Berlin. Hisbollah-Anführer Nasrallah ist tot, Tausende Kämpfer verletzt. Steigen die Chancen auf Frieden? Welche Rolle Deutschland dabei spielt.
Der Kommandeur der Luftwaffe gibt über Funk durch: „Gut gemacht. Wir hoffen, dass wir diese terroristische Organisation enthauptet haben.“ Der Pilot dankt ihm. „Wir können jeden erwischen, überall.“ Es ist kurz vor halb sieben Uhr Ortszeit am Freitagabend. Israelische F15 der 69. Kampfstaffel haben gerade 80 Bomben auf Gebäude im Beiruter Vorort Dahieh abgeworfen.
Am nächsten Tag ist klar: Sie haben die Hisbollah enthauptet. Bei dem Luftangriff ist Hassan Nasrallah, der langjährige Anführer der Organisation getötet worden. Es ist der heftigste Schlag einer beispiellosen Reihe von Attacken gegen die Hisbollah, die seit dem 8. Oktober einen unerklärten Krieg gegen Israel führt. Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht, eine weitere Eskalation nicht ausgeschlossen. Israel bombardiert weiter, Hunderttausende Libanesen sind auf der Flucht. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie hat Israel den Hisbollah-Führer ausfindig gemacht?
Hassan Nasrallah hatte bereits seit langem aus Sicherheitsgründen auf öffentliche Auftritte verzichtet. Seine Reden, in denen er immer wieder zur Vernichtung Israels aufrief, waren Videoansprachen, die in geschlossenen Räumen aufgezeichnet wurden. Er soll sich seit Jahren im dicht besiedelten und mehrheitlich von Schiiten bewohnten Beiruter Vorort Dahieh versteckt haben.
Die israelischen Streitkräfte (IDF) verweisen auf „präzise Geheimdienstinformationen“ aufgrund derer man sich am Freitag zu dem Luftschlag entschieden habe. Es ist möglich, dass die Israelis Quellen innerhalb der Strukturen der Hisbollah haben. Vor Nasrallah waren bereits mehrere hochrangige Hisbollah-Mitglieder der Organisation mit gezielten Schlägen eliminiert worden, etwa Militärchef Fuad Schukr, der im 30. Juli ebenfalls in Dahieh starb.
Auch interessant
Wie lief die Militäroperation ab?
Die Entscheidung, Nasrallah zu töten, soll nach Angaben der „Jerusalem Post“ am Mittwoch gefallen sein. Israelis Premier Benjamin Netanjahu reiste am Donnerstagmorgen zur UN-Vollversammlung in New York. Es ist ein Trick, um die Hisbollah-Führung in Sicherheit zu wiegen. Während des Fluges und in den darauffolgenden Stunden berät sich die israelische Führung. Netanjahu ordnet am Freitagmorgen den Angriff an.
Die israelische Militärführung überwacht die Attacke von einem unterirdischen Befehlstand in Tel Aviv aus. Kampfjets des Typs F15i starten. Gegen 18.20 Uhr Ortszeit werfen sie bunkerbrechende Bomben des Typs GBU-31 über Dahieh ab. Gewaltige Explosionen erschüttern den Vorort. Nasrallah stirbt, mit ihm Ali Karki, Militärkommandeur der südlichen Front, der als Nachfolger von Fuad Schukr gehandelt wurde.
Was bedeutet der Tod von Nasrallah für die Hisbollah?
Nasrallahs Tod ist der heftigste Schlag, den die Organisation seit ihrer Gründung in den achtziger Jahren hinnehmen musste. Über drei Jahrzehnte lang war er die Stimme und das Gesicht der Hisbollah. In den vergangenen Wochen haben die Israelis nahezu die komplette Führungsriege der Organisation getötet.
Die Zerschlagung der Kommandostrukturen schränken die militärischen Fähigkeiten der Hisbollah ein und haben durch die Präzision der Operationen Panik in den Reihen der einfachen Kämpfer gesät. Gleiches gilt für den Angriff auf die Kommunikationsstrukturen der Hisbollah, bei dem zeitgleich Tausende Pager und Funkgeräte explodierten und die heftigen Luftangriffe auf Waffendepots und Raketenabschussrampen.
Warum setzt Israel seine Angriffe fort?
Auch wenn die Organisation derzeit enorm geschwächt und schockiert ist, hat die Hisbollah noch ein gewaltiges Waffenarsenal. Nach israelischen Einschätzungen soll sie noch über mindestens 100.000 Raketen mit einem großen Zerstörungspotenzial verfügen. Als eine militärische Organisation ist sie imstande, die Kommandostrukturen wieder zu reorganisieren.
Seit dem 8. Oktober attackiert die Organisation den Norden Israels täglich mit Raketen, Drohnen, Panzerabwehrgeschossen und Mörsergranaten. Etwa 60.000 Israelis mussten deswegen ihre Dörfer und Kleinstädte verlassen und leben als Binnenflüchtlinge in anderen Landesteilen. Israel besteht darauf, dass sich die Hisbollah hinter den Litani-Fluss zurückzieht, der 30 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt verläuft.
Wie geht es den Menschen im Libanon?
Die Eskalation des Konflikts und die direkten israelischen Angriffe auf Beirut aber auch auf andere Landesteile, haben in der Bevölkerung Panik ausgelöst. Allein seit Mitte September sind nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministerium etwa 1.000 Menschen getötet und mehr als 6.000 verletzt worden, wie viele von ihnen Zivilisten und wie viele Kämpfer der Hisbollah sind, geht aus den Zahlen nicht hervor. Bis zu eine Million Menschen sollen aus dem Süden des Landes und aus dem Süden Beiruts geflohen sein.
Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl
- Terror in Tel Aviv: „Ein Wunder, dass das Baby den Kugelhagel überlebt hat“
- Stärkste Angriffe seit Kriegsbeginn: Hisbollah beschießt Israel
- Regierungskrise: Gantz‘ Rückzug könnte langfristige Folgen für Israel haben
- Nach acht Monaten: Geisel Noa Argamani befreit – Das war ihr erster Wunsch
- Umstrittene Offensive: Israelische Panzer in Rafah: „Wir gehen sehr präzise vor“
- Tod Raisis: Iran-Experte: „Teheran gibt Israel für alles die Schuld“
Wie reagiert der Iran?
Das iranische Regime, das die Hisbollah finanziert und aufrüstet, hat eine fünftägige Staatstrauer ausgerufen und eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats beantragt. Es spricht derzeit nichts dafür, dass Teheran bedeutende militärische Vergeltungsschläge gegen Israel erwägt. Die Mullahs wollen offenbar keinen offenen Krieg mit Israel. Sie wissen: In einem solchen Krieg könnte sich Israel der US-amerikanischer Unterstützung gewiss sein. Der ebenfalls vom Iran gesteuerte „Islamische Widerstand“, ein Bündnis irakisch-schiitischer Milizen, hat mehrere Geschosse Richtung Israel abgefeuert und droht mit weiterer Vergeltung. Auch die jemenitische Huthi-Miliz hat mit weiteren Angriffen gedroht.
Welche Rolle spielen die USA?
Der engste Verbündete Israels hat die Eliminierung Nasrallahs begrüßt. US-Präsident Joe Biden sprach von einer „Maßnahme der Gerechtigkeit“, der getötete Hisbollah-Chef sei für den Tod Tausender Amerikaner, Israelis und libanesischer Zivilisten verantwortlich gewesen. Allerdings wollen die USA die Lage nicht weiter eskalieren lassen und drängen auf eine diplomatische Lösung des Konflikts. Zusammen mit Frankreich und Deutschland fordern die USA eine dreiwöchige Feuerpause.
Welche Rolle spielt Deutschland?
In dem Konflikt spielt Deutschland eine eher untergeordnete Rolle. Stimmen aus Berlin haben wenig Gewicht bei der israelischen Regierung. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Eliminierung Nasrallahs scharf kritisiert. Dadurch drohe „die Destabilisierung des gesamten Libanon, und das ist in keinster Weise im Interesse der Sicherheit Israels“, sagte sie dem ARD-Hauptstadtstudio. Dieser Einschätzung widersprechen israelische Sicherheitskreise deutlich.
Erhöht der Tod von Nasrallah Chancen auf Frieden in Nahost?
Derzeit spricht wenig dafür. Es gibt aktuell keine Anzeichen, dass die Hisbollah sich auf einen Waffenstillstand einlassen will. Israels Premier Netanjahu wiederum steht unter dem Druck seiner rechtsextremen Koalitionspartner. Sie wollen, dass die Hisbollah gänzlich zerschlagen wird. Polizeiminister Itamar Ben-Gvir kündigte bereits seinen Rückzug an, falls es zu einem dauerhaften Waffenstillstand mit der Hisbollah kommen sollte. Netanjahu kämpft also auch um sein politisches Überleben.
- Einfach erklärt: Israel und seine Feinde – Darum geht es im Nahost-Konflikt
- Verfeindete Staaten: Woher kommt der Hass zwischen dem Iran und Israel?
- Umstrittenes Gebiet: Gibt es Palästina? Die Geschichte der Region
- Überblick: Annektiert, besetzt, besiedelt: Was ist das Westjordanland?
- Israel gegen die Hamas: Feuerpause oder Waffenstillstand? Begriffe einfach erklärt
- IDF: Atombombe, Drohnen & Co. – So mächtig ist Israels Militär