Berlin/Paris. Seit Jahrzehnten prägen die Le Pens Frankreichs Politik vom ganz rechten Rand aus. Die Partei ist Familie. Jetzt ist die Macht nah.
Endlich, so ist Marine Le Pen überzeugt, hat ihre Stunde geschlagen. Die Rechtsaußen der französischen Politik will 2027 im vierten Anlauf Präsidentin der Grande Nation werden. Bei den vorgezogenen Wahlen zur Nationalversammlung am 30. Juni und 7. Juli, die Präsident Emmanuel Macron nach seiner historischen Niederlage bei den Wahlen zum EU-Parlament veranlasst hatte, sollen die Weichen dafür gestellt werden. Ihre Partei führt in allen Umfragen und könnte vielleicht sogar den Regierungschef stellen. Le Pen wäre dann dort, wo ihr Vater Jean-Marie Le Pen immer hinwollte: im Élysée-Palast.
Partei und Familie waren bei Le Pens oft deckungsgleich. Der Vater, gerade 96 Jahre alt geworden, gründete den rechtsradikalen Front National (FN; heute Rassemblement National, RN) 1972, da waren seine drei Töchter Marie-Caroline (1960), Yann (1963) und Marine (1968) schon auf der Welt. Das Ehepaar Jean-Marie und Pierrette mietete für seine Töchter zeitweise eine eigene Wohnung an. Dort lebten sie mit einem Kindermädchen.
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Wer den „Denver-Clan“ aus dem Fernsehen der 80er-Jahre kennt, bekommt eine Ahnung, wie es in der Familie zugegangen sein muss. Die „Neue Zürcher Zeitung“ zitiert die Populismusforscherin Catherine Fieschi mit folgender Anekdote: Als Pierrette, die Mutter der Mädchen, ihren Ehemann 1984 verließ, „nahm sie Jean-Maries bestes Glasauge mit, vergaß aber die Urne mit der Asche ihrer Mutter“. Ein Teil des Scheidungsverfahrens beschäftigte sich mit dem Austausch dieser Gegenstände. Einige Jahre später zog sie wieder bei ihm ein.
Der dominante Vater prägte die Kinder, vor allem seine Jüngste, schreibt Tanja Kuchenbecker in ihrem Buch „Marine Le Pen. Die Tochter des Teufels“. Die heute 55-Jährige erkannte schnell, dass ihr rechtsradikaler Vater, der den Holocaust leugnete, für einen Großteil der Franzosen unwählbar bleiben würde.
Als sie 2011 den Front National von ihrem Vater übernahm, versuchte sie die Partei vom äußersten rechten Rand in die Mitte zu rücken, distanzierte sich vom Rassismus und Antisemitismus ihres Vaters. Doch Jean-Marie Le Pen gab keine Ruhe. 2015 setzte ihn seine Tochter vor die Tür – Parteiausschluss. Der Vater schäumte und verlangte, sie solle nicht länger Le Pen heißen und ihren Namen ändern. Doch das Einzige, was sie änderte, war der Parteiname.
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Marine Le Pen spricht – anders als ihr Vater – kaum über ihr Privatleben. Sie schützt ihre drei Kinder, Jehanne und die Zwillinge Louis und Mathilde, die aus ihrer Ehe mit dem Geschäftsmann Franck Chauffroy stammen. Nach der Scheidung heiratete sie den FN-Funktionär Éric Lorio, die Ehe wurde 2006 geschieden. Lorio wollte nach der Trennung mit der Politik seiner Ex-Frau nichts mehr zu tun haben.
Ab 2009 war Marine Le Pen mit Louis Aliot liiert, der im Januar 2011 einer der FN-Vizepräsidenten war. Er wurde 2020 Bürgermeister von Perpignan. 2019 trennte sich das Paar. Sie sollen Freunde geblieben sein, heißt es.
Politik ist Familie, Familie ist Politik im Hause Le Pen. Marie-Caroline, die älteste Schwester von Marine Le Pen, wird für die Rechtspopulisten vom Rassemblement National in einem Wahlkreis im Departement Sarthe in Nordwesten des Landes antreten. Sie ist schon länger politisch aktiv. Bekannt wurde sie in den 1990er-Jahren, als sie Bürgermeisterin von Neuilly-sur-Seine werden wollte, aber dem späteren Präsidenten Nicolas Sarkozy unterlag. Die heute 64-Jährige hatte den FN zeitweise verlassen, kehrte aber unter der Führung ihrer Schwester in den Schoß der Partei zurück.
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Yann, die dritte Schwester im Bunde, ist deutlich weniger politisch aktiv. Dafür mischt aber ihre Tochter Marion Maréchal mit. Bei der Präsidentschaftswahl 2022 unterstützte sie Éric Zemmour, den rechtsextremen Konkurrenten ihrer Tante Marine. Heute sitzt Maréchal im EU-Parlament.
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Und dann ist da auch noch Jordan Bardella. Seit Ende 2022 ist er Vorsitzender und Nachfolger von Marine Le Pen. Er ist das erste Nicht-Familienmitglied an der Parteispitze. Weil er lange mit ihrer Nichte Nolwenn Olivier liiert war und für Marine Le Pen eine Art „Ziehsohn“ ist, dürfte auch das zählen. Sollten die Rechtspopulisten die Wahl zur Nationalversammlung gewinnen, soll Bardella Regierungschef werden und 2027 als Steigbügelhalter Le Pen in den präsidialen Sattel helfen. Dann hätten sie die ganze Macht.
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