Brüssel. Experten in Sorge: Helfen Orban, Meloni & Co. dem US-Präsidenten, die EU zu attackieren? Worauf Europas Rechte hofft, was sie riskiert.
Italiens rechter Vize-Regierungschef Matteo Salvini, der wegen der Zurückweisung von Bootsflüchtlingen gerade in Sizilien vor Gericht steht, hat ein großes Vorbild: den künftigen US-Präsidenten Donald Trump. Seit Trumps Wahlsieg verbreitet der Chef der rechtsradikalen Partei Lega nicht nur in Serie Triumph-Parolen („Make the West great again“) – er huldigt dem Republikaner, indem er ihn schon vorab für einen Nobelpreis ins Gespräch bringt. „Trump sollte den Friedensnobelpreis erhalten, wenn er es schafft, den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu beenden“, erklärt Salvini.
Die Nobelpreis-Idee kommt deutlich verfrüht, doch mit dem Jubel steht der Vize-Premier nicht allein: Der Wahlsieg von Trump beflügelt in ganz Europa Rechtspopulisten, EU-Feinde und Rechtsextremisten. Von Viktor Orban bis Geert Wilders, von Giorgia Meloni über Herbert Kickl bis Alice Weidel: Die Prominenz der Rechtsaußen-Parteien feiert Trump und hofft auf Rückenwind für die Demontage der Europäischen Union und eine knallharte Migrationspolitik.
Die Lage in der EU erscheint ihnen günstig: Zum Rückenwind aus den USA kommt die desolate Lage der beiden EU-Führungsmächte Deutschland und Frankreich – die Bundesregierung in Berlin löst sich auf, in Paris zerbröselt die Macht von Präsident Emmanuel Macron. Das verstehen Orban und Co. als Chance, nun stärker selbst den Ton in der EU anzugeben. Entsprechend groß ist die Besorgnis in Brüssel.
„Starke Anti-Kräfte innerhalb der EU wollen die Union von innen aushöhlen“, sagt der Politikwissenschaftler Janis A. Emmanouilidis vom Brüsseler Think-Tank EPC, der von der EU mitfinanziert wird. „Sie werden den Wahlsieg von Trump dazu nutzen, um ihrem strategischen Ziel näher zu kommen – und Trump 2.0 wird auf die Orbans hören und sie aktiv unterstützen.“
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Auch die Experten des Freiburger Centrums für europäische Politik (cep) fürchten, Trumps Sieg könne als Katalysator für die Schwächung des europäischen Zusammenhalts wirken und den Fortschritt der EU-Gesetzgebung blockieren, vor allem beim Umwelt- und Klimaschutz. Trump könnte sich auf die rechten Führer stützen, „um Europa zu spalten und zu erobern“, warnt cep-Direktor Henning Vöpel in einer aktuellen Analyse.
Viktor Orban: „Bin zu 101 Prozent von Trump überzeugt“
Vor allem Orban, der von einer Erneuerung des Westens unter Trumps Führung träumt, geriert sich als sein Botschafter und Frontmann in Europa, zuletzt haben sich beide im Juli in Florida getroffen. Auf Trump macht Eindruck, wie sich Orban schon 14 Jahre an der Macht gehalten hat, einiges hat er von ihm abgeschaut. Er beschreibt Orban als „sehr großen Führer“ und „sehr starken Mann“, Orban wiederum sagte im Sommer im Gespräch mit unserer Redaktion: „Ich bin zu 100 Prozent von Donald Trump überzeugt – nein, zu 101 Prozent.“ In Europa würden Personen wie Trump gebraucht, „die das System aufschütteln, Einzelgänger, die von außen kommen“.
Auch Orban ist ein Einzelgänger, nur ist das für Politiker in der EU von Nachteil. Orban ist im Kreis der Regierungschefs derart isoliert, dass er als Gestalter europäischer Politik ausfällt. Anders Giorgia Meloni, die italienische Regierungschefin. Sie hat ebenfalls exzellente Verbindungen zu Trump und seinem Umfeld, nach Trumps Wahlsieg versicherten sich beide telefonisch „unseren Willen zu enger Zusammenarbeit in allen wichtigen internationalen Themen“.
Noch enger ist Melonis Draht zu Elon Musk, den Trump mit einem Regierungsjob belohnt hat. In ihrer Partei Brüder Italiens wird deshalb schon erwartet, dass Meloni künftig eine zentrale Rolle in Europa spielen werde. Mehr Macht für Meloni erwarten in Brüssel auch führende Christdemokraten, denn anders als Orban agiert sie bisher proeuropäisch und durchaus pragmatisch: „Meloni ist jetzt in einer ziemlich starken Rolle. Sie hat sehr gute Zugänge zu Trump, sie kann ein Ansprechpartner sein“, heißt es in der EVP-Spitze.
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Ähnlich sieht es Claudia Major von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik: Hauptansprechpartner für Trump seien nicht die Regierungen in Deutschland oder Frankreich, sondern Meloni und vielleicht noch Orban. „Die Frage ist, wie sich die Machtzentren in Europa gerade neu rütteln und wie sehr Meloni die europäische Geschlossenheit behalten kann“, sagt Major.
Noch gibt es keine Anzeichen, dass Meloni ihren proeuropäischen Kurs ändere, berichten EU-Diplomaten erleichtert aus den internen Beratungen. Beim jüngsten EU-Gipfel distanzierte sich Meloni von Orbáns Forderungen nach einem umgehenden Waffenstillstand in der Ukraine. Bei den anderen EU-Regierungschefs gibt es dennoch keine Neigung, die römische Regierungschefin mit einer Vermittlerrolle zu beauftragen.
Das große Risiko von Orban und Meloni
Für Konflikte bei Handel und Zöllen ist die EU-Kommission zuständig, in Sicherheitsfragen die Nato. Umgekehrt braucht auch Trump keinen europäischen Klassensprecher – seine Methode besteht ja gerade darin, die EU als Staatenverbund zu ignorieren oder zu bekämpfen und die einzelnen Staaten gegeneinander auszuspielen. Wer ihm dafür die Hand reicht, könnte daheim allerdings Probleme bekommen. Trump ist bei den Bürgern in Europa überwiegend zutiefst unbeliebt – schadet er der Wirtschaft auf dem Kontinent auch noch mit den angedrohten Importzöllen, dürfte die Abneigung weiter zunehmen.
Und gerade rechtsradikale Parteien in Europa haben zum Teil ein kompliziertes Verhältnis zu den USA: Die französische Rechtsaußen-Frontfrau Marine Le Pen etwa, die auf einen Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen 2027 hofft, reagierte deshalb auffällig reserviert auf Trumps Wahlsieg. In Frankreich herrscht neben allgemeiner Amerika-Skepsis eine tiefe Trump-Aversion – 80 Prozent der Bürger sagten in einer Umfrage nach der Wahl, sie hätten ein schlechtes Bild vom Wahlsieger, bei den Wählern Le Pens war es immerhin die Hälfte. Europas Rechte mögen Trump bewundern und seine Feindseligkeit gegenüber der EU teilen – aber ihr Nationalismus setzt der Umarmung Grenzen.
Trumps Methoden lassen sich leicht kopieren
Die Gefahr könnte woanders liegen: Nicht Trumps Inhalte, aber seine Methoden von Desinformation und Hetze lassen sich leicht kopieren. Und sein Sieg könnte Europas Populisten ermutigen, die Polarisierung der Gesellschaft auch auf dem Kontinent voranzutreiben. Die scheidende Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova, fürchtet, Orban und andere Gegner der liberalen Demokratie würden nun mehr Einfluss auf Debatten über die Ukraine, Geschlechterfragen oder Migration erhalten.
Die italienische Politikwissenschaftlerin Nathalie Tocci warnt deshalb auch, Meloni als Brückenbauerin misszuverstehen und ihre rechtspopulistische Agenda zu unterschätzen: Die Ministerpräsidentin habe bislang nur vorsichtig agiert, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen, sagt Tocci. Aber: „Melonis Intention ist die Orbanisierung von Europa. Jetzt könnte sie bereit sein, ihr wahres Gesicht zu zeigen.“