Berlin. Pegida kommt am Sonntag ein letztes Mal zusammen. Was ist geblieben von der großen rechtspopulistischen Empörungsbewegung der 2010er?
Am Sonntag vor 10 Jahren, am 20.10.2014, war es das erste Mal soweit. In Dresden versammelten sich rund 350 Menschen, die sich in einer Facebook-Gruppe zusammengetan hatten und traten einen „Abendspaziergang“ an. Den ersten seiner Art. Den ersten Marsch der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida). Lange hat man wenig bis nichts mehr gehört von der Bewegung, die einst fragwürdige Trends setzten.
Bei Pegida ging es von Anfang an nicht nur um den Islam
Schon damals, noch vor Flüchtlingskrise im Jahr 2015, bediente Pegida Punkte, die heute vor allem Parteien wie die AfD nutzen. In einem Papier von Dezember 2014 positionierten sich die „patriotischen Europäer“ gegen das Gendern, für den Erhalt der christlich-jüdischen Kultur und vor allem: gegen den Islam und angeblich kriminelle Asylbewerber.
Auf den Märschen, denen sich zu Hochzeiten mehr als 20.000 Menschen anschlossen, war der Ton rau. Begriffe wie „Volksverräter“ oder „Lügenpresse“ gehörten zum Standardvokabular. Letzteres wurde Unwort des Jahres 2014, auch „Pegida“ war im Rennen um den Anti-Preis dabei. Doch warum zog die rechte Protestbewegung überhaupt so viele Menschen an? „Im Osten, gerade in Sachsen, empfanden sich viele Menschen als Bürger zweiter Klasse gegenüber den Westdeutschen“, sagt Hans Vorländer, Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der Technischen Universität Dresden.
Pegida und die AfD: Wie eng war die Beziehung wirklich?
Es sei daher gar nicht nur um die Zuwanderung aus muslimisch geprägten Ländern gegangen, wie der Name vermuten lässt. Pegida sei immer auch ein Protest gegen die westdeutschen Medien und von Westdeutschen bestimmte Politik gewesen, so Vorländer, der 2015 eine Untersuchung zur Demografie der Pegida-Teilnehmer leitete. Heraus kam: Der durchschnittliche Pegida-Demonstrant war männlich, konfessionsfrei, gut ausgebildet, verdiente leicht über dem Durchschnitt und kam aus Dresden oder Sachsen. Laut Vorländer waren besonders in den Anfangszeiten auch viele Menschen der bürgerlichen Mitte auf Pegida-Veranstaltungen unterwegs.
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Meistgenannte Parteizugehörigkeit bei Vorländers Untersuchung: keine. Auf Platz zwei mit immerhin 17 Prozent: die AfD. Gerade in den Anfangszeiten ging die noch junge Partei auf Kuschelkurs. Der damalige Landesvorsitzende der AfD in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell, nannte die AfD eine „Pegida-Partei“. Alexander Gauland, heute AfD-Ehrenvorsitzender, sagte, die Pegida-Anhänger seien „natürliche Verbündete“. Björn Höcke trat noch bis 2023 immer wieder bei Pegida-Veranstaltungen auf. Tatjana Festerling war zwischenzeitlich eines der wichtigsten Pegida-Gesichter und nach eigenen Angaben AfD-Gründungsmitglied. Auch am Sonntag werden AfD-Redner erwartet. Doch es gab nie eine feste Zusammenarbeit. Vorländer sagt: „Es blieb bei einem informellen Bündnis von Straße und Parlament.“
Lutz Bachmann ist der Mann, der Pegida von Anfang bis Ende begleitete
Laut Vorländer lag das auch an dem einen Mann, der Pegida von Anfang bis Ende begleitete und stets darauf achtete, dass die Bewegung nicht von anderen Gruppen übernommen wurde. Lutz Bachmann gründete 2014 die Facebook-Gruppe, aus der Pegida entstammte, vor wenigen Tagen verkündete er das Ende. Die Jubiläums-Kundgebung am Sonntag sei die letzte, so Bachmann in einem Telegram-Video. Der 51-Jährige trat nur für rund einen Monat aus dem Pegida-Vorstand zurück, im Januar 2015, als gegen ihn wegen Volksverhetzung ermittelt wurde. Zu dieser Zeit kam es auch zu einem Zerwürfnis, bei dem die moderaten Vorstandsmitglieder Pegida verließen. 2016 wurde Bachmann wegen Volksverhetzung verurteilt. Inzwischen lebt er auf der spanischen Insel Teneriffa, weit weg von Dresden, wo alles begann.
Zu Hochzeiten hatte Pegida, seit 2021 vom sächsischen Verfassungsschutz als erwiesen extremistische Bestrebung eingestuft, durchaus internationale Relevanz. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders sprach auf einer Kundgebung, es gab Ableger in Großbritannien, Skandinavien und sogar Kanada. Doch richtig in Fahrt kamen diese nicht und auch bei den westdeutschen Ablegern überwogen meist die Gegendemonstranten deutlich. Ein erster und einziger politischer Vorstoß scheiterte. Festerling, damals bereits aus der AfD ausgetreten, trat bei der Dresdener Oberbürgermeisterwahl 2015 an. Sie erreichte nicht einmal zehn Prozent der Stimmen.
Der Einfluss von Pegida wirkt bis heute
Nicht nur in der Politik, auch auf der Straße versank die Bewegung in der Bedeutungslosigkeit. „Schon im zweiten Schub, bei der sogenannten Migrationskrise 2015 und 2016, war die Beteiligung nicht mehr so stark, weil Pegida sich bereits in einem Maße radikalisiert hatte, das die bürgerliche Mitte abschreckte“, erklärt Vorländer. Ein weiterer Faktor: die AfD, die den Protest in die Parlamente trug. Auf der Straße übernahmen andere Gruppierungen, später kamen die Querdenker, für Pegida war kein Platz mehr. Die Teilnehmerzahlen sanken ab 2015 stark.
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Was bleibt also von der großen rechtspopulistischen Empörungsbewegung der 2010er Jahre? „Pegida war der Startschuss für das Entstehen, Wachsen und Verfestigen eines rechtspopulistischen und rechtsextremen Milieus, was sich heute vor allem, aber nicht nur, in der AfD zu erkennen gibt“, glaubt Politikwissenschaftler Vorländer. Pegida habe eine Vorreiterrolle für den rechten Protest auf der Straße eingenommen, den öffentlichen Diskurs stark verändert und die Grenzen des Sagbaren verschoben. Die Auswirkungen der 2014 gegründeten Bewegung, sie wirken bis heute nach.