroffene suchen Partner, die ebenfalls ADHS haben. Wie kommt das?
Thomas Miebach: Es gilt wohl das Prinzip von „gleich und gleich gesellt sich gern“. Es ist auch nachvollziehbar. So weiß jeder Bescheid, wie sich der andere fühlt. Man kann sich gut in den anderen hineinversetzen. Was gar nicht so bekannt ist: Oft sind diese Menschen ja nicht nur impulsiver oder weniger bis gar nicht organisiert, sondern auch deutlich toleranter als der Durchschnitt. Diese Offenheit ist auch häufig bei Menschen mit Autismus oder Hochbegabung zu erkennen. Sie sind offener für ein Verhalten, das von anderen als abwegig bezeichnet wird.
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Vor allem durch die hohe Impulsivität der Betroffenen kommt es laut Untersuchungen häufig zu Problemen in der Beziehung.
Miebach: Ganz genau. Am Anfang klappt es meist sogar noch super. Man muss sich einfach vorstellen, dass es auch sehr mitreißende Persönlichkeiten sind, sehr begeisterungsfähige Menschen mit großem Unternehmens- und Aktivitätsdrang. Aber auf der anderen Seite fehlt ihnen dann oft die Fähigkeit, den Alltag zu organisieren. Doch dann bricht ganz schnell das Chaos aus. Und dann herrscht Zoff in der Beziehung.
Was kann man dagegen tun?
Miebach: Es sind erstmal wirklich häufig die organisatorischen Dinge, die nicht laufen. Haushaltsmanagement. Terminmanagement.
Das heißt, geputzt wird nicht? Und Rechnungen bleiben auch liegen?
Miebach: Genau. Das wird dann sehr schnell sehr unübersichtlich. Da ist Hilfe gefragt.
Was kann man genau tun?
Miebach: Hier sind dann die Behandlungen oft ganz praktisches Coaching. Es geht dabei um ganz banale Dinge wie Erstellen eines Wochenplans mit einfachen Aufgaben und Zuständigkeiten zum Beispiel für den Kühlschrank oder die Spülmaschine.
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Aufgaben verteilen allein hilft ja meistens wenig. Und führt häufig noch zu Streit, wenn einer den anderen daran erinnert, dass die Spülmaschine immer noch nicht ausgeräumt ist.
Miebach: In der Tat. Das muss vorher ausgehandelt sein, dass man darauf angesprochen werden darf, wenn etwas nicht gemacht wurde. Beide haben eingewilligt, Strukturen erlernen zu wollen. Das ist dann schon mal eine gute Basis. Aber leicht ist das keinesfalls.
Medikamente gegen ADHS helfen oft nur bedingt
Wäre es dann nicht sinnvoll, in schweren Fällen jemanden als eine Art Alltagshelfer einzustellen?
Miebach: Das ist oft wirklich sinnvoll. Das wird in der Therapie dann auch genau besprochen, ob man sich zum Beispiel eine Reinigungskraft leisten kann. Und ob das überhaupt sinnvoll ist. Weil das ja vorbereitet werden muss. Putzen im Chaos geht ja nicht. Und oft ist das dann schon ein Problem.
Die Therapie ist also mehr ein Coaching?
Miebach: Ja, es geht hier wirklich um Handfestes. Um Haushaltspläne und klare Organisationsstrukturen.
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Können auch Medikamente auf der Basis von Methylphenidat (z.B. Ritalin) helfen?
Miebach: Helfen kann es durchaus. Hier ist eine gute fachärztliche Betreuung wichtig, zum Beispiel zu der Frage, ob das Medikament auf Dauer regelmäßig eingenommen werden sollte oder auch zwischenzeitlich ausgesetzt werden kann. Und: Oft erwarten Betroffene von der Medikation eine durchschlagende Wirkung. Die gibt es manchmal auch tatsächlich, aber häufiger ist ein geringer bis mittlerer Effekt. Die Einstellung auf die Medikation braucht außerdem ihre Zeit. Es muss dann geschaut werden, ob sie es regelmäßig einnehmen oder nur dann, wenn sie einen Bedarf verspüren, was vielen Betroffenen im Vorfeld auch nicht klar ist.
Experte: „Man muss sich unbedingt Zeit geben“
Wie funktionieren denn Beziehungen, wenn nur ein Partner ADHS hat?
Miebach: Es hört sich seltsam an, aber hier hat es sich als hilfreich erwiesen, wenn die Partner eine Art „Gebrauchsanweisung“ füreinander aufstellen. „Was bringt mich auf die Palme?“, „Was kann mir helfen, von der Palme wieder runter zu kommen?“, „Was ist dabei meine Aufgabe?“, „Wie kannst du mich unterstützen?“
Und wie läuft es dann?
Miebach: Im Haushalt empfehlen wir dann klare Aufgabenverteilungen. Wobei zu sagen ist, dass ADHS-Männer häufig keinen großen Hang zu bestimmten Haushaltsdingen haben. Da ist dann der Beziehungszoff schon programmiert, weil die Partnerin verständlicherweise keine Lust hat, den Haushalt alleine zu organisieren. Hilfreich ist hier, sich klar zu machen, dass Menschen mit ADHS länger brauchen, Routinen aufzubauen – aber besonders davon profitieren, wenn es ihnen trotzdem gelingt. Also: klare Zuständigkeiten, und aufteilen, wem was leichter fällt. Betroffene wählen dann oft lieber Staubsaugen und Rasenmähen als zum Beispiel Bügeln.
Wie stehen die Chancen, dass die Beziehung das alles gut übersteht?
Miebach: Man muss sich unbedingt Zeit geben. So Routinen aufzubauen, dauert bestimmt zwei, drei Monate, mit Rückschlägen. Dann nicht aufgeben, sondern am Ball bleiben, erinnern – irgendwann klappts. Man kann auch sagen: ADHS-Partner können wahnsinnig anstrengend sein – aber langweilig wird es mit ihnen nie.
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Was ist, wenn dann Kinder kommen?
Miebach: Natürlich birgt es Risiken, wenn Mütter oder Väter schnell an die Decke gehen. Aber diese Menschen haben viel über sich gelernt. Sie wissen ja, dass sie anecken und kommunizieren dann oft sehr gut. Und sie haben auch gelernt, sich zu entschuldigen, wenn sie zu sehr herumgebrüllt haben oder wütend wurden. Das ist etwas ganz Wichtiges. Es ist manchmal leichter für Kinder, das Herumschnauzen wegzustecken als Liebesentzug von sehr kontrollierten Müttern oder Vätern. Meist ist es nach einem impulsiven Ausbruch auch sofort wieder gut. Kinder können sogar davon profitieren, wenn diese Eltern sich ihnen viel stärker mitteilen und zeigen, wie man als Erwachsener mit Schwächen umgehen kann.