Moskau. Als Wirtschaftsexperte soll Andrej Beloussow die russische Kriegsmaschine am Laufen halten – doch die Personalie birgt einige Risiken.
Obwohl es schon länger Gerüchte um die Zukunft von Verteidigungsminister Sergej Schoigu gab, seine Entlassung war dann doch ein Paukenschlag. Schoigus Nachfolger wird der 65-jährige Andrej Beloussow, ein Wirtschaftsexperte – und ein Zivilist, der schon Minister für wirtschaftliche Entwicklung und zuletzt Erster Stellvertretender Ministerpräsident war. Ein offizieller Grund für die Entlassung Schoigus wurde nicht genannt. Er ist künftig Sekretär im russischen Sicherheitsrat, dessen Vorsitzender Präsident Wladimir Putin ist.
Der Kremlchef zielt mit der Regierungsumbildung allem Anschein nach langfristig darauf ab, auf Kriegswirtschaft einhergehend mit hohen Rüstungsausgaben umzustellen. In Zeiten eines neuen Kalten Krieges soll die Armee schlagkräftiger werden. Das kostet viel Geld, und es belastet die Volkswirtschaft. Doch Putin will die Fehler der ehemaligen Sowjetunion nicht wiederholen. Neben anderen Problemen führten immer höhere Rüstungsausgaben das Riesenreich in den Ruin. Putin will die Kosten im Griff behalten – zumal es innenpolitisch viele Probleme im Land gibt. Auch deren Lösung kostet Geld.
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In der Armeeführung setzt Putin offenbar auf eine Art Doppelspitze. „Das Verteidigungsministerium muss absolut offen für Innovationen und die Einführung aller fortschrittlichen Ideen sein, um Bedingungen für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen“, sagt Kremlsprecher Dmitri Peskow. Wohl deshalb fiel die Wahl auf den Wirtschaftsexperten Beloussow als Minister, während Waleri Gerassimow als Generalstabschef fürs eigentlich Militärische zuständig bleibt.
Putin plant im Krieg mit der Ukraine inzwischen langfristig
Beloussow studierte Wirtschaftswissenschaften, die Moskauer Lomonossow-Universität absolvierte er 1981 mit Auszeichnung. Fast 20 Jahre lang war er an der Russischen Akademie der Wissenschaften tätig. Dann der Wechsel in den öffentlichen Dienst. Er wurde Putins oberster Wirtschaftsberater und war seit 2020 Vize-Ministerpräsident. Im Juli 2022 wurde Beloussow auf die Sanktionsliste der EU gesetzt. Die Ernennung Beloussows deute darauf hin, dass Putin den Krieg in der Ukraine vor allem mit der Produktion in den Rüstungsbetrieben gewinnen wolle, sagt der Russland-Experte Alexander Baunow vom Carnegie Russia Eurasia Center.
„In seiner Denkweise ist das logisch, weil sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der Sicherheits- und Militärapparat“, analysiert Baunow. Dass Generalstabchef Waleri Gerassimow im Amt bleiben soll, dürfte wohl nur daran liegen, dass die russische Armee unter seiner Führung in der Ukraine zuletzt erfolgreich war. Putin hatte an Schoigu und Gerassimow festgehalten, obwohl die Lage vor einem Jahr im Juni mit einem Aufstand des Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, eskaliert war.
Prigoschin hatte Schoigu massive Korruption, Führungsschwäche und Versagen im Krieg bescheinigt. Den Machtkampf mit der russischen Militärführung verlor Prigoschin, der im August wie die gesamte Wagner-Führung bei einem bislang nicht aufgeklärten Flugzeugabsturz ums Leben kam. Aber vergessen waren die Skandale um Amtsmissbrauch und Veruntreuung von Mitteln sowie Diebstahl in der russischen Militärführung nicht.
Russland: Mit Schoigu verbindet Putin eine enge Freundschaft
Als wichtigster Mann an der Seite Schoigus galt stets Generalstabschef Gerassimow. Beloussows Ernennung würde keinen Einfluss auf dessen Tätigkeit haben, betonte Kremlsprecher Peskow. „Was die militärische Komponente betrifft, so wird diese Ernennung in keiner Weise das aktuelle Koordinatensystem ändern, die militärische Komponente war schon immer das Vorrecht des Generalstabschefs, er wird seine Tätigkeit fortsetzen“, zitiert die Nachrichtenagentur Interfax Putins Sprecher.
Ob Putin mit der Regierungsbildung klug gehandelt hat? Die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja hat daran ihre Zweifel. „Die Ernennung von Sergej Schoigu zum Sekretär des Sicherheitsrates ist eine sehr umstrittene Entscheidung“, sagt sie. „Ich denke, dass Putin selbst nicht wirklich verstanden hat, wen er hier gestärkt und wen er geschwächt hat.“ Putin verbindet mit Schoigu eine enge Freundschaft, die beiden haben immer wieder auch zusammen demonstrativ Freizeit und Urlaub miteinander verbracht.
Putin hat Schoigu mit einer gesichtswahrenden Funktion betraut
Putin hatte an dem Minister trotz aller Niederlagen und Pannen besonders zu Beginn des Krieges festgehalten. Immer wieder hatte es Spekulationen um eine Ablösung gegeben. Aber Putin gilt seinen Freunden als treu. Dass er Schoigu nun zum Sicherheitsratschef macht, gilt auch als gesichtswahrende Lösung für den langjährigen Weggefährten. Und sie hat Vorteile für Putin, denn so sei es für den Kremlchef sicherer, meint Stanowaja. „Anscheinend beginnt der Sicherheitsrat damit, seinen Namen zu rechtfertigen: sich vor ehemaligen Schwergewichten zu schützen, die nirgendwo sonst angebracht sind, aber nicht weggeworfen werden können.“
Die Zukunft des einflussreichen bisherigen Sicherheitsratssekretärs Nikolai Patruschew bleibt indes vorläufig offen. Die künftigen Aufgaben des 72-Jährigen würden in den kommenden Tagen bekannt gegeben, erklärte Kremlsprecher Peskow. Auf Beloussows Posten des Ersten Stellvertreters von Regierungschef Michail Mischustin wird demnach der bisher für die russische Kriegswirtschaft verantwortliche Minister Denis Manturow befördert.
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