Berlin. In dieser Woche will die Union über eine schärfere Asylpolitik abstimmen lassen. Die AfD will zustimmen - und Merz hat ein Problem.
Friedrich Merz macht alles richtig – zumindest dachte er das mal. Nach Magdeburg und Aschaffenburg wollen die allermeisten Deutschen eine härtere Migrationspolitik. SPD und Grüne, so kalkulierte Merz, würden schon noch zustimmen, wenn der Druck nur groß genug wäre. Und die AfD? Sie wird doch nicht so kaltschnäuzig sein, mit der Union zu stimmen, wenn sie in den Unionsanträgen gleichzeitig massiv beschimpft wird, hoffte der CDU-Mann. Doch die Rechnung geht bislang nicht auf. Hat sich der Mann, der Kanzler werden will, verkalkuliert?
Am Mittwoch und am Freitag will Friedrich Merz insgesamt über drei Unionsvorschläge für eine schärfere Asylpolitik abstimmen lassen. Sollte die AfD auch nur einem einzigen Vorschlag mit ihren Stimmen zur Mehrheit verhelfen, wonach es aktuell aussieht, wäre das auf Bundesebene ein Novum. Tabubruch? Risse in der Brandmauer? Oder ein parlamentarischer Befreiungsschlag? Die Bewertung ist Ansichtssache. In jedem Fall gilt: Merz geht ein maximales Risiko ein. Aus mehreren Gründen.
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Erstens: Bekommt die Union ihre Vorschläge nur durch, weil die AfD zustimmt, kann das Merz Ruf als entschiedener Widersacher der extrem Rechten beschädigen. Zwar beruft sich Merz auf den Grundsatz, dass etwas nicht dadurch falsch wird, dass die Falschen zustimmen – an der Wirkung aber dürfte das wenig ändern. Ob Merz am Ende die Deutungshoheit über diese Woche behält – oder zu dem Mann wird, der der AfD den größten Triumph im Wahlkampf geliefert hat? Offen. Merz richtete am Dienstag noch einmal einen dringenden Appell an SPD und Grüne mitzustimmen, um den AfD-Triumph zu verhindern. In der Hand hat er es nicht mehr.
Zweitens: Keiner der Vorschläge wird schnelle, spürbare Veränderungen bringen. Weil weder der Fünf-Punkte-Plan zur Begrenzung der illegalen Migration noch die 27 Maßnahmen für mehr innere Sicherheit Gesetzeskraft haben und der dritte aktuell keine Mehrheit im Bundesrat finden würde. Dieses „Gesetz zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland“ soll den Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus beenden. Die Bundespolizei soll zudem mehr Befugnisse bekommen, um gegen illegale Migration vorzugehen. Die Gefahr, mit dem dreifachen Abstimmungsmanöver „all in“ zu gehen, am Ende aber eine Enttäuschung bei den Wählerinnen und Wählern zu produzieren, ist groß.
Merz: Auf den ersten Blick steht die Union derzeit nahezu geschlossen hinter ihm
Drittens: Viele Deutsche wollen zwar eine härtere Gangart in der Migrationspolitik – das Merz-Manöver aber löst keine Jubelstürme aus, im Gegenteil. In einer aktuellen Forsa-Umfrage deutet sich an, dass vielen Unionsanhängern das Manöver nicht gefällt, die Union rutscht im Trendbarometer von RTL/ntv ab.
Auf den ersten Blick steht die Union derzeit dennoch nahezu geschlossen hinter ihrem Kanzlerkandidaten. Sogar CDU-Leute wie Partei-Vize Karin Prien oder Merz‘ Vorgänger Armin Laschet, die zum liberalen, eher Merz-kritischen Lager gehören, haben sich in den vergangenen Tagen sichtbar hinter den Kanzlerkandidaten gestellt. „Die Brandmauer steht. Unumstößlich“, schrieb Laschet auf X (vormals Twitter). Friedrich Merz habe sie zementiert. „Mit der AfD gibt es keine Kommunikation, keine Kooperation, keine Koordination und erst recht keine Koalition.“ Wer einer Oppositionspartei das moralische Recht abspreche, eigene Anträge in ein Parlament einzubringen, fördere rechtspopulistische und verschwörungstheoretische Narrative und schwäche die parlamentarische Demokratie.“
Sieben SPD-Regierungschefs warnen vor „indirekter Zusammenarbeit“ mit der AfD
Doch wo beginnt Kooperation? In einem Brief warnen die SPD-Regierungschefs von sieben Bundesländern die Union vor einer „indirekten Zusammenarbeit“ mit der AfD. Der Brief endet mit einem Appell an die Unions-Ministerpräsidenten: „Bitte machen Sie ihren Einfluss geltend, dass der Konsens der Demokratinnen und Demokraten in dieser Woche auch im Deutschen Bundestag gewahrt bleibt. Eine direkte oder indirekte Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen Kräften darf es nicht geben.“
Zumindest einen müssen sie nicht überzeugen. Daniel Günther ist bislang der Einzige, der Merz im Parteivorstand offen widerspricht – das berichten Teilnehmer aus der Sitzung am Montag. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein ist aber nicht der Einzige in der Union, der den aktuellen Merz-Kurs hochriskant findet. In der Bundestagsfraktion haben viele Bauchschmerzen bei der Vorstellung, zusammen mit der AfD abzustimmen, auch in den Ländern machen sich viele Unionsleute Sorgen um die Folgen: „Es ist völliger Wahnsinn“ ist so ein Satz, der die Stimmung unter den Skeptikern beschreibt. Der einzige Profiteur der Lage sei die AfD: Sie feiere sich als Partei, mit der es jetzt endlich nach vorne gehe.
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Offen darüber reden wollen die wenigsten. Wer will schon am Ende im heikelsten Moment des Merz-Wahlkampfs mit öffentlicher Kritik auffallen? Doch alle eint die Sorge, dass die ganze Aktion am Ende für Merz nach hinten losgeht: Dann nämlich, wenn klassische Mitte-Links-Wähler, die aus Unzufriedenheit mit der Ampel bis gerade noch schweren Herzens die Union wählen wollten, jetzt wieder abdrehen. Und Merz am Ende unterm Strich weniger Zustimmung hat als zuvor.
Doch warum macht Merz das alles? Es ist ganz offenbar ein Mix aus Angst und Handlungsdruck: Angst, weil die Union seit Monaten bei 30 Prozent verharrt – und die AfD stark bleibt. Angst, weil es offenbar nicht reicht, über eine 180-Grad-Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu reden, um die Menschen zu begeistern. Und Handlungsdruck, weil ein künftiger Kanzler nach Magdeburg und Aschaffenburg unter Zugzwang steht, wirksame Antworten zu liefern. Hat Merz sich verzockt? Hat er geglaubt, mit seiner Taktik durchzukommen? Haben ihn seine Berater im Adenauerhaus, allen voran Generalsekretär Carsten Linnemann schlicht ins Risiko getrieben? Fragen, die sich auch in der Union gerade einige stellen.
„Merz zieht es jetzt durch“ - heißt es in der Union
Eine weitere Frage ist, ob Merz in den kommenden 72 Stunden noch mal die Kurve kriegt und den Kurs dreht. Zum Beispiel dann, wenn am Mittwochnachmittag tatsächlich Union und AfD im Bundestag geschlossen für eine schärfere Asylpolitik stimmen sollten – und diese Bilder eine nationale (und internationale) Empörungswelle auslösen? Wenn sich die Stimmung massiv gegen ihn dreht? Unwahrscheinlich, heißt es aus der Union. „Merz zieht es jetzt durch.“ Alles andere wäre strategisch auch schwer vermittelbar: Erst mit großer Geste gegen die Rest-Ampel aufbegehren, dann kleinlaut umfallen? Das passt nicht zu Merz.
Am Dienstag gab sich der CDU-Mann kämpferisch: Die Zeit für Gespräche sei jetzt vorbei, sagte Merz vor der Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag. „Es ist die Zeit für Entscheidungen. Es muss gehandelt werden.“ Er wisse die ganz große Mehrheit der Bevölkerung in dieser Frage hinter sich. Tatsächlich antworteten in einer Insa-Umfrage 66 Prozent mit Ja auf die Frage, ob sie dem Merz-Plan zur Migrationswende zustimmten. Der Weg dahin aber droht für Merz gerade, zu einer Sackgasse zu werden.