Berlin. Wie ein Puzzle setzt sich derzeit das Bild von Scholz‘ Kanzler-Plan zusammen. Dabei spielt ein Kontrahent eine entscheidende Rolle.
Gegner, Botschaften, Themen: Wie ein Puzzle setzt sich derzeit ein Bild zusammen. Es zeigt den Plan von Bundeskanzler Olaf Scholz für seine Wiederwahl. Die SPD-Strategen glauben trotz der aktuell schwachen Umfragewerte fest daran, dass Scholz nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr erneut Kanzler werden kann. Eine wichtige Rolle dabei spielt Friedrich Merz. Die Taktik des Kanzlers in der Analyse.
Olaf Scholz erneut als Kanzler? Wahlkampfhits zweimal singen
Deutlich vor der Bundestagswahl 2021 hatte sich Olaf Scholz festgelegt: Der Mindestlohn müsse auf 12 Euro pro Stunde steigen, forderte der Sozialdemokrat. Nach der Wahl legte die Ampel-Koalition die Erhöhung in einer politischen Entscheidung per Gesetz fest. Das Lohnplus für Geringverdiener ist fest mit Scholz‘ Namen verbunden. Auch, weil der Kanzler seitdem keine Gelegenheit auslässt, diese „Gehaltserhöhung für sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger“ zu feiern.
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Nun macht Scholz sich das Thema wieder frühzeitig zu eigen. „Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben“, sagte der Kanzler dem „Stern“. Für die Diskussionen der kommenden Wochen und Monate hat Scholz damit einen Pflock eingeschlagen – unabhängig davon, wie die Mindestlohnkommission im kommenden Jahr entscheidet.
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Die SPD ist erfreut über das klare sozialpolitische Signal des Kanzlers. Je näher die Bundestagswahl rückt, desto öfter wird Scholz stärker als Sozialdemokrat zu erkennen sein. Und weniger als Ampel-Kanzler, der mal wieder nach Kompromissen zwischen FDP und Grünen sucht.
Eine Scholz-Botschaft prägen
Auf den Straßen vieler deutscher Städte ist Olaf Scholz gerade sehr präsent – und zwar mit einer Frau an seiner Seite: Die SPD plakatiert den Kanzler gemeinsam mit ihrer Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley. Zwar steht Scholz am 9. Juni nicht auf dem Wahlzettel, die Parteizentrale nutzt die Gelegenheit dennoch, das Gesicht des Kanzlers mit Botschaften zu verbinden, die auch im Jahr der Bundestagswahl noch tragen sollen: „Besonnen handeln“, „Frieden sichern“, „Sicherheit“ steht auf den Plakaten.
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Die Slogans sollen für den Kurs des Kanzlers in der Ukraine-Politik stehen. Als „Friedenskanzler“ sieht sich Scholz selbst nicht. Der Sozialdemokrat hilft dem von Russland angegriffenen Land mit umfangreichen Waffenlieferungen. Das Maß der militärischen Unterstützung hat er aber stets lange abgewogen. Zu ängstlich, zu langsam sei Scholz, werfen ihm Kritiker deswegen vor. Scholz ist jedoch überzeugt, dass ihm viele Bürgerinnen und Bürger es anrechnen, wenn „ich mich nicht drängen lasse von all den Lautsprechern und Generalfeldmarschällen, die durch die Talkshows geistern“. Auffällig ist auch, wie Scholz sich in der Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht hinter seinen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) stellt, der derzeit auch weitreichende Modelle prüft.
Die Schwächen des Gegners zur eigenen Stärke machen
Das Bild eines Politikers, der sich weder von Kritikern noch von Emotionen treiben lasse, werden Scholz und seine Strategen bis zur Bundestagswahl immer und immer wieder zeichnen. Da kommt es ihnen entgegen, dass die Union aller Voraussicht nach mit Friedrich Merz als Herausforderer antritt. „Ich halte das für sehr wahrscheinlich, und – wenn ich das sagen darf – es wäre mir auch ganz recht“, sagte Scholz kürzlich genüsslich grinsend. Warum?
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Anders als zu den gemeinsamen Groko-Zeiten Angela Merkels muss die SPD dann nicht mehr mühsam die politischen Unterschiede zum deutlich konservativeren Merz erklären. Außerdem: Neben dem CDU-Chef wirkt der dröge Scholz nicht langweilig, sondern seriös und beherrscht, so das Kalkül bei der SPD. Stichwort Besonnenheit. Merz hat in der Vergangenheit immer mal wieder verbale Querschläger verursacht und gilt als aufbrausend. Zuletzt schien der Oppositionsführer zur Erleichterung von Parteifreunden allerdings mit deutlich kühlerem Kopf zu agieren.
Scholz nimmt für sich aber noch einen weiteren Vorteil gegenüber dem Christdemokraten in Anspruch: Im Gegensatz zur Vita des Kanzlers findet sich im Lebenslauf des Sauerländers kein einziges Regierungsamt. In Umfragen liegt die Union (30 bis 32 Prozent) derzeit deutlich vor der SPD (15 bis 16 Prozent), im direkten Vergleich würden sich aber mehr Wahlberechtigte für Scholz (32 Prozent) als für Merz (29 Prozent) entscheiden. Scholz wird Wählern trotz der chaotischen Ampeljahre vor der Bundestagswahl daher die Frage stellen: Wem wollt ihr die Regierungsverantwortung in die Hände legen?
Spannung bis zur Wahl hochhalten
Bevor sich Scholz vollkommen dem Wahlkampf widmet, muss er sich allerdings noch darum kümmern, dass ihm seine Koalition nicht frühzeitig um die Ohren fliegt. Die kommenden Monate werden davon bestimmt sein, dass sich die Ampel unter großen Schmerzen auf einen Haushalt für 2025 mit Einsparungen von rund 25 Milliarden einigen muss. In der SPD-Zentrale wollen die Strategen um Generalsekretär Kevin Kühnert nach der Europawahl aber im Wahlkampfmodus bleiben.
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Nach der Europawahl ist schließlich vor den Landtagswahlen im September – und dann ist es nur noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl 2025. Das Willy-Brandt-Haus arbeitet daher dauerhaft zusammen mit der Agentur Brinkertlück, die bereits die erfolgreiche Scholz-Kampagne 2021 entwarf, und nicht nur in den Monaten vor der Bundestagswahl. Wiederwahl als Langzeitprojekt. So hat es auch Scholz stets gesehen. Im Dezember 2022 sagte er dieser Redaktion auf die Frage, ob er noch einmal antrete: „Natürlich trete ich an. Ich will, dass die Regierungskoalition so gut dasteht, dass sie erneut das Mandat erhält.“
Cool bleiben und das Beste hoffen
Ein neues Mandat für die Ampel, das klingt aus heutiger Sicht angesichts der Dauerdifferenzen des Bündnisses allerdings verwegen – und wäre zumindest auf Grundlage aktueller Umfragen rechnerisch auch nicht möglich. Scholz und seine SPD wollen cool bleiben: Stets erinnern sie an 2021, als die Sozialdemokraten erst spät im Wahlkampf aufholten und am Ende vorne lagen.
Allerdings muss das Kanzler-Team darauf hoffen, dass sich die Puzzleteile des Scholz-Plans tatsächlich ineinanderfügen. Der Merz-Faktor muss eintreten. Der Kanzler geht zudem fest davon aus, dass Unternehmen und Experten die Lage der deutschen Wirtschaft zu düster schildern. Die Inflation ist bereits im Griff, die Strompreise sinken wieder. Scholz erwartet eine gesamtwirtschaftliche Trendwende und somit eine bessere Stimmung pünktlich zum Wahljahr.
Kommt das so, gibt ihm das Rückenwind. Wenn nicht, wird Merz dem Kanzler die Wirtschaftslage bei jeder Gelegenheit ankreiden. Ähnlich sieht es beim Thema Migration aus. Steigen die Zahlen der Asylbewerber in diesem und im kommenden Jahr, wäre das schlecht für Scholz‘ Wiederwahlchancen. Hinzu kommt die volatile Weltlage, die dem Kanzler weitere Krisen bescheren kann. Am Ende kommt es darauf an, ob die Wähler Olaf Scholz das Kanzleramt noch zutrauen.