Erfurt. AfD-Landeschef Björn Höcke könnte nach der Wahl Ministerpräsident werden – und die Wagenknecht-Partei spielt eine entscheidende Rolle.

Björn Höcke hat im Wahlkampf in Thüringen in den vergangenen Wochen den Wohlfühl-Gastgeber gespielt. Bühne, Bier und Bratwurst. So fuhr der AfD-Landesvorsitzende durch den Freistaat und feierte Sommerfeste. Was er den Menschen dort sagen wollte? Höcke präsentierte sich als neuer Ministerpräsident. Auch auf seinen Plakaten steht es in fetten Buchstaben: Ministerpräsident.

Allerdings: Realistisch ist das nicht. Die Chance, dass der Rechtsextremist Höcke, dessen Thüringer Landesverband vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch beobachtet wird, nach der Wahl am 1. September in die Staatskanzlei in Erfurt einzieht, ist gering. Von einer Alleinregierung ist die AfD derzeit sogar weiter entfernt als je zuvor.

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Björn Höcke steht in der Partei unter Druck, muss das Debakel um die Europawahl und seinen Kandidaten Maximilian Krah noch verdauen und bekommt Gegenwind vom Thüringer AfD-Bundestagsabgeordneten Klaus Stöber. Hinzu kommt: Sein bislang einziger williger Koalitionspartner in Thüringen – die Werteunion von Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen – ist nach guten Umfragewerten Ende 2023 noch nicht wieder aus der Versenkung aufgetaucht.

Wagenknecht-Partei: Geheimgespräche mit den Rechtsextremisten?

Die Zahlen am Wahlabend zeigen die Lage in Thüringen deutlich: Zwar liegt die AfD ersten Hochrechnungen zufolge deutlich vorne und ist damit stärkste Kraft. Keine der anderen im Landtag vertretenen Parteien will aber mit der AfD in irgendeiner Form zusammenarbeiten. Nicht die CDU, die demnach bei 24,5 Prozent liegt und nicht die Linke, die auf 12,4 Prozent kommt. Und die SPD mit ihren sieben Prozent ebenfalls nicht. FDP und Grüne reißen nach den ersten Hochrechnungen zufolge die Fünf-Prozent-Hürde. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt auf 15,8 Prozent – und schließt eine Zusammenarbeit mit Höcke und seiner AfD offiziell ebenfalls aus.

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Seit Wochen wabern allerdings Gerüchte durch Berlin und Thüringen, die etwas anderes sagen. Offiziell äußert sich niemand von denen, die dem BSW nahestehen. Hinter vorgehaltener Hand aber wird dieser Redaktion bestätigt, dass über eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD gesprochen werde. Zumindest wolle man ausloten, ob da etwas gehen könnte. Immerhin: Das BSW und die AfD vertreten insbesondere in der Migrationspolitik an der einen oder anderen Stelle ähnliche Positionen.

Katja Wolf (l) und Steffen Schütz, neue Landesvorsitzende ihrer Partei, geben eine Pressekonferenz.

„„Wir sind nicht deren Steigbügelhalter.““

Steffen Schütze (BSW)

Wie hält es also das BSW mit der AfD? Anfrage bei Sahra Wagenknechts Partei in Berlin. Die Antwort von BSW-Sprecherin Caroline Heptner fällt so aus: „Ein Szenario, bei dem BSW-Abgeordnete mit ihrer Stimme Höcke ins Amt des Ministerpräsidenten wählen, ist völlig unrealistisch. Denn es besteht absoluter Konsens im BSW Thüringen, dass Höcke unwählbar ist.“

BSW-Mann Schütz: „Am Tag, an dem das passiert, bin ich raus“

Auffällig: Aus Berlin wird immer wieder die Unwählbarkeit des Oberstudienrates Höcke betont, nicht aber der AfD insgesamt. Geht hier die nächste Falle in Thüringen auf? Schon nach der Landtagswahl 2019 war es Höcke, der CDU und FDP eine Koalition angeboten hatte und darauf verzichten wollte, Teil dieser Regierung zu sein, wenn es an seiner Person scheitere. Würde das BSW diesen Schritt nun gehen? Zusammen jedenfalls kämen beide Parteien den jüngsten Umfragen zufolge möglicherweise auf eine parlamentarische Mehrheit.

Anruf beim BSW-Landesvorsitzenden in Thüringen. Steffen Schütz ist Medienunternehmer, führt eine Firma in Berlin. In Thüringen ist er verwurzelt. Hier will er sich, an der Seite der Spitzenkandidatin Katja Wolf, engagieren und in den Thüringer Landtag einziehen. Die Situationsbeschreibung über Geheimgespräche von BSW und AfD-Vertretern wundert Schütz dann auch nicht. Er sagt offen: „Der Tag, an dem das passiert, an dem bin ich raus.“ Was meint er?

Höcke-Unterstützung oder eine Zusammenarbeit mit der AfD? Anders, als seine Berliner Parteigenossen, schließt Schütz jedwede Zusammenarbeit mit der AfD in Thüringen aus. Höcke hin oder her. „Wir sind nicht deren Steigbügelhalter. Wir wollen die Demokratie erneuern, die AfD will die Demokratie abschaffen“, sagt er unserer Redaktion und spricht damit auch die Sprache von Katja Wolf.

BSW hat großen Einfluss darauf, ob Höcke an die Macht kommt

Und dennoch: Wenn es um Szenarien geht, wie Höcke zum Ministerpräsidenten werden könnte, kommt dem BSW eine entscheidende Bedeutung zu. Denn die Liste aus 32 Frauen und Männern, die für die Landtagswahl antreten, besteht vor allem aus Kandidaten, die entweder noch nicht politisch engagiert waren oder sich zuvor von anderen Parteien frustriert abgewendet haben. Nach jetzigem Stand könnte die Partei auf 15 Abgeordnete im nächsten Thüringer Landesparlament hoffen.

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Die offene Frage ist: Wie verlässlich sind sie? Was, wenn sich die Fraktion sehr schnell spaltet, weil die eine Hälfte mit der AfD über eine Zusammenarbeit reden will und die andere Hälfte, das Lager um Wolf und Schütz, diese kategorisch ausschließt? Die Möglichkeit, dass aus einer BSW-Fraktion plötzlich zwei werden, ist nicht ausgeschlossen.

Steffen Schütz weist solche Spekulationen vehement zurück und wird pathetisch: „Zwischen uns in Thüringen passt in dieser Frage kein Blatt Papier.“ Was er meint: Schütz ist überzeugt, dass keiner der 32 Kandidaten, die potenziell für das BSW in den Landtag einziehen könnten, ernsthaft über eine Zusammenarbeit mit der AfD nachdenkt. Wie sicher er und seine Parteichefin Katja Wolf sich aber tatsächlich sein können, das wird sich erst in dem Moment erweisen, wenn sich die neue BSW-Fraktion im Landtag konstituiert hat.