Berlin. Experten warnen vor tödlichen Pilzinfektionen. Besonders vier Arten geben Anlass zur Sorge. Eine davon verbreitet sich von Mensch zu Mensch.

Corona, Mpox, Vogelgrippe: Wir haben zuletzt viel über Viren gelernt, die die öffentliche Gesundheit bedrohen. Jetzt hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt, dass es ebenso viel Aufmerksamkeit für krankmachende Pilze bräuchte. Experte Prof. Bernhard Hube erklärt, welche Arten Anlass zur Sorge geben, warum sie so gefährlich sein können und was gegen sie hilft. 

Herr Hube, was sagen Sie zu der Warnung der WHO?

Bernhard Hube: Sie ist absolut richtig. Pilze werden unterschätzt, das predigen wir seit langer Zeit. Es gibt drei bis fünf Millionen Arten, aber nur etwa 150 bis 400 davon sind humanpathogen, können uns also krank machen. Diese wenigen Arten verursachen jedes Jahr Milliarden von Pilzinfektionen. Ein Fünftel der Weltbevölkerung ist mit Hautpilzen infiziert, und zwei Drittel aller Frauen erleiden mindestens einmal im Leben eine vaginale Candida-Infektion.

Diese Pilzinfektionen sind unangenehm, aber nicht lebensbedrohlich. Anders ist das bei systemischen oder invasiven Infektionen. Pro Jahr sterben daran weltweit mindestens 1,5 Millionen Menschen. Neuere Schätzungen gehen sogar von noch höheren Todesraten aus. Bei Tuberkulose, die als tödlichste von Bakterien verursachte Infektionskrankheit gilt, sind es 1,3 Millionen.

Pilzinfektionen: „Es gibt Menschen, die es zu schützen gilt“

Aber Pilzinfektionen sind doch nicht neu.

Hube: Sie wurden schon bei den alten Griechen im vierten Jahrhundert vor Christus beschrieben. Es gibt auch keinen Grund zur Panik. Aber es gibt Menschen, die es zu schützen gilt. In der Hauptsache sind immungeschwächte Patienten in Krankenhäusern von lebensbedrohlichen Pilzinfektionen betroffen.

Laut WHO sind vier Pilze besonders gefährlich: Cryptococcus neoformans, der eine Hirnhautentzündung auslösen kann, Candida auris, der unter anderem das zentrale Nervensystem, Organe und Knochen befallen kann, Aspergillus fumigatus, der sich unter anderem in der Lunge einnistet, und Candida albicans. Teilen Sie die Sorge?

Hube: Ja. Bei uns in der Forscher-Gemeinschaft sind diese Pilze als verborgene Killer bekannt. Sie lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Pilze, die aus der Umwelt über die Lunge oder eine Schmierinfektion in den menschlichen Körper gelangen, dazu gehören Cryptococcus neoformans, Aspergillues fumigatus und Candida auris. Und die Pilze, die auf und mit dem Menschen leben. Candida albicans etwa ist ein normaler Mitbewohner unserer Schleimhäute. Die Infektion kommt hier vom Körperinneren. Sie ist, um es in der Fachsprache zu sagen, endogen.

Wie häufig kommen diese Infektionen vor?

Hube: Weltweit gesehen löst Cryptococcus neoformans ungefähr eine Million bedrohliche Infektionen pro Jahr aus, Aspergillues fumigatus ungefähr 200.000 und Candida albicans etwa 400.000. Candida auris kommt noch nicht so häufig vor, auch wenn die Zahl der Infektionen steigt.

Bernhard Hube
Prof. Hube ist Professor für Mikrobielle Pathogenität an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Leiter der Abteilung Mikrobielle Pathogenitätsmechanismen am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie. Schwerpunkt der Abteilung und des Instituts sind krankheitserregende (pathogene) Pilze. © Leibniz-HKI | Leibniz-HKI

Der Hefepilz Candida auris ist erst 2009 entdeckt worden. Warum ist dieser besonders?

Hube: Weil er sich im Krankenhaus auch von Mensch zu Mensch verbreitet. Das ist für einen Pilz sehr ungewöhnlich. Normalerweise sind Pilzinfektionen, außer Hautpilze, nicht ansteckend. Interessant ist auch, dass er seit der Entdeckung vor 15 Jahren fast überall auf der Welt gleichzeitig aufgetreten ist. Es wird angenommen, dass dies mit dem Klimawandel zusammenhängt.

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Klimawandel als mögliches Training für gefährliche Pilze

Was hat der Klimawandel damit zu tun?

Hube: Die meisten Pilze können bei unserer Körpertemperatur nicht wachsen, das schützt uns eigentlich sehr gut. Die hohen Umwelttemperaturen, die mit dem Klimawandel zusammenhängen, könnten Pilze aber dafür „trainieren“, auch bei 37 Grad zu wachsen. Das wäre ein gefährliches Szenario. Zusätzlich kommen hohe Resistenzen gegen Antimykotika hinzu, also Anti-Pilz-Medikamente. Davon gibt es vier Klassen. Und die meisten Candida auris-Stämme sind gegen mindestens eine dieser Klassen komplett unempfindlich. Ungefähr drei Prozent sind gegen alle unempfindlich. Das ist schon beunruhigend.

Was machen wir gegen die Resistenzen?

Hube: In der Landwirtschaft werden viele Antipilzmittel eingesetzt, unter anderem die Klasse der Azole. Das wirkt sich auch auf diejenigen Umweltpilze aus, die Menschen infizieren können. Bei Aspergillus fumigatus zum Beispiel werden mittlerweile Resistenzen gegen Azole gefunden, die es vorher nicht gab. Das muss man überdenken. Wie bei den Antibiotika gegen Bakterien müssen wir als Gesellschaft zwischen dem Nutzen, einen größeren Ertrag in der Landwirtschaft zu erreichen, und dem Risiko von schwer oder nicht behandelbaren Krankheiten abwägen. Darüber hinaus können Resistenzen entstehen, wenn ein Patient über eine längere Zeit immer wieder mit dem gleichen Anti-Pilz-Medikament behandelt wird.

Ist Candida auris der gefährlichste Pilz in Deutschland?

Hube: Das würde ich nicht sagen. Es gibt zurzeit wenige Infektionen, auch wenn man nicht weiß, wie sich das weiterentwickelt. Die anderen Pilze verursachen häufiger lebensbedrohliche Infektionen. In Deutschland gilt das in erster Linie für Krankenhäuser und da besonders für die Intensivstationen. Dort gibt es viele Menschen mit schwachem Immunsystem.

Hefepilz Candida albicans
Das elektronenmikroskopische Bild zeigt den Hefepilz Candida albicans auf Epithelzellen der Mundschleimhaut Quelle: Holland, Özel, Zakikhany, Hube © Holland, Özel, Zakikhany, Hube | Holland, Özel, Zakikhany, Hube

Die WHO hat die Mitgliedsländer dazu aufgerufen, mehr gegen lebensbedrohliche Pilzinfektionen zu unternehmen. Wie könnte das aussehen?

Hube: Hygienemaßnahmen und unter bestimmten Bedingungen auch prophylaktische Behandlungen im Krankenhaus sind wichtig, aber es geht vor allem um die Aufmerksamkeit der Ärzte. Je früher eine Pilzinfektion im Krankenhaus erkannt wird, desto früher kann behandelt werden. Weil bei manchen Pilzarten die Sterblichkeit sehr hoch ist, kommt es auf jede Stunde an. Wenn man sie früher entdecken würde, könnten Menschenleben gerettet werden. Das wäre auch das, was in Deutschland passieren sollte. Eine bessere Diagnostik ist meiner Meinung nach ein wichtiger Schlüssel.:

Welche Probleme sehen sie noch?

Hube: Die Behandlung ist zum Teil sehr teuer und die Medikamente haben zum Teil starke Nebenwirkungen. Auch wegen der vielen Resistenzen brauchen wir neue Klassen von Anti-Pilz-Medikamenten, aber auch neue Therapieansätze, die Stärkung des Immunsystems zum Beispiel oder Impfungen.

Ferngesteuert durch Pilze: „Brauchen keine neue Apokalypse“

Also braucht es auch mehr Forschung.

Hube: Ja, aber insgesamt muss auch das Bewusstsein für die Bedeutung von Pilzinfektionen größer werden, sowohl in der Bevölkerung als auch bei Entscheidungsträgern. Denn der Klimawandel ist nur ein Aspekt, der das Problem vergrößert. Ein weiterer ist paradoxerweise der medizinische Fortschritt. Es gibt mehr Menschen, die älter werden und es gibt mehr Patienten, die Krankheiten und Unfälle überleben, die sie vorher nicht überlebt hätten. Diese Menschen sind in der Regel empfindlicher gegenüber lebensbedrohlichen PilzIinfektionen.

Eine Frage zum Schluss, die ihnen bestimmt schon häufig gestellt worden ist: Es gibt Pilze, die Insekten fremdsteuern, so dass sich diese Schaden zufügen oder gar umbringen. In einem bekannten Videospiel, das zur TV-Serie ausgebaut worden ist, steuern Pilze auch Menschen. Was denkt die Fachwelt über dieses Szenario?

Hube: Es gibt tatsächlich sehr ausgeklügelte Lebenszyklen von parasitären Pilzen. Sowas hat sich im Laufe von Hunderttausenden von Jahren in der Evolution entwickelt. Es lässt sich aber nicht so einfach auf andere Systeme wie zum Beispiel den Menschen übertragen, das ist Science-Fiction, wenn auch unterhaltsam. Die TV-Serie, von der sie sprechen, ist tatsächlich auch bei Forschern ziemlich beliebt. Und sie wird auch gern mal als Auflockerung bei Fachvorträgen zitiert, Sorgen aber machen wir uns nicht. Die normalen Pilze sind problematisch genug, wir brauchen keine neue Apokalypse.