Berlin. Revolutionär oder riskant? Finanzminister Christian Lindner arbeitet an einem neuen System zur privaten Altersvorsorge. Doch es gibt Kritik.
Anfang April, ein Bürgerdialog mit Christian Lindner (FDP). Ein junger Mann spricht den Bundesfinanzminister an, will wissen, ob seine Rente in 42 Jahren noch sicher sei. „Nein“, antwortet Lindner prompt. Das umlagefinanzierte, staatliche Altersvorsorgesystem sei in Schieflage, werde nicht auf Dauer „stabil“ bleiben. Gleichzeitig, sagt Lindner, würde auch die private Altersvorsorge wichtiger. Der Politiker schlägt dabei einen gezielten Modernisierungsschritt vor: das sogenannte Altersvorsorge-Depot. Was das ist, welche Ideen es gibt und wann es kommt.
Renten-Revolution: Was will Lindner?
Dem Bundesfinanzminister schwebt ein Depot vor, in dem der individuelle ETF-Sparplan so behandelt wird wie eine private Altersvorsorge. „Entsprechend öffentlich gefördert wie bei Riester. Es ist dann Wahlfreiheit, ob Riester oder Altersvorsorge-Depot. Und die Versteuerung der Erträge erfolgt erst, wenn man es als Rente aus diesem Altersvorsorge-Depot irgendwann in der Zukunft rausnimmt. Das wäre eine echte Revolution der privaten Altersvorsorge“, erklärt der FDP-Politiker. Noch im laufenden Jahr solle es dazu eine Gesetzgebung geben.
Wann konkret, lässt das Bundesfinanzministerium auf Anfrage unserer Redaktion aber offen. Und auch über Eckpunkte möchte man noch nicht sprechen. „Die Details werden derzeit erarbeitet, daher können wir uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern“, so ein Sprecher. „Ziel des Bundesfinanzministeriums ist es, dem Parlament in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Beratung vorzulegen.“
Wie könnte ein Altersvorsorgedepot aussehen?
Die sogenannte Fokusgruppe private Altersvorsorge, ein Gremium aus Experten beteiligter Bundesministerien und Altersvorsorgefachleuten, hat dafür einen ersten Rahmen definiert, will vor allem die Handbremse lösen, die bei Sparern zur Skepsis gegenüber den sogenannten Riester-Produkten geführt hat. Konkret sollte es daher keine Garantievorgaben mehr geben. Etwaige Anbieter müssten also Sparern nicht mehr versichern, mindestens die eingezahlten Beiträge wieder herauszubekommen. Das heißt, renditestärkere Anlagen wären möglich, die aber auch risikoreicher sein können.
Neben Aktien und ETFs sollten Sparer laut Expertenvorschlägen auch in Beteiligungen und Immobilien investieren können. In der Ansparphase soll wie auch bei Riester-Verträgen staatlich gefördert werden – und das gezielt. Besonders unterstützt werden sollen untere Einkommensgruppen, Berufseinsteiger und Eltern mit Kindern. Mit Blick auf Steuern schlagen die Fachleute vor, dass Kapitalerträge wie Dividenden und Veräußerungsgewinne, sofern sie im Depot verbleiben, in der Ansparphase nicht versteuert werden müssen. Erst bei Auszahlung soll, so das Gremium, das geförderte Altersvorsorge-Vermögen nachgelagert besteuert werden.
Ob das Geld als lebenslange Rente oder als Einmalzahlung ausgezahlt werden soll, sollte von den Altersvorsorgenden selbst entschieden werden können. Die Experten empfehlen darüber hinaus auch, Entnahme von angesparten Vermögen für die altersgerechte Sanierung der selbst genutzten Immobilien zu ermöglichen, auch das Tilgen eines Kredits für selbst genutztes Eigentum sollte möglich sein.
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Was wollen Vorsorgeexperten?
Hendrik Buhrs, Altersvorsorgefachmann beim Geldratgeber Finanztip, hält es für sinnvoll, ein solches Depot möglichst einfach und kostengünstig aufzubauen. „Dank der Digitalisierung gibt es mittlerweile am freien Markt bedienfreundliche Online-Wertpapierdepots mit extrem niedrigen Gebühren. Diese sind sozusagen der Maßstab auch für ein staatlich unterstütztes Produkt“, sagt Buhrs unserer Redaktion.
Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), fordert: „Die Erträge sollten während der Laufzeit keiner Besteuerung unterliegen und bei Erreichen der Altersgrenze auch nicht auf einmal ausgezahlt werden können.“ Der Gesetzgeber sollte jedoch sicherstellen, dass nur wirtschaftlich sinnvolle Anlagen mit einem langfristigen Investmenthorizont getätigt werde, und keine teuren Finanzprodukte zur kurzfristigen Spekulation erworben werden können. „Dazu sollte eine steuerliche Förderung nicht dienen“, so Bauer.
Darüber hinaus schlägt die SdK einen Pfändungsschutz bei unverschuldeten Notlagen vor und wirbt auch für eine bessere Vermittlung von Finanzwissen: „Wer nicht über nachweisbare Erfahrung und Kompetenz verfügt, müsste sich von einem zertifizierten Berater beraten lassen“, erklärt der Kapitalanleger-Vorstand.
Was könnte so ein Depot bringen?
Finanztip hat das für unsere Redaktion berechnet. Ein ETF wie der MSCI World würde mit einer Rendite von sechs Prozent pro Jahr und unter den derzeit geltenden Steuerregeln – Abgeltungsteuer und Solidaritätszuschlag, Teilfreistellung bei Aktien-ETFs, Vorabpauschale mit Basiszins-Annahme von 2,29 Prozent – nach 40 Jahren 164.371 Euro bringen. Angenommen wird dabei, dass monatlich 100 Euro eingezahlt werden.
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Bei einem möglichen Vorsorgedepot, in dem bei der Entnahme zwar Abgeltungsteuer anfällt, aber über die Jahre keine Vorabpauschalen und Steuervorauszahlungen geleistet werden müssten, hätten Sparer nach 40 Jahren drei Prozent (gut 5000 Euro) Kapital mehr – vor allem, weil ohne die laufenden Steuerzahlungen mehr Geld im Depot verbleiben kann.
In der auch denkbaren Depotvariante, bei der Sparraten direkt von der Steuer abgesetzt werden können, man also „aus dem Brutto“ einzahlt, wären nach vier Jahrzehnten sogar 20 Prozent mehr drin (196.857 Euro). Angenommen wurde in der Beispielrechnung bei Entnahme eine Versteuerung nach dem persönlichen Steuersatz, hier 35 Prozent.
Private Rente: Wie sehen es die Parteien?
Grundsätzlich wollen alle Ampel-Partner einen Umbau der privaten Altersvorsorge. „Die private kapitalgedeckte Altersvorsorge muss attraktiver werden“, sagt zum Beispiel der finanzpolitische Sprecher der SPD, Michael Schrodi. Dem Sozialdemokraten zufolge sollte der Staat deshalb im Rahmen einer gemeinschaftlichen Kapitalanlage renditestärkere Anlagen ermöglichen, die Transparenz der Produkte erhöhen und Kosten für die Vorsorgesparer senken. „Die staatliche Förderung soll auf die unteren Einkommensgruppen und Familien mit Kindern konzentriert werden“, so Schrodi.
Grundsätzlich stimmt dem auch die FDP zu. Die Liberalen warnen aber davor, zu starre Vorgaben zu machen. So sollten dem einzelnen Sparer je nach Chancen-Risiko-Neigung möglichst viele Freiheiten bei der Auswahl der Assets ermöglicht werden, heißt es. Auch sollte das aufgebaute Vermögen insolvenzgeschützt und vererbbar sein. Mit Blick auf Vermögensaufbau und Altersvorsorge wirbt die Partei zudem für weitergehende Steuerbegünstigungen. Man dürfe eine Debatte über die Wiedereinführung der Spekulationsfrist für Wertpapiere nicht scheuen. Auch über den Sparerpauschbetrag müsse gesprochen werden, trotz der Anpassung auf nunmehr 1000 Euro.
Die Grünen hingegen nehmen das Wort Altersvorsorgedepot nicht in den Mund. Die Bundestagsfraktion hat stattdessen einen Bürgerfonds vorgeschlagen. Das könne ein „einfaches Produkt sein, das jeder versteht, mit maximal niedrigen Abschluss- und Verwaltungskosten und kaum bürokratischem Aufwand“, sagt der Abgeordnete Andreas Audretsch. So könne man auch dafür sorgen, dass weniger Geld versickert und mehr bei den Sparerinnen und Sparern ankommt. Für viele Menschen sei es schließlich nicht einfach, neben den laufenden Kosten noch privat vorzusorgen. „Da sollte jeder Euro sicher und gut angelegt sein“, so der Grüne.
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