Berlin. Vor der Migrationsdebatte gedachte der Bundestag der Holocaust-Opfer. Dabei fand der Bundespräsident auch Worte zur aktuellen Lage.
- Bundeskanzler Olaf Scholz greift in seiner Regierungserklärung den CDU-Chef scharf an
- Friedrich Merz wehrt sich gegen „infame“ Vorwürfe
- Der Bundestag debattiert die Folgen der Attacke von Aschaffenburg
Es war ein Polit-Beben, das Deutschland Anfang November erschütterte. Die Ampel-Koalition zerbrach. Kanzler Olaf Scholz (SPD) entließ Finanzminister Christian Lindner (FDP). Die Folge: Bereits am 23. Februar 2025 findet die 21. Bundestagswahl statt. Ursprünglich sollten die deutschen Wählerinnen und Wähler erst Ende September 2025 an die Urne treten.
Aktuell überschattet die Migrationsdebatte den Wahlkampf. Am 22. Januar verletzte ein psychisch kranker Afghane in einem Park in Aschaffenburg ein Kleinkind und einen Mann tödlich. Nicht zuletzt wegen dieses Vorfalls möchte die CDU/CSU-Fraktion am heutigen Mittwoch (29. Januar) über zwei Anträge abstimmen lassen, die einen Kurswechsel in der Migrationspolitik bedeuten würden und zusätzliche Befugnisse für die Sicherheitsbehörden vorsehen.
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Holocaust-Überlebender Schwarzman fordert mehr Unterstützung für die Ukraine
13.19 Uhr: Hauptredner der Holocaust-Gedenkfeier war in diesem Jahr der Überlebende Roman Schwarzman. Aus der Ukraine angereist, appellierte der 88-Jährige, sein Heimatland gegen den russischen Angriffskrieg zu schützen: „Damals versuchte Hitler mich zu töten, weil ich Jude bin. Jetzt versucht Putin mich zu töten, weil ich Ukrainer bin“, sagte Schwarzman und forderte auch konkret Langstreckenflugkörper zur Verteidigung gegen Russlands „Vernichtungskrieg“.
Laut Schwarzman müsse die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus „ein Leitgedanke sein und uns verpflichten, eine Zukunft aufzubauen, in der Menschlichkeit und Gerechtigkeit keine leeren Worte sind“. Niemand dürfe mehr „Leiden und Folter“ erfahren.
Schwarzman stammt aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa, wo er mit seiner Familie von den NS-Besatzern 1941 in ein Ghetto gesperrt wurde. Er überlebte und machte die Erinnerung an die damaligen Verbrechen zu seiner Lebensaufgabe, indem er das Holocaust-Museum von Odessa gründete. Schon seit vielen Jahren will er zudem ein Mahnmal für die NS-Opfer Odessas errichten – ein Vorhaben, das durch den Krieg gegen die Ukraine vorerst vereitelt wurde.
Steinmeier warnt zum Holocaust-Gedenken vor „Feinden der Demokratie“
12.49 Uhr: Bevor der Bundestag über die Migrationsanträge der Union abstimmen wird, gedenkt er in einer Feierstunde der Opfer des Holocaust. In seiner Rede warnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor antidemokratischen Tendenzen in Deutschland: „Unsere Demokratie ist die Antwort auf Rassenwahn und Nationalismus“, sagte er mit Blick auf die Verbrechen der Schoa.
In seiner Rede zitierte der Bundespräsident den Holocaust-Überlebenden Leon Weintraub, der gewarnt hatte, die Feinde der Demokratie ernst zu nehmen: „Ich wiederhole es hier im Deutschen Bundestag: Nehmt die Feinde der Demokratie ernst!“, sagte Steinmeier. Es folgte Applaus aus allen Fraktionen des Bundestages.
Laut Steinmeier gelte dies insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl: „Wir leben in einer Zeit der Entscheidung. Wir haben es in der Hand, das Errungene zu bewahren und unsere Demokratie zu schützen.“
AfD will Unionsvorlage zu innerer Sicherheit nicht zustimmen
11.24 Uhr: Die AfD-Bundestagsfraktion wird einer der geplanten Vorlagen der Union für eine verschärfte Migrationspolitik im Bundestag nicht zustimmen. Das sagte Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla dem «Tagesspiegel». Es geht um den Antrag zur inneren Sicherheit, der an diesem Mittwoch vorgelegt werden soll. Dieser enthalte einerseits Punkte, durch die die Grundrechte deutscher Bürger eingeschränkt werden könnten. «Andererseits würden die außenpolitischen Maßnahmen der CDU/CSU einen baldigen Frieden in Europa verhindern», fügte Chrupalla hinzu.
In dem Unionsantrag geht es um 27 Punkte zur inneren Sicherheit. Neben Maßnahmen zur Verschärfung der Migrationspolitik werden etwa vorgeschlagen:
- eine Ausweitung der Videoüberwachung
- weniger Datenschutz zur Verbesserung der Verbrechensbekämpfung
- eine Stärkung der Befugnisse von Sicherheitsbehörden
- Außerdem heißt es: „Und wir müssen entschlossener gegen die Hauptschleuser von Migranten nach Deutschland und Europa vorgehen: das russische Regime und seine Verbündeten in Belarus. Illegale Migration ist eines der vielen Mittel von Putins hybridem Krieg gegen uns.“
Ein Sprecher hatte am Dienstag gesagt, die AfD werde versuchen durchzusetzen, dass bei diesem Antrag über Punkte einzeln abgestimmt wird.
SPD attackiert Merz scharf: „So eine Person darf dieses Land nicht führen“
10.32 Uhr: Vor der Bundestagssitzung zur Migrationspolitik kritisiert die SPD den Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) scharf. „Er hat keine Integrität und keine Verlässlichkeit. So jemand darf dieses Land nicht führen“, sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast am Mittwochmorgen vor Journalisten. „Was wir derzeit erleben, ist ein politisches Erdbeben.“ Merz habe die „Brandmauer“ zur AfD „eingerissen“.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) gibt am Mittwoch ab 14.15 Uhr im Bundestag eine Regierungserklärung zu innenpolitischen Themen ab. Es wird erwartet, dass er sich zur Migrationspolitik und zu den Folgen der tödlichen Messerattacke in Aschaffenburg äußert. Merz hat als Reaktion auf die Tat angekündigt, nach der Regierungserklärung des Kanzlers zwei Anträge zur Migrations- und Sicherheitspolitik zur Abstimmung zu stellen. Um eine Mehrheit zu bekommen, lehnen CDU und CSU eine Zustimmung der AfD ausdrücklich nicht ab.
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SPD und Grüne sehen darin einen Tabubruch. Die verbliebenen Koalitionspartner lehnen die Anträge der Union ab und wollen nicht zustimmen. Merz und die gesamte CDU/CSU handelten „zerstörerisch“ und das „empört mich total“, sagte die in der SPD-Fraktion einflussreiche Mast. Es wirke so, als bereite Merz die „systematische Zusammenarbeit mit der AfD vor“. Die SPD-Politikerin warf dem CDU-Vorsitzenden und Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor, im Bundestag erst kürzlich versprochen zu haben, keine Mehrheiten mit der AfD zu suchen, genau dies mache Merz nun aber. „Wer gibt mir die Garantie, dass nicht übermorgen der nächste Punkt kommt?“, fragte Mast.
Die SPD-Parlamentsgeschäftsführerin kritisierte zudem, die Vorschläge von Merz verstießen gegen das Grundgesetz und gegen Europarecht. Auf die Frage, ob sie eine Koalition mit Merz und der Union nach der Bundestagswahl nun ausschließe, antwortete Mast nicht eindeutig. Erst einmal müssten am 23. Februar die Wählerinnen und Wähler Bürgerinnen entscheiden, ob sie einen „nicht geeigneten“ Kandidaten zum Bundeskanzler wählen wollten. Nach der Wahl müssten Demokraten jedoch gesprächsbereit sein. „Aber das sind keine Freifahrtbriefe“, fügte Mast hinzu.
Kirchen sind gegen Gesetzentwurf der Union zur Migration
8.55 Uhr: Die beiden großen Kirchen stellen sich kurz vor den anstehenden Bundestagsabstimmungen gegen den scharfen Migrationskurs von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. In einer Stellungnahme zum Entwurf des sogenannten Zustrombegrenzungsgesetzes erklären die Berliner Vertreter der katholischen Bischöfe und des Rats der Evangelischen Kirche ihn für „nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen“.
Die Union bringe ihren Gesetzentwurf „im Zuge einer aufgeheizten öffentlichen Debatte über die Möglichkeiten der Begrenzung von Fluchtmigration“, heißt es darin. Und mit Blick auf den Anlass für die Initiative der Union – eine Reihe tödlicher Attacken, bei denen Migranten unter Tatverdacht stehen, heißt es: „Die beiden großen Kirchen weisen hiermit darauf hin, dass die nun vorgeschlagenen Gesetzesänderungen nach aktuellem Wissensstand keinen der Anschläge verhindert hätten.“
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Vorbereitung der Bundestagswahl liegt laut Bundeswahlleiterin sehr gut im Plan
7.31 Uhr: Trotz der verkürzten Fristen läuft die Organisation der vorgezogenen Bundestagswahl der Bundeswahlleiterin zufolge bislang planmäßig. Das gelte entgegen anderslautender Warnungen auch für die Briefwahl, sagte Bundeswahlleiterin Ruth Brand den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Mittwochsausgaben). „Die Vorbereitungen verlaufen nach Plan. Die Gemeinden haben die Wahlräume gefunden und sind dabei, die letzten noch fehlenden Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu gewinnen und zu schulen.“
Die Kreis- und Landeswahlleitungen hätten sich um die Beauftragung von Druckereien und Logistik gekümmert, damit die Wahlunterlagen schnellstmöglich bei den Gemeinden ankämen, fuhr Brand fort. Der Bundeswahlausschuss habe über die Anerkennung der Parteien zur Bundeswahl entschieden und auch die IT-Systeme seien vorbereitet und auf ihre Sicherheit überprüft. „Ich denke, dass die Vorbereitungen der Wahl insgesamt sehr gut im Plan liegen“, bekräftige die Bundeswahlleiterin und Präsidentin des Statistischen Bundesamtes.
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Vor der Bundestagswahl – TV-Debatte mit Weidel? Scholz hält sich zurück
6.46 Uhr: Olaf Scholz lässt noch offen, ob er an einer TV-Debatte mit den Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU/CSU) und Robert Habeck (Grüne) sowie der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel teilnehmen würde. Er habe es bisher so gehalten, dass er die Pläne der Sender nicht kommentiere, sondern stattdessen „meinen Beitrag leiste zur öffentlichen Debatte“, sagte Scholz am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Berlin auf eine Journalistenfrage nach seiner Bereitschaft zu einer Debatte mit Weidel. „Wir werden sehen, wie die Fernsehsender, wie die Rundfunksender, wie alle anderen jeweils ihre Diskussionen organisieren. Und dann gucken wir.“
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Der Sender RTL hatte am Montag mitgeteilt, dass er sich statt des bereits für den 16. Februar geplanten TV-Duells zwischen Scholz und Merz auch eine Vierer-Runde vor der Bundestagswahl vorstellen kann. Nach der Messerattacke von Aschaffenburg und den sich daraus ergebenden politischen Entwicklungen habe sich die Lage geändert, teilte der Chefredakteur Politik & Nachrichten RTL NEWS, Gerhard Kohlenbach, mit. „Deshalb laden wir Olaf Scholz, Friedrich Merz, Alice Weidel sowie Robert Habeck ein, bei uns im direkten Schlagabtausch gegeneinander anzutreten.“
ARD und ZDF wollen hingegen an ihrem TV-Duell zwischen Merz und Scholz am 9. Februar festhalten. Merz hatte am Wochenende vorgeschlagen, das TV-Duell im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit Scholz um Habeck und Weidel zu erweitern. Habeck und Weidel haben bereits ihre Bereitschaft erkennen lassen.