Berlin. Der Finanzminister will die Altersvorsorge reformieren. Er verspricht einen „historischen Paradigmenwechsel“ – und hat eine weitere Idee.

Es ist eine Reform, die den Geldbeutel von Millionen Deutschen betreffen wird: Bundesfinanzminister Christian Lindner will die private Altersvorsorge grundlegend neu aufstellen. Erste Details zu dem Gesetzentwurf, dessen finale Fassung in den kommenden Wochen erwartet wird, waren bereits durchgesickert. Nun konkretisierte der FDP-Chef im Gespräch mit unserer Redaktion seine Pläne – und bringt dabei auch einen neuen Ansatz ins Spiel.

Nicht weniger als einen „historischen Paradigmenwechsel in der privaten Altersvorsorge in Deutschland“ verspricht Lindner. Geförderte private Altersvorsorge – das heißt bisher für viele Deutsche vor allem „riestern“: Rund 15 Millionen abgeschlossene Riester-Verträge gibt es derzeit. Doch in 23 Jahren Riester-Rente sind die Probleme offen zutage getreten: Die Rendite ist oft mau, die Beiträge hoch, die Transparenz der Angebote meist nicht sonderlich gut. Manch Kritiker sprach in der Vergangenheit gar von einem Konjunkturprogramm für Versicherer und Vertriebe, Neuabschlüsse lohnen sich derzeit oft nur in Ausnahmefällen.

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Private Altersvorsorge: Künftig sollen Verbraucher die Wahl haben

Ein Grund für die schlechte Funktionsweise von Riester ist dabei die Beitragsgarantie. Die Versicherer müssen garantieren, dass bei der Auszahlung mindestens die Summe vorliegt, die auch eingezahlt wurde. „Das schließt gewisse Anlageklassen aus. Entsprechend waren die Produkte weniger rentabel und hatten eine geringere Verzinsung, als es möglich gewesen wäre“, sagte Lindner. Künftig sollen Verbraucher die Wahl haben zwischen einer 100-, einer 80- und einer 0-prozentigen Beitragsgarantie. Die Idee: Je niedriger die Beitragsgarantie, desto höher ist zwar das Risiko. Zugleich steigt aber auch die Chance auf Rendite. Zumal sich über lange Sicht die Kapitalmärkte stets positiv entwickelt haben.

Wer beispielsweise in einen ETF auf den MSCI World, der knapp 1500 Unternehmen aus 23 Industrieländern bündelt, investiert und diesen 15 Jahre lang im Depot gehalten hätte, hätte nie eine negative Rendite erzielt – selbst dann nicht, wenn man kurz vor Börsencrashs wie der Dotcom-Blase zu Beginn der Jahrtausendwende oder kurz vor der Finanzkrise investiert hätte.

Zwar lässt der Blick in die Vergangenheit keine Schlüsse auf künftige Entwicklungen zu. „Ausschließen lässt sich das Risiko nicht“, sagt auch Lindner. Aber: Auch wer die 0-Prozent-Garantie wähle, habe die Möglichkeit, über Jahrzehnte eine hohe Rendite bei geringem Risiko zu erwarten. Wer lieber auf Nummer sicher gehe, könne das auch weiterhin tun.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) plant eine Reform der privaten Altersvorsorge.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) plant eine Reform der privaten Altersvorsorge. © AFP | Ralf Hirschberger

In der Ansparphase sollen Erträge steuerfrei sein

Von den Plänen, die das Finanzministerium das „private Altersvorsorgedepot“ getauft hat, erhofft sich Lindner eine „Stärkung der Aktienkultur“ in Deutschland. Auch von den jüngsten Börsenturbulenzen lässt sich der FDP-Chef dabei nicht beirren: „Manche Skeptiker mögen sich von Schwankungen wie jüngst bestätigt fühlen. Doch diese Skeptiker sind leider auch nicht dabei, wenn der Aufschwung kommt.“

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Bei dem neuen Depot solle es mindestens die gleiche Förderung bei der Steuer und der Zulage wie bei Riester geben. Derzeit würden dazu noch Gespräche innerhalb der Bundesregierung laufen. Fest steht laut Lindner: In der Ansparphase wären Erträge steuerfrei, erst bei der Auszahlung mit der Verrentung falle die Einkommensteuer an. Für Sparer hätte das den Vorteil, dass der Zinseszinseffekt stärker wirken würde.

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Lindner fordert Spekulationsfrist für Aktiengewinne

Perspektivisch kann sich Lindner aber noch eine weitere Änderung vorstellen: „Ich will eine Spekulationsfrist bei Wertpapiergeschäften“, sagte der FDP-Chef. „So wie die Immobilie nach zehn Jahren steuerfrei veräußert werden kann, so wünsche ich mir das nach einem Zeitraum von zum Beispiel zwei bis drei Jahren auch bei Wertpapieren.“ Allerdings weiß Lindner auch, wie gering angesichts seiner Koalitionspartner von SPD und Grünen die Aussicht auf Erfolg sein dürfte – entsprechend schob er nach, dass eine Spekulationsfrist Teil des nächsten FDP-Wahlprogramms werde.

Bereits heute sind zahlreiche Anlageklassen nach einer gewissen Haltedauer steuerfrei. So sind etwa Gewinne, die mit Gold erzielt werden, steuerfrei. Voraussetzung: Es muss sich um physisches Gold, also beispielsweise Barren oder Münzen, oder etwa um Wertpapiere mit Anspruch auf tatsächliche Goldlieferung handeln, wozu etwa Xetra-Gold gehört. Wer Gold dann ein Jahr hält, spart sich die Abgeltungsteuer.

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Eine Spekulationsfrist in Deutschland wäre nicht neu

Auch Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum sind nach einem Jahr steuerfrei. Bei Immobilien entfällt die Spekulationsteuer auf Gewinne, sofern man sie zehn Jahre hält. Im Wahlkampf hatten SPD und Grüne bereits ein Ende der Haltedauer bei Immobilien gefordert, in den Koalitionsvertrag hatte es diese Forderung nicht geschafft.

Eine Spekulationsfrist auf Aktien und Fonds wäre in Deutschland nicht neu. Bis 2008 gab es eine Spekulationsfrist von einem Jahr. Verkaufte man innerhalb eines Jahres eine Aktie oder ein anderes Wertpapier mit Gewinn, so fiel damals eine Spekulationsteuer an. Hielt man sie mindestens ein Jahr, so war der Gewinn steuerfrei. Da seit 2009 Aktien und Wertpapiere zu den Kapitaleinkünften zählen, fällt auf die Gewinne Abgeltungsteuer an – in Höhe von 25 Prozent. Da noch der Solidaritätszuschlag hinzukommt, liegt die tatsächliche Steuerlast bei 26,375 Prozent – zuzüglich der Kirchensteuer, sofern man in der Kirche ist.

Sozialverband reagiert mit scharfer Kritik

Auf deutliche Ablehnung stößt Lindners Vorstoß beim Sozialverband Deutschland. „Das ist liberale Klientelpolitik in Reinkultur. Denn eine solche Regelung würde vor allem den Vermögenden nützen und die Reichen noch reicher machen. Mehr als die Hälfte der Deutschen hat am Monatsende keinen Euro zum Sparen übrig – für sie ist eine solche Idee ein Schlag ins Gesicht“, sagte Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands, unserer Redaktion. Eine Spekulationsfrist würde verzögerte Steuereinnahmen in Milliardenhöhe bedeuten. „Das ist Geld, das Deutschland zum Beispiel für Gesundheit, Pflege oder auch Bildung bitter nötig hätte“, erklärte Engelmeier.

Zustimmung kommt dagegen von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Eine Spekulationsfrist sei absolut begrüßenswert, sagte DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler unserer Redaktion. Für ihn sei auch eine Spekulationsfrist von drei bis fünf Jahren akzeptabel. „Es geht nicht um Zockerei. Es geht um einen langfristigen Vermögensaufbau zur privaten Altersvorsorge“, so Tüngler. Sollte die Spekulationsfrist nicht kommen, sollte zumindest der Sparerpauschbetrag reformiert werden, forderte Tüngler. Ungenutzte Freibeträge sollten kumuliert, die Freibetragsgrenze von derzeit 1000 Euro pro Jahr auf eine Spanne von 2000 bis 5000 Euro angehoben werden.