Brüssel. Zeitenwende in der Asylpolitik: Mehr Grenzschutz, Eilverfahren für chancenlose Asylbewerber. Aber was bringt die Asylreform wirklich?
Es ist die Wende in der europäischen Migrationspolitik: Die Europäische Union gibt sich ein strengeres Asylsystem – nach acht Jahren zäher Verhandlungen und unter dem Eindruck deutlich steigender Flüchtlingszahlen. Kernpunkte: stärkerer Schutz der Außengrenzen, härterer Umgang mit Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive, schnellere Abschiebungen. Das EU-Parlament beschloss den „Pakt für Migration und Asyl“ am Mittwoch in Brüssel. EU-Politiker sprechen von einem historischen Beschluss, Flüchtlingsorganisationen warnen dagegen vor „Haftlagern“ für Migranten. Was bringt der Pakt für Deutschland, dem wichtigsten Zielland für Asylbewerber in Europa? Die zentralen Punkte, die Wirkung und die Einschätzung von Experten im Überblick.
Alle Flüchtlinge werden bei Einreise registriert
Alle Nicht-EU-Bürger, die ohne Einreisegenehmigung in die EU kommen, müssen künftig ausnahmslos bereits an den EU-Außengrenzen eine Identitäts-, Sicherheits- und Gesundheitsprüfung durchlaufen. Die biometrischen Daten aus diesem Screening werden in einer großen EU-Datenbank (Eurodac) gespeichert, sodass die EU-Staaten zum Beispiel überprüfen können, ob jemand schon zum wiederholten Mal einen Asylantrag stellt. „Wir zählen künftig nicht nur Anträge, sondern auch die dahinterstehenden Personen“, sagt die CDU-Migrationsexpertin im EU-Parlament, Lena Düpont.
Asyl-Eilverfahren an den EU-Außengrenzen
Für Asylbewerberinnen und Asylbewerber wird es danach bereits an den Außengrenzen Vorprüfungen geben: Migranten, die wegen ihres Herkunftslandes erfahrungsgemäß eine gute Chance auf einen Schutzstatus haben oder zu einer besonders verwundbaren Gruppe zählen, kommen dann gleich ins eigentliche Asylverfahren – entweder im Ankunftsland oder in einem anderen Staat der EU. Anders ist das bei Migranten aus Staaten mit niedrigen Anerkennungsquoten (unter 20 Prozent), etwa aus Marokko, der Türkei oder Nigeria: Für diese Asylbewerber soll in einem Eilverfahren innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob ihr Antrag eine Chance hat.
Während der Zeit dieser beschleunigten Grenzverfahren können die Betroffenen in Asylzentren in der Nähe der EU-Außengrenzen festgehalten werden. Wird das Asylgesuch abgelehnt, werden die Betroffenen innerhalb von drei Monaten aus der EU abgeschoben. Ausgenommen von diesen Grenzverfahren sind nur unbegleitete Minderjährige, aber nicht – wie von der Bundesregierung bis zuletzt gefordert – Familien mit Kindern. Das könnte noch Probleme geben: „Mit der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zum Beispiel die undifferenzierte Unterbringung von Eltern mit minderjährigen Kindern in haftähnlichen Einrichtungen unvereinbar“, warnt der Bremer Migrationsrechtsprofessor Holger Hoffmann.
Asylreform: Weniger Flüchtlinge nach Deutschland
Wahrscheinlich kommen weniger Asylbewerber zu uns, aber das wird dauern. Die wesentlichen Teile der Reform treten erst nach einer Übergangszeit im Frühjahr 2026 in Kraft. Nach Expertenschätzungen kann es sogar noch länger dauern, bis die Grenzverfahren etabliert sind. Danach aber könnten in Deutschland allein wegen der Eilverfahren an den Außengrenzen Zehntausende Asylanträge im Jahr weniger anfallen.
Zudem würden durch die zentrale Datenspeicherung aller irregulären Migranten die Weiterreise nach Deutschland oder Mehrfach-Asylanträge erschwert – diese sogenannte Sekundärmigration ist vor allem hierzulande ein Problem. Auf solche Effekte setzt die Bundesregierung, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verspricht für Deutschland bereits ausdrücklich geringere Asylbewerberzahlen: „Mit der Reform entlasten wir Staaten, die besonders stark betroffen sind – auch Deutschland.“
Das Gesetzespaket dürfte insgesamt einen Abschreckungseffekt haben. Allerdings: Den größten Anteil der Asylbewerber machen in Deutschland Menschen aus Afghanistan und Syrien aus – die würden meist nicht unter die Eilverfahren fallen. Deutschland wird durch neue Solidaritätsregeln auch Verpflichtungen eingehen, Asylbewerber von Aufnahmeländern wie Italien und Griechenland zu übernehmen.
Klar ist: Die EU-Reform entlässt die deutsche Politik nicht aus der Verantwortung, die irreguläre Migration vor allem auch selbst zu steuern. Erste Erfolge sind sichtbar: Die Zahl der in Deutschland neu gestellten Asylanträge ist im ersten Vierteljahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 20 Prozent gesunken, offenbar auch als Effekt der verstärkten Grenzkontrollen. Die haben seit Oktober auch zur Festnahme von mehr als 700 Schleusern durch die Bundespolizei geführt.
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Asylzentren: Droht Flüchtlingen die Inhaftierung?
Für die Zeit des Verfahrens können die Asylbewerber in Transitlagern nahe den Außengrenzen festgehalten werden, juristisch werden sie so behandelt, als wären sie noch nicht in die EU eingereist. Diese „Fiktion der Nichteinreise“ würde dem deutschen Flughafenverfahren ähneln und die Abschiebung erleichtern. Das gleiche Eilverfahren kann für Menschen gelten, die aus einem als sicher eingestuften Drittstaat einreisen oder die bei einem Täuschungsversuch ertappt werden.
Kritiker warnen aber, vielen Schutzsuchenden drohe damit die „Inhaftierung“. Laut EU-Kommission ist das aber nur im Notfall geplant. Die Überwachung abgelehnter Asylsuchender soll durch die Eurodac-Datenbank erleichtert werden. Eine EU-Krisenverordnung sieht vor, dass bei einer starken Flüchtlingszunahme längere Fristen für die Registrierung von Asylgesuchen möglich sind und Standards bei der Versorgung gesenkt werden können.
Trotz Reform: EU-Staaten müssen keine Flüchtlinge aufnehmen
Im Prinzip bleibt es beim geltenden Verteilungssystem der EU, also dem Prinzip des Ersteinreisestaates – in der Praxis sind damit die Staaten an den EU-Außengrenzen weiterhin für die Durchführung der Asylverfahren zuständig, doch sollen die Binnenländer einen Teil der Migranten abnehmen. Bei größeren Flüchtlingsströmen sollen die Erstaufnahmeländer vor allem am Mittelmeer mit einem Solidaritätsmechanismus entlastet werden: Die EU-Staaten würden dann verpflichtet, eine bestimmte Anzahl an Schutzsuchenden über einen Verteilungsschlüssel aufzunehmen.
Staaten, die keine Migranten übernehmen wollen, können sich aber teilweise von ihrer Verpflichtung mit einer Einmalzahlung von 20.000 Euro pro Asylbewerber freikaufen. Das Geld soll in einen EU-Fonds für die Bekämpfung von Fluchtursachen fließen. Ungarn hat schon erklärt, es werde nicht zahlen. Die polnische Regierung lehnt die Reform auch unter dem neuen Premier Donald Tusk weiter ab – da aber bei dem finalen Votum der Mitgliedstaaten keine Einstimmigkeit erforderlich ist, können die Gesetze trotzdem in Kraft treten.
Bedenken gegen die Solidaritätsregeln gibt es auch in Tschechien, Bulgarien und der Slowakei. Wie gut dieser Teil des Asylsystems ab 2026 tatsächlich umgesetzt werden kann, ist daher offen. Die EU-Kommission hat zwar schon klargestellt, dass sie auf die Einhaltung durch alle Mitgliedstaaten pochen wird, doch dürften sich Zwangsmaßnahmen über Jahre verzögern – es zeichnet sich ab, dass es vor allem Ungarn auf einen Streit vor dem obersten EU-Gericht ankommen lassen wird.
Ist die Asylreform gut? Was Politiker und Experten sagen
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EVP) feiert die Reform als „wahrhaft historisch“. Europa erhalte einen soliden Rechtsrahmen, der human und fair gegenüber Schutzsuchenden sei, „aber gleichzeitig auch hart gegenüber jenen, die keinen Anspruch haben“. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die die Einigung auf die Reform maßgeblich vorangetrieben hatte, spricht von einem „Schlüssel, um Migration insgesamt zu steuern und zu ordnen, humanitäre Standards für Geflüchtete zu schützen und die irreguläre Migration zu begrenzen“. Ähnliches verspricht auch schon der französische Präsident Emmanuel Macron für sein Land – der Effekt niedrigerer Flüchtlingszahlen könnte in Frankreich, so sein Kalkül, gerade noch rechtzeitig zur Präsidentschaftswahl 2027 eintreten, bei dem sich die rechtspopulistische Marine Le Pen gute Chancen ausrechnet.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl warnt dagegen: „Der beschlossene Abbau von Menschenrechten im Flüchtlingsschutz versperrt für viele den Zugang zu Schutz und errichtet ein System der Haftlager für Menschen, die fliehen und nichts verbrochen haben – selbst für Kinder und ihre Familien.“
Das internationale Kinderhilfswerk Terre des Hommes forderte das Parlament zur Ablehnung der EU-Asylreform auf. Das geplante Migrations- und Asylpaket sei mit Kinderrechten nicht vereinbar, problematisch sei vor allem die Einführung von Grenzverfahren auch für Kinder jeden Alters, die Ausweitung des Konzepts der sicheren Drittstaaten sowie die Absenkung von Verfahrensgarantien. „Sollte die Reform wie zu erwarten beschlossen werden, so bedeutet dies künftig für zahlreiche Kinder und Jugendliche auf der Flucht die Inhaftierung hinter Stacheldraht und Lagermauern und die Gefahr von Rückführungen in Länder, in denen sie nicht sicher sind“, sagt Vorstandssprecher Joshua Hofert.
Eine aktuelle Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, die die Bundesregierung berät, bewertet die versprochenen Entlastungseffekte der Reform zurückhaltend: „Ob und wann tatsächlich eine Verminderung der irregulären Grenzübertritte unter Einhaltung des Grundrechts auf Asyl erreicht werden, bleibt fraglich.“ Und: „Angesichts der fortwährenden Krisen in den aktuellen Hauptherkunftsländern ist zu erwarten, dass die Zahl der Asylanträge hoch bleiben wird.“ CDU-Migrationsexpertin Düpont plädiert für realistische Erwartungen: „Es war immer klar, dass die Reform keine kurzfristige Wirkung hat, da die Umsetzung zwei Jahre dauern wird“. Die Einführungsphase werde noch eine „Mammutaufgabe“.
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