Berlin. Der Kanzler und die Innenministerin wollen Abschiebungen nach Afghanistan vorantreiben. Dafür brauchen sie ein zentralasiatisches Land.

Am Wochenende startet ein Flieger in Richtung Zentralasien. An Bord: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das Ziel: Usbekistan. Begleitet wird Scholz von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und ihrem Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP). Geht es nach ihnen, sollen regelmäßig Flüge nach Zentralasien gehen, vor allem nach Afghanistan. Nicht mit Regierungspolitikern, sondern mit abgeschobenen Straftätern und potenziellen islamistischen Gewalttätern.

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Abschiebungen sind eine der Achillesfersen der Bundesregierung. Aktuell tobt die Migrationsdebatte, rund 40.000 Menschen ohne Aufenthaltstitel in Deutschland sind ausreisepflichtig, darunter auch viele Afghanen. Doch Abschiebungen in das Land sind aufwendig. Ein erster Abschiebeflug nach dreijähriger Pause war Ende August von Leipzig nach Kabul geflogen. Über Monate wurde der Flug vor allem im Innenministerium vorbereitet, geholfen hatte auch das Emirat Katar, das Verbindungen zu den Taliban pflegt.

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Abschiebungen nach Afghanistan: Die Bundesregierung will nicht mit den Taliban verhandeln

Abschiebungen in das Land sind für die Bundesregierung politisch heikel. Die in Afghanistan regierenden islamistischen Taliban sind für massive Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten verantwortlich. Mit den Radikalen ein Abschiebe-Abkommen zu verhandeln, birgt das Risiko, ihnen eine internationale Bühne zu geben – und die Taliban letztendlich diplomatisch anzuerkennen.

Usbekistan liegt in der Nähe von Afghanistan, hat einen kleinen Grenzabschnitt zum Nachbarland. In der Hauptstadt Taschkent wollen Scholz und Faeser ein Migrationsabkommen mit dem Land unterzeichnen. Es geht darum, ausreisepflichtige Usbeken in ihre Heimat zurückzuschicken. Das dürfte höchstens einige Hundert Personen betreffen. Ein weiteres Ziel ist die Anwerbung von Fachkräften aus dem zentralasiatischen Staat.

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Rückführungen nach Afghanistan: Kooperation mit Usbekistan ist denkbar

„Wenn Usbekistan bereit ist, ein Migrationsabkommen mit Deutschland zu schließen, sollte der Bundeskanzler zudem Druck in einem weiteren wichtigen Punkt machen“, fordert der CSU-Justizpolitiker Volker Ullrich. Schließlich sei Usbekistan ein direkter Nachbarstaat von Afghanistan. „Am besten wäre es also, das Migrationsabkommen enthielte auch Lösungen, wie sich über Usbekistan Abschiebungen nach Afghanistan abwickeln ließen“, sagte Ullrich dieser Redaktion.

Die Abschiebepläne nach Afghanistan dürften in dem Vertrag mit Usbekistan nicht erwähnt werden – dass aber zumindest die Gespräche auf der Reise davon handeln werden, erscheint naheliegend. Zuletzt hatte es immer wieder Berichte über deutsche Verhandlungen mit der Regierung in Taschkent gegeben. Ein mögliches Szenario: Ausreisepflichtige Afghanen per Chartermaschine aus Deutschland nach Usbekistan zu fliegen – von dort werden die Menschen dann ins Nachbarland gebracht.

Migrationsabkommen: Selbst mit dem Irak hat Deutschland jetzt eine Vereinbarung

Der Fall Usbekistan wirft ein Schlaglicht auf die Migrationsabkommen, die ein Instrument der Bundesregierung bei der Steuerung von Asylsuchenden und Zuwanderern sind. Ein kleines Team im Bundesinnenministerium um den Sonderbeauftragten Stamp handelt die Vereinbarungen aus. Stamp reiste dafür in diverse Länder, darunter Georgien, Marokko, Moldau, Kirgisistan, Kenia, Kolumbien und Ghana.

Mit Indien gibt es bereits seit Ende 2022 ein Migrationsabkommen, mit Georgien seit Ende 2023. Mit Marokko wurde eine „Migrationspartnerschaft“ geschlossen. Eine geheim gehaltene Vereinbarung mit dem Irak erlaubt auch Rückführungen dorthin. An diesem Freitag empfängt Scholz Kenias Präsidenten William Ruto. Auch sie wollen ein Migrationsabkommen schließen. Für Kirgisistan sei mit dem Abschluss „im Laufe der Legislaturperiode zu rechnen“, sagt ein Sprecher von Innenministerin Faeser unserer Redaktion.

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    Deutschland will abschieben und Fachkräfte holen

    Das Ziel der Abkommen: Einerseits will die Bundesrepublik Fachkräfte aus dem Ausland ins Land holen. Die werden aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen dringend benötigt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) errechnete, dass die Zuwanderung von 400.000 Arbeitskräften pro Jahr notwendig sei, um das Angebot an Arbeitskräften auf dem bestehenden Niveau zu halten.

    Andererseits will Deutschland abgelehnte Asylsuchende loswerden – und ist dabei auf die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern angewiesen. Dass die Heimatstaaten nicht kooperieren, gilt als ein Hauptgrund für das Scheitern von Abschiebungen. Rückführungen sollen auch als Signal wirken: Die Reise nach Deutschland lohnt sich nicht. So hebt das Innenministerium hervor, dass die Zahl der Asylanträge aus Georgien um mehr als 70 Prozent zurückgegangen sei. Ein Effekt, der auch auf das Migrationsabkommen zurückzuführen sei.

    Migrationsabkommen: Staaten wie Kenia sehen darin Chancen

    In Staaten wie Kenia, Georgien oder Usbekistan sieht man die Zusammenarbeit ebenso als Chance. Der verbesserte Zugang kenianischer Fachkräfte zum deutschen Arbeitsmarkt schaffe „eine Win-Win-Situation“, schreibt etwa der Afrika-Verein. Es entstünden „Netzwerke“, von denen „auch Handel und Investitionen“ ausgehen – auch nach Kenia.

    Fachleute heben neben Vorteilen auch Risiken hervor. Zum einen befürchten Herkunftsländer einen „Braindrain“, also den Abzug von Fachkräften nach Europa, die in Asien oder Afrika ebenso dringend gebraucht werden, etwa Pflegerinnen und Pfleger. Und: Deutschland bietet keine festen Kontingente an Zuwanderern, die jedes Jahr kommen dürfen – anders als andere EU-Staaten wie Spanien und Italien. Die Erwartungen an einen großen Austausch mit Deutschland können enttäuscht werden, etwa im Fall Kenia.

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    Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollen in Usbekistan ein Migrationsabkommen schließen. © DPA Images | Michael Kappeler

    Abschiebungen: Bundesregierung ist auf Kooperation der Herkunftsstaaten angewiesen

    Woran Kenia, Marokko und Usbekistan eher weniger Interesse haben dürften, ist die Rücknahme abgelehnter Staatsbürger aus Deutschland. Es wäre die Pflicht neben der Kür der Wirtschaftskooperation. Und doch ist das für die Bundesregierung mindestens genauso wichtig. In Zeiten des Wahlkampfs und hitziger Auseinandersetzungen mit AfD und CDU ist der Druck hoch. Die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP) hat die Politik der Migrationsabkommen in einem Papier analysiert: „Der Erfolg von Rückführungen steht und fällt mit dem politischen Willen auf Seiten der Herkunftsländer, umfassend zu kooperieren.“ Sie brauchen Anreize, die Menschen zurückzunehmen. Die Abschiebungen müssten „praktisch umgesetzt“ werden. Das kostet. Und braucht weniger bürokratische Hürden, etwa wenn Passersatzpapiere fehlen.

    Zugleich weist das SWP-Forscherteam darauf hin, dass Vereinbarungen „einseitig in den Dienst restriktiver Ansinnen“ gestellt werden könnten. Also etwa bei der Auslagerung von Asylverfahren in die Herkunftsländer. Ein Trend, den die EU seit Jahren beschreiten will, etwa mit der Errichtung von „Hotspots“ und Lagern an der EU-Außengrenze oder sogar in den nordafrikanischen Staaten. Auslagern könnte die Bundesregierung auch die Abschiebungen nach Afghanistan – etwa wenn sie mit den Usbeken kooperieren. Die Menschen verlassen Deutschland, zugleich muss die Bundesregierung die Taliban nicht hofieren. Was dieser Deal die Bundesregierung kosten könnte, auch das könnte bei der Reise des Kanzlers nach Taschkent auf der Agenda stehen.

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