Moskau. Spuren in die Ukraine, ominöse Verbindungen: Putin spart nicht mit Verschwörungstheorien. Vor allem eine Gruppe leidet jetzt darunter.
Putins Propaganda blüht derzeit kräftig weiter. Ein eigenes Versagen angesichts der weiter bestehenden Gefahr durch islamistischen Terror – das soll möglichst vertuscht werden. Seitdem sich der „Islamische Staat Provinz Khorasan“ zu dem verheerenden Anschlag auf die Crocus City Hall bei Moskau bekannt hat, ist der Kreml damit beschäftigt, eine Spur Richtung Ukraine zu legen. Dabei weiß auch Russlands Präsident Wladimir Putin (71), dass das ziemlich konstruiert klingt. Sie hätten Auftraggeber gehabt, sagt er.
Die von ihm erwähnte Spur gibt es tatsächlich: Die Täter wollten wohl über die russisch-ukrainische Grenze fliehen. Doch der Kremlchef geht in seiner Argumentation weiter: „Diese Gräueltat ist möglicherweise nur ein Glied in einer Kette von Versuchen derjenigen, die sich seit 2014 durch die Handlungen des neonazistischen Kiewer Regimes im Krieg mit unserem Land befinden.“
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Putin verwandelt das Land nach Meinung vieler Beobachter kontinuierlich in eine Diktatur. Die Staatsmedien sind getreu auf Kreml-Linie, frühere oppositionelle Medien wie die „Nowaja Gaseta Europe“ haben entweder aufgegeben oder sind ins Exil gegangen. Putin bekommt im öffentlichen Raum keine Gegenrede mehr. Er umgibt sich mit loyalen Mitstreitern – darunter wenige Frauen –, die seine Weltsicht teilen. Westliche Russland-Experten sehen deutlich totalitäre Tendenzen, Meinungsvielfalt findet nicht mehr statt. Dafür umso mehr Überwachung, zumindest in den Großstädten. Moskau gilt als eine der am besten überwachten Städte der Welt, überall filmen Kameras Passanten – und sind mit polizeilichen Datenbanken verknüpft. Ein Gesuchter kann binnen Minuten aus der U-Bahn gezogen und verhaftet werden.
Russland: Über 80 Prozent der Russen bewerten Putin positiv
Das Beispiel des Anschlags auf die Konzerthalle veranschaulicht drastisch, wie es Putin gelingt, die Stimmung für sich zu drehen. Denn obwohl das nach Ansicht von Experten glaubwürdige Bekenntnis des Islamischen Staates vorliegt, streut der Kreml weiterhin erfolgreich Zweifel daran. Zumindest innerhalb Russlands schenken ihm die Bürgerinnen und Bürger Glauben.
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Auch Putins Zustimmung in der Bevölkerung hat nicht gelitten, das zeigen die Zahlen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada. Nach wie vor bewerten über 80 Prozent der Menschen Putins Arbeit positiv. „Natürlich stecken die Amerikaner dahinter“, meint die Rentnerin Natascha gegenüber unserer Zeitung. Alle ihre Freunde würden so denken.
Warum glaubt die russische Bevölkerung diese Geschichte? Die Staatsmedien berichten in diesem Sinne. Die Menschen sehen durchaus die vielen Probleme im Land. Die marode Infrastruktur. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft, wodurch für andere Bereiche Geld fehlt. Doch sie glauben, vertrauen darauf, dass ihr Präsident die Probleme lösen kann. Für sie gibt es nur Putin. Die Opposition im Exil hat keine politischen Konzepte für das Land. Auch der verstorbene Kremlkritiker Alexej Nawalny nicht. Er war lediglich gegen Putin, gegen Korruption und abstrakt für Demokratie. Hoffnungen hat seine Witwe, Julja Nawalnaja, bei den Anhängern ihres Mannes geweckt. Doch noch hat sie kein Konzept vorgelegt oder gesagt, auf welche Weise sie Nawalnys Vermächtnis fortführen möchte. Innenpolitische Vorstellungen hatte ansatzweise Boris Nadeschdin. Doch er durfte nicht zur Präsidentschaftswahl antreten. Und selbst wenn: Er hätte nur die Chance auf wenige Prozent der Stimmen gehabt.
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Russland: Tadschiken auf der Straße zusammengeschlagen
Anti-Amerikanismus prägte Wladimir Putin von Anfang an. Den Zusammenbruch der Sowjetunion empfand er als Demütigung, die Nato-Osterweiterung als Bedrohung. Bereits im September 2001 sprach er in einer historischen Rede vor dem Deutschen Bundestag von der „Einheit der europäischen Kultur“. Europa und Russland sollten einen eigenen Machtblock bilden – gegen die Amerikaner, so Putin in seiner Rede, die er auf Deutsch hielt. „Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit Russland (…) vereinigen wird.“
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Die von Moskau benannten Haupttäter, die möglichen Schützen in der Terrornacht, stammen aus Tadschikistan. Der Hass vieler Russinnen und Russen trifft nun unschuldige Menschen aus diesem Land, die als Arbeitsmigranten in Russland leben. In Blagoweschtschensk in der Region Amur zündeten Unbekannte einen Einkaufspavillon an, der Migranten gehört. „Offensichtlich aus nationalen Gründen“, erklärte der Bürgermeister der Stadt. In Kaluga schlug eine Gruppe Unbekannter drei Tadschiken auf der Straße zusammen, einer von ihnen wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Aus verschiedenen Regionen Russlands gibt es Berichte, dass Kunden die Dienste von Taxifahrern tadschikischer Nationalität verweigern.
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All dies trifft den 36-jährigen Alim. Er stammt aus Tadschikistan, lebt seit 2011 in Russland und ist Taxifahrer. „Am Morgen berichteten Medien, dass es sich bei den Angreifern um Tadschiken handele. Zuerst konnte ich es nicht glauben, aber dann hörte ich in einem der Videos die tadschikische Sprache. Dann kam die Erkenntnis und dann – große Enttäuschung“, sagt er. „Mit ihren Gräueltaten haben sie dem Ruf eines ganzen Volkes geschadet.“
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