Berlin. Erst infizierte es Vögel, dann Säugetiere, vereinzelt auch Menschen. Experten erklären, wie sich das Vogelgrippe-Virus weiterentwickelt.

Ein neuer Übertragungsweg, eine neue Tierart: Das Vogelgrippe-Virus H5N1 kann jetzt auch Kühe über das Euter infizieren. Virologen und Infektiologen sind beunruhigt. Zwar sei die Gefahr einer neuen Influenza-Pandemie nicht akut, eine Anpassung des Virus an den Menschen aber wahrscheinlicher geworden. Wie konnte das passieren?

Nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) geht das derzeit grassierende H5N1-Virus zurück auf ein Ursprungsvirus aus dem Jahr 1996. Erstmals nachgewiesen in Asien, ging es dort von Wasservögeln auf Nutzgeflügel über. Dann mutierte es weiter und infizierte auch Menschen. 1997 registrierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die ersten Kranken in Hongkong.

Geflügel
Das Vogelgrippevirus H5N1 infiziert auch immer wieder Nutztiere in Deutschland. © DPA Images | Felix Kästle

Das Virus übertrug sich nur bei engem Kontakt. Es band an Rezeptoren tief in der Lunge und verursachte schwere Entzündungen. Seit 2003 haben sich nach WHO-Angaben mehr als 850 Menschen mit H5N1 infiziert, 449 starben. Die Sterblichkeitsrate war furchterregend. Weltweit intensivierte die Wissenschaft die Forschung zu dem Virus. Viele Länder erarbeiteten Pläne für eine mögliche Pandemie.

Vogelgrippe: Vögel trugen H5N1 über Wanderrouten in die Welt

Die meisten Infizierten stammten aus Südostasien, laut WHO waren es vor allem Kinder bis neun Jahre. Die höchste Sterblichkeit gab es bei 10- bis 19-Jährigen. Im europäischen Raum registrierten die Behörden Fälle in der Türkei und Aserbaidschan. Eine Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch blieb aus.

In den Folgejahren wurde H5N1 dann immer wieder durch Wildvögel von Asien nach Europa getragen. Es gab Ausbrüche in Geflügelfarmen. Zwischendurch aber verschwand das Virus in Europa wieder, bis es sich offenbar einmal mehr anpasste. „Dadurch konnte es sich in der Wildvogelpopulation extrem stark ausbreiten“, sagt Tiermediziner Prof. Martin Beer vom FLI in einem Interview mit der Zeitschrift „GEO“. Millionen Wildvögel infizierten sich und trugen H5N1 über ihre Wanderrouten fast bis in den letzten Winkel der Erde, viele starben. Nur Australien und Neuseeland blieben laut FLI bisher verschont.

Verantwortlich für diese ökologische Katastrophe, die nach Angaben von Naturschützern erst in diesem Jahr leicht abebbt, ist nach bisherigen Erkenntnissen ein bestimmter Subtyp von H5N1: die sogenannte Klade 2.3.4.4.b. Während dieser weltweit immer mehr Vögel infizierte, ging die Zahl der Infektionen bei Menschen seit 2016 zurück. Die H5N1-Subtypen aus der Zeit davor seien deutlich gefährlicher für den Menschen gewesen, sagt Martin Beer.

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Infektionen beim Mensch verlaufen derzeit überwiegend mild

Beim Menschen sind bislang nur wenige, überwiegend mild verlaufende Infektionen bekannt. 13 davon (Stand 1.8.) stammen aus den USA, einige aus Kambodscha oder Vietnam. „Es sind erstaunlich wenige angesichts der weiten Verbreitung des Erregers“, sagt Beer. Auch deswegen hätten Gesundheitsbehörden und WHO die Gefahr einer Pandemie als gering eingestuft.

Harmlos ist die Situation aber nicht. Durch die extreme Verbreitung haben auch andere Tiere zunehmend Kontakt mit dem Virus: Seelöwen, Katzen, Pelztiere, Nagetiere. Sie fressen die infizierten Vögel oder leben mit ihnen zusammen. Immer häufiger gibt es Nachrichten über neue Arten, die sich infizieren. Zuletzt von Kühen, die ursprünglich als wenig empfänglich galten.

Prof. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut.
Prof. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut. © fli | FLI

Laut einer jüngst im Fachblatt „Nature“ veröffentlichten Studie hat H5N1 damit eine weitere Hürde zur Anpassung an Säuger und damit auch an den Menschen übersprungen. In Versuchen mit Mäusen und Frettchen kam es beim Trinken der Milch infizierter Kühe zur Ansteckung. Allerdings gaben die infizierten Tiere das Virus nur extrem selten über die Atmung weiter. Das seien schlechte und gute Nachrichten zugleich, schrieben die Studienautoren um Yoshihiro Kawaoka von der Universität Wisconsin-Madison (USA).

Grippeviren sind genetisch extrem flexibel

„Es gelingt dem hochpathogenen aviären Influenzavirus bisher nicht, alle Hürden auf dem Weg zum Menschen zu überwinden“, sagt Martin Beer. Die bekannten Infektionen seien Einzelfälle. Und doch empfiehlt Beer dringend, weitere Kontaktmöglichkeiten von H5N1 mit anderen Tieren zu vermeiden. „In diesen Wirten könnte sich das Virus zumindest theoretisch mit humanen Influenzaviren vermischen“, sagt der Tiermediziner.

Für eine Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch müsste sich H5N1 weiter verändern. Es müsste fähig sein, stark an jene Rezeptoren zu binden, der in den oberen Atemwegen des Menschen sitzen. Bisher klappt das nicht. Die bisherigen Infektionen beim Menschen seien wohl über Staub tief in der Lunge erfolgt.

„Falls das H5N1-Virus ‚lernen‘ würde, an die gleichen Rezeptoren zu binden wie normale Grippeviren, ohne an Gefährlichkeit zu verlieren, wäre das ein großes Problem“, sagt Prof. Anke Huckriede vom Institut für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Groningen. „Ich würde grundsätzlich annehmen, dass sich H5N1 dazu mit Schweine- oder humanen Influenzaviren vermischen müsste“, sagt Florian Krammer, Professor für Vakzinologie von der Icahn School of Medicine in Mount Sinai (USA) dem Science Media Center.

Beim Vermischen könnte es zum Austausch von Gensegmenten kommen. „Im vergangenen Jahrhundert war dieser Austausch die Grundlage für die verschiedenen Pandemien gewesen“, erklärt Influenzaforscher Prof. Stephan Pleschka von der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Grippeviren seien genetisch sehr flexibel. Es sei für sie „unterschiedlich schwer, sich an Säuger und den Menschen anzupassen. Aber es ist nicht unmöglich.“

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Nach Angaben chinesisch-britischer Forscher gebe es bereits einige Varianten des Vogelgrippe-Virus, die Mutationen aufwiesen, die eine Infektion zwischen Menschen wahrscheinlicher machten. So könne die in China entdeckte H3N8-Variante auch per Tröpfcheninfektion zwischen Säugetieren übertragen werden. Und, so das Ergebnis ihrer im Fachjournal „Cell“ veröffentlichten Studie, sie vermehre sich erfolgreich in menschlichen Zellen aus Bronchien und Lunge.