Berlin. Ermittler sind besorgt über Tadschiken-Netzwerke, die vor Auftragsmorden nicht zurückschrecken. Das zeigt der Fall der „Takim“-Zelle.
Es ist ein Tag im Februar 2019, als die drei Männer mit dem Auto in der albanischen Hauptstadt Tirana eintreffen. Ein Tschetschene, zwei Tadschiken. Sie sind bewaffnet. Ein Kontaktmann, der sich nur „Abu Hamza“ nennt, hat die Reise der drei organisiert. Und auch eine Waffe vermittelt, ein „Glaubensbruder“ in Österreich half.
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Nun wollen die Männer losschlagen, es ist ein Auftragsmord. Das Opfer: ein albanischer Manager einer Mineralölgesellschaft. Die beiden Tadschiken interessieren sich nicht für den Geschäftsmann, sie sind an dem Kopfgeld interessiert, 40.000 Dollar. Die eine Hälfte wollen sie an den „Islamischen Staat“ in Syrien schicken, die andere soll in die Planung von Anschlägen fließen, in Deutschland.
Deutsche Terrorfahnder werden später die Fahrt rekonstruieren. Es ist eines der größten IS-Verfahren der vergangenen Jahre. Fünf Islamisten stehen vor Gericht, alles tadschikische Staatsbürger, die im Namen des IS vor allem von Nordrhein-Westfalen aus ihre Gewalttaten planten. Die Ermittlergruppe der Polizei gab dem Verfahren einen Codenamen: „Takim“.
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Spätestens in diesem Verfahren ist den Ermittlern klar: Terrorgefahr in Deutschland geht stark von diesen jungen Männern aus Zentralasien aus. Die Pläne der fünf Tadschiken flogen noch rechtzeitig auf.
2017 tötete ein Usbeke mit einem Lastwagen vier Menschen in Stockholm. Kurz darauf sprengte sich ein junger Kirgise in einer Metro in St. Petersburg in die Luft. In der Silvesternacht 2016 tötete ein Usbeke 39 Menschen in einem Nachtklub in Istanbul.
ISPK: Die „Filiale“ des IS gründete sich schon Ende 2014, wuchs vor allem in Afghanistan
Und nun trifft der Terror Moskau. Mehr als 130 Menschen sterben, als Bewaffnete in einen Konzertsaal nahe der russischen Hauptstadt eindringen und gezielt um sich schießen. Der „Islamische Staat“ reklamierte das Attentat für sich, als Belege zeugen Videoaufnahmen, die das Terrornetzwerk veröffentlicht hat. Die russischen Behörden geben an, sie hätten mehrere Männer mit tadschikischen Pässen als Tatverdächtige festgenommen. Die Angaben lassen sich nicht prüfen, die Pässe könnten gefälscht sein.
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Tadschikistan, Usbekistan, Kirgistan – und vor allem Afghanistan: Es ist das Gebiet eines Ablegers des IS, der auch deutschen Ermittlern derzeit große Sorgen bereitet: Islamischer Staat Provinz Khorasan, kurz: ISPK. Die „Filiale“ des IS gründete sich schon Ende 2014, wuchs vor allem in Afghanistan, nahm einzelne Gebiete sogar unter eigene Kontrolle.
Nach der Niederschlagung des IS in Syrien und Irak spüren Staatsschützer in Deutschland vor allem das Wirken dieser Islamisten-Gruppe. Sie hat sich ein Netzwerk aufgebaut, das vor allem online über Chatgruppen funktioniert, sie haben Finanzierungswege etabliert, bilden Kämpfer aus, planen aufwendige Terrortaten, nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Europa.
Erst vor einigen Tagen nahmen Ermittler zwei Afghanen im thüringischen Gera fest. Sie sollen Mitglieder des ISPK sein und laut Staatsanwaltschaft einen Anschlag in Schweden geplant haben. An Heiligabend durchsucht die Polizei eine Wohnung nördlich des Ruhrgebiets. Fünf Männer halten sie fest, vier kommen wieder frei, ein Mann bleibt in Gewahrsam. Die Ermittler wollen Hinweise gehabt haben, dass der Tadschike den Kölner Dom ausgespäht hatte. Angeblich für einen Anschlag.
Die Männer reisten nach dem russischen Angriff aus der Ukraine nach Deutschland
Nach dem schweren Attentat in Moskau spricht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) davon, dass die Gefahr durch islamistischen Terrorismus „akut“ bleibe. Ermittler prüfen nach Anschlägen wie nun in Russland auch die aktuellen „Gefährder“ in Deutschland noch einmal, sehen sich die potenziellen Täter an. Es besteht nach solchen Lagen die Gefahr von Trittbrettfahrern, die zuschlagen.
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Und gerade bei Islamisten aus Zentralasien horchen Sicherheitsbehörden auf. Im Sommer nehmen Ermittler sieben Personen in Nordrhein-Westfalen fest, mehrere Tadschiken, ein Kirgise und ein Turkmene. Auch sie stehen unter Terrorverdacht. Das Brisante: Die Männer reisten nach Erkenntnissen der Polizei in den ersten Tagen nach dem russischen Angriff gemeinsam aus der Ukraine über Polen nach Deutschland aus. Ab Sommer 2022 sollen sie Terrorpläne geschmiedet haben. Auch hier standen die Männer laut Behörden in Kontakt zu Islamisten des ISPK.
Konkrete Tatpläne hatten die Männer allerdings noch nicht, auch Waffen oder Sprengstoff fanden die Ermittler nicht. Das ist nicht untypisch für das taktische Agieren der Sicherheitsbehörden. Polizei und Nachrichtendienst schlagen schnell zu, wenn sie mutmaßliche Terrorverdächtige im Visier haben. Sie wollen einem möglichen Attentat zuvorkommen – auch wenn die Beweislage nicht immer stark ist.
Und es zeigt: Die Ermittler sind durchaus unter Druck. Nachdem die islamistische Szene nach den schweren Attentaten von Paris und Brüssel sowie dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin von Behörden durch Festnahmen, Vereinsverboten und Razzien in Teilen zerschlagen wurde, baute sich die Szene in den vergangenen Jahren wieder auf. Die Sicherheitsbehörden registrieren mehr Täter, die auf dem Radar der Terrorermittler aufflackern. Oftmals junge Männer, manchmal noch Jugendliche. Sie radikalisieren sich über Online-Foren und Chatgruppen mit Islamisten. In vielen Fällen sind ihre Fähigkeiten für Terrortaten nicht sehr ausgeprägt, sie handeln allein.
Doch gerade das Attentat in Moskau, aber auch die Festnahmen der Terrorzelle in Deutschland, zeigen, dass Anhänger des zentralasiatischen Ablegers des IS fähig sind zu aufwendigen Terror-Plots mit schweren Waffen und Sprengstoff.
Konspirativ, entschlossen und gut vernetzt agierte schon vor einigen Jahren die „Takim-Zelle“ in Deutschland. Mehrere Täter hatten in ihrer Heimat studiert, waren Ingenieure, bauten eigene Firmen auf. Dass sie auch Auftragsmorde in Albanien für Geld ausführen wollten, zeigt die Gefährlichkeit.
Die Gruppe stand laut Ermittlern über die Kommunikations-App „Zello“ in Kontakt mit führenden IS-Mitgliedern im Ausland, eine Technik, bei der die Männer ähnlich wie Walkie-Talkies in Echtzeit miteinander chatten. Es ging in Hunderten Nachrichten vor allem darum, Geld für das Terrornetzwerk zu beschaffen.
Und die Verdächtigen bastelten selbst an Apps, mit denen tadschikischsprachige Menschen für den ISPK rekrutiert werden sollten. Eine der Apps hieß „Umma“, das arabische Wort für „Gemeinschaft der Gläubigen“. Dort verbreiteten die Islamisten ihre Propaganda, unter der Rubrik „Gutes tun“ konnten Nutzer über den russischen Zahlungsdienst Qiwi für den IS spenden.
Die Täter informierten sich sogar an Flugschulen über Fallschirmfliegen
Die Männer und ihre Komplizen arbeiteten nicht nur mit Handy-Technik für den IS. Sie beschafften sich Waffen, überlegten sich Schusstrainings in einer Paintball-Halle. Die Täter informierten sich sogar an Flugschulen übers Fallschirmfliegen, im Raum stand ein Anschlag aus der Luft.
Am Ende scheiterten die Tadschiken mit ihren Terrorplänen. Mehrere Hundert Ermittler waren zeitweise an der Gruppe dran, überwachten die Telefonverbindungen, nahmen die Islamisten schließlich fest. Sie wurden zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt.
Den Auftragsmord an einem albanischen Manager führten die Männer damals nicht aus. Sie observierten einen Mann zwar mehrere Tage, folgten ihm in ein Restaurant. Doch am Ende waren sie sich nicht sicher, ob sie ihn verwechseln. Und brachen die Tat ab.
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