Berlin. Alle Syrer zurückweisen? Grünen-Chef Omid Nouripour macht dem frisch gekürten Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz schwere Vorwürfe.

3,2 Prozent in Thüringen, 5,1 Prozent in Sachsen, und auch in Brandenburg sagen die Umfragen ein schwaches Ergebnis für die Grünen voraus. Parteichef Omid Nouripour macht dafür auch die Ampelregierung im Bund verantwortlich. Deren Performance sei „nicht hilfreich“, sagt Nouripour im Interview mit dieser Redaktion – und geht zum Angriff über.

Herr Nouripour, Sie haben die Ampel eine „Übergangskoalition“ genannt. Was kommt danach?

Omid Nouripour: Welche Konstellationen möglich sind, entscheidet sich nach Wahlen, nicht vorher. Aber klar ist: Der ständige Streit und Lärm nervt, das ist kein Modus für gutes Regieren. Die nächste Koalition muss nach außen anders strahlen. Wir können uns nicht ständig so aufführen, dass es niemand mehr versteht. 

Schwarz-Grün kommt nach Lage der Dinge nicht infrage. Die CSU – die auch nach dem Verzicht von Parteichef Söder auf die Kanzlerkandidatur ein gewichtiges Wort mitreden wird schließt ein Bündnis mit den Grünen aus …

Nouripour: Die SPD ist uns traditionell näher als die Union. Nach Wahlen müssen aber alle demokratischen Parteien im Stande sein, eine Regierung zu bilden. Die Ausschließeritis der CSU schadet der politischen Kultur. Mein Eindruck ist, dass es dabei gar nicht um die Grünen geht. Markus Söder will klarmachen, dass Friedrich Merz unter ihm Kanzlerkandidat ist – und sich auch in Koalitionsfragen an seine Linie halten muss.

Kanzler Scholz freut sich auf Merz als Kandidat. Geht es Ihnen genauso? 

Nouripour: Ich freue mich in erster Linie auf einen Wettbewerb um die besten Ideen für unser Land, den nehmen wir natürlich gern auch mit Friedrich Merz auf. 

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Was ist mit dem Anspruch der Grünen, die Bundesregierung zu führen? Elf Prozent in den Umfragen legen nicht unbedingt eine Kanzlerkandidatur nahe ...

Nouripour: Wir haben eine Kanzlerpartei bei 14 Prozent und eine AfD, die einen Kanzlerkandidaten aufstellen will. Die Parteienlandschaft hat sich verändert. Gleichzeitig stimmt es, dass die aktuellen Umfragen nicht viel mit unseren eigenen Ansprüchen zu tun haben. 

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Heißt für die K-Frage?

Nouripour: Ganz ehrlich: Es gibt in Bayern gerade Menschen, die zum zweiten Mal dieses Jahr ihr Hab und Gut vor Hochwasser retten. Ich glaube, im Land gibt es gerade Wichtigeres als diese Frage. Wir entscheiden, wenn es so weit ist.

Seit den islamistischen Terroranschlägen von Mannheim und Solingen werden Parteien besonders an Sicherheitsfragen gemessen. Wie wollen die Grünen irreguläre Migration zurückdrängen und Abschiebungen beschleunigen? 

Nouripour: Frau Merkel hat zu Recht immer von einer europäischen Lösung gesprochen. Erst wir haben sie in der Bundesregierung endlich geliefert. Es gibt eine Einigung, die europäische Asylreform wird im nächsten Jahr umgesetzt.

Moment! Die Grünen haben im Europaparlament gegen die Asylreform gestimmt, die Verfahren an den europäischen Außengrenzen und eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge vorsieht ... 

Nouripour: Das stimmt so nicht, da ging es um Einzelfragen. Übrigens haben das Teile der Sozialdemokratie auch so gesehen. Unsere Außenministerin Annalena Baerbock hat die Reform mit verhandelt. Wir bringen Europa voran. 

Tragen Sie die Entscheidung von Innenministerin Faeser mit, alle deutschen Grenzen zu kontrollieren? 

Nouripour: Die Innenministerin kann das alleine verfügen. Diese Kontrollen der deutschen Grenzen sollten keinen Tag länger als nötig dauern. An unserer 4000 Kilometer langen Grenze stauen sich nicht Menschen, sondern Lastwagen. Das gefährdet die Lieferketten und überfordert die unterbesetzte Bundespolizei. Auch die Auswirkungen in den Grenzregionen sind massiv, wo viele Menschen mal kurz zum Einkaufen oder für einen Sonntagsausflug an die polnische Ostsee nach Swinemünde oder nach Straßburg fahren. Das Wunder von Europa müssen wir schützen.

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Die Union will alle Flüchtlinge zurückweisen, die über ein anderes EU-Land an die deutsche Grenze kommen und nennt die Grünen „Vernunftverhinderer“. Ist eine parteiübergreifende Lösung schon gescheitert? 

Nouripour: Mir macht Sorge, dass die Union als große Volkspartei nicht mehr die Kraft zur Unterscheidung hat zwischen den Rechtschaffenen, die auf Baustellen, Intensivstationen oder in Ingenieurbüros dringend gebraucht werden – und denjenigen, die in unserem Land schwere Straftaten begehen und die wir hier nicht mehr haben wollen. Wenn Friedrich Merz alle Syrer und Afghanen für unerwünscht erklärt, vergiftet das die gesellschaftliche Stimmung. Wir sind immer noch bereit, über vernünftige Vorschläge der Union zu sprechen. Leider haben wir bisher keine gehört. 

Damit machen Sie es sich zu leicht.

Nouripour: Die Union macht es sich zu leicht, wenn sie verlangt, dass wir mit den afghanischen Behörden über Abschiebungen verhandeln sollen. Es gibt keine Regierung in Afghanistan. Die Taliban haben die Macht ergriffen. Will die CDU, dass wir mit einer Terrororganisation verhandeln? Damit helfen wir dem Islamismus und bekämpfen ihn nicht. 

Der Kanzler will bei den Abschiebungen einen Umweg über den afghanischen Nachbarstaat Usbekistan nehmen …

Nouripour: Ich bin sehr gespannt, wie das gehen soll. 

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Scholz hat das Migrationsabkommen mit Usbekistan einen kleinen Baustein „in einer ganz großen Mauer“ genannt. Helfen Sie Scholz beim Bau dieser Mauer?

Nouripour: Mauerbau war in unserer Geschichte etwas sehr Grausames. Gleichzeitig sind wir im Wettbewerb um die besten Köpfe. Eine große Mauer um Deutschland – ganz gleich, in welcher Form – hilft da sicher nicht. 

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Sie haben selbst Migrationsgeschichte, sind mit 13 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Berührt Sie diese Asyldebatte persönlich?

Nouripour: Ich muss mir immer wieder die Augen reiben. Aus dem demokratischen Lager kommen zuweilen Zwischentöne, die mich an manches rechtsextreme Plakat aus den 1990ern erinnern: alle Afghanen raus, alle Syrer raus. Das ist unanständig. Ich rufe alle demokratischen Parteien auf, zu Maß und Mitte zurückzufinden.