Berlin. Kurz vor der Bundestagswahl bereiten sich die Behörden auf mögliche Manipulation vor. Vor allem ein Szenario bereitet Fachleuten Sorge.
Die extrem rechte Szene macht mobil. „Werdet Wahlhelfer!“, ruft das Netzwerk „Ein Prozent“ auf der sozialen Plattform Telegram aus. „Wenn wir es nicht machen, machen es andere!“ Sogar eine eigene Internetseite hat der Verein aufgesetzt, zur „Wahlbeobachtung“. Die radikale Rechte wittert einen Verdacht: Die Bundestagswahl Ende Februar werde manipuliert, das Ergebnis der AfD kleingehalten. Und will selbst Aktivisten in die Wahllokale schicken.
Der Vorwurf ist nicht neu. Auch in der Vergangenheit propagierten Extremisten eine Wahlfälschung. Das Ziel dahinter: die Demokratie zu schwächen – und die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Bei den Wahlen im Osten im Spätsommer warnte der Telegram-Kanal „Widerstand“ davor, dass das Ergebnis durch die Briefwahl beeinflusst werde – etwa über Vollmachten, die von älteren Wählern in Seniorenheimen eingezogen würden. Der Verdacht erhärtete sich nicht.
Bei der Polizei und den Nachrichtendiensten gibt man sich wachsam – nicht wegen angeblicher Wahlfälschung. Sondern wegen Störungen, Drohungen und im schlimmsten Fall Gewalt im Kontext der Wahl. Auch durch Extremisten.
Die Wahl fällt in eine Zeit, in der die Stimmung in der Gesellschaft aufgeheizt ist. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten stieg 2023 auf 60.028 Fälle – fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Die Übergriffe auf Politikerinnen und Politikern in den Kommunen nimmt zu. Es müsse mit weiteren Straftaten gegen Amtsträger gerechnet werden, heißt es in den Sicherheitsbehörden. Betroffen sind oftmals Wahlkämpfer der Grünen, aber auch der AfD.
Das Bundeskriminalamt bildet zusätzliche Beamte zu Personenschützern aus
Die Sprache wird radikaler, die Hemmschwellen zu Übergriffen sinken – all das stellt die Polizei in ihren aktuellen Lagebildern fest. Und die Sorge ist da: Das aufgeheizte politische Klima schlägt bis ins Wahllokal durch.
Knapp 300 Wahlbezirke gibt es in Deutschland, zu jeder Wahl brauchen die Kommunen mehr als 600.000 Wahlhelferinnen und Wahlhelfer. Ob Berlin, Hamburg, Essen oder Arnsberg– bundesweit suchen Städte und Kommunen noch händeringend Freiwillige, die Stimmen auszählen. Das birgt die Gefahr, dass auch Personen Wahlhelfer werden, die dieser Demokratie feindlich gegenüberstehen. Oder als Wahlbeobachter den Ablauf des Stimmengangs stören.
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Die Organisatoren der Wahl reagieren. Das Bundeskriminalamt hat etliche Beamte aus Abteilungen abgezogen und für den anstehenden Wahlkampf zu Personenschützern ausgebildet. Wahlvorstände, die in einem Wahllokal die Geschäfte führen, bekommen „Leitfäden“, um besser auf Provokationen vorbereitet zu sein. Klar ist: Wahlbeobachter sind erlaubt, auch von radikalen Parteien, die Stimmenauszählung ist in Deutschland öffentlich. Doch Wählerinnen und Wähler dürfen nicht angesprochen werden, auch Parteiabzeichen, Propaganda oder politische Symbole sind im Wahllokal tabu, genauso wie Uniformen.
Bei den Wahlhelfern suchen Kommunen die ehrenamtlichen Mitarbeiter vor allem in eigenen Verwaltungsetagen. Wahlvorstände vertrauen den eigenen Angestellten, vor allem kennen sie sich oftmals von vergangenen Wahlen, „das sind eingespielte Teams“, sagt ein Kommunenvertreter. Diese Nähe schafft Vertrauen – und schützt vor Unterwanderung durch Wahlfälscher. „In den großen Städten, wo deutlich mehr Anonymität herrscht, kann das aber anders aussehen“, sagt Achim Brötel, Präsident des Deutschen Landkreistags. Dort fehlen Freiwillige, dort kennt man sich nicht aus der Nachbarschaft oder dem Verein.
Zugleich sagt Brötel, er gehe trotz der aufgeheizten Stimmung „nicht davon aus, dass sich das in Form von Bedrohungen oder Einschüchterungsversuchen vor Wahllokalen niederschlagen wird“.
Was zunehmend wächst, ist die Gefahr in der digitalen Welt. Gefälschte oder verzerrte Videos oder Bilder aus Wahllokalen könnten sich rasant über die sozialen Netzwerke wie X oder Telegram verbreiten. Wie schnell „Fakes“ Einfluss auf Wahlen nehmen können, zeigt ein Fall aus der Vergangenheit: Eine Person hatte ein Gewinnspiel ausgerufen, an dem Wählende angeblich teilnehmen können, wenn sie für eine bestimmte Partei stimmen. Bedingung zur Teilnahme: eine Unterschrift auf dem Wahlzettel. Doch das macht die Stimme ungültig.
Ist eine Falschmeldung einmal in der Welt, ist sie für die Behörden kaum mehr einzufangen
Das Gewinnspiel war eine Erfindung. Doch ist die Falschmeldung einmal in der Welt, ist sie für die Behörden kaum mehr einzufangen. Und das Problem wächst, denn oftmals kostenlose KI-Software im Internet macht Fälschungen von Videos und Bildern für jeden frei zugänglich – und öffnet damit auch den Raum für Missbrauch und Manipulation der Wahl: Etwa wenn in einem gefälschten Video sogar die Bundeswahlleiterin für ein angebliches „Gewinnspiel“ wirbt.
Aktuell sehen die Sicherheitsbehörden keine „konkrete Gefährdung“ der Bundestagswahl. Dennoch sehen Nachrichtendienste und Polizei im Ausland, dass fremde Staaten „Interesse zur möglichen Beeinflussung von Wahlen“ zeigen könnten. Allen voran Russland. Mit „einer weiteren Intensivierung von Cyberattacken“ sei zu rechnen, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat eine „Task Force“ eingerichtet. Im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gibt es ein nationales „Lagezentrum“, das während der Wahl im Dauerdienst ist. Das Bundesinnenministerium baut derzeit eine Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation (ZEAM) auf. Die Behörden in Deutschland wollen Versuchen von Missbrauch und Manipulation entgegenwirken. Vernetzung und Schnelligkeit ist dabei am wichtigsten.
Bedeutend ist zunehmend der Schutz der Wahllokale sowie der Server und digitalen Meldewege der vorläufigen Ergebnisse. Das endgültige Wahlresultat basiert in Deutschland noch immer auf den Niederschriften der Wahlvorstände. Das alte Analoge schützt die Wahl am Ende auch vor digitalen Cyberattacken.
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