Berlin. 20.000 Euro für alle jungen Menschen – das ist die Idee des Grunderbes. Eine Stiftung macht den Test. Was kann das Geld bewirken?
Im vergangenen Jahr wurde Oscar Cuypers-Parsch auf einen Post auf Instagram aufmerksam. Eine Stiftung suchte 30-Jährige aus Wuppertal. Sie hätten die Chance auf 20.000 Euro – in Form eines sogenannten Grunderbes. Alles, was man dafür tun musste: sich bewerben und anschließend per Zufallsprinzip ausgelost werden. „Da ich letztes Jahr 30 geworden bin, dachte ich mir: Das passt ja, ich bewerbe mich einfach mal“, erinnert sich Cuypers-Parsch.
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Am Ende war er einer von insgesamt 230 jungen Menschen, die sich in der nordrhein-westfälischen Stadt auf den Aufruf meldeten und im November schließlich zur Auslosung zusammenkamen. „Mir war dann schon klar, dass die Chancen höher sind als zum Beispiel beim Lotto, aber ich habe natürlich trotzdem nicht damit gerechnet, dass es klappt“, sagt er. Doch genau das passierte: Am Ende des Abends war Cuypers-Parsch, zumindest auf dem Papier, um 20.000 Euro reicher.
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Der Wuppertaler ist einer von fünf glücklichen 30-Jährigen deutschlandweit, die bisher ein solches Grunderbe in Höhe von 20.000 Euro bekommen haben. Vergeben wird es von der Stiftung „Ein Erbe für Jeden“. Sie hat das Projekt 2022 gestartet und lost seitdem jedes Jahr drei Städte in Deutschland aus, in denen sich dann 30-Jährige für das Grunderbe bewerben können.
Jusos fordern sogar Grunderbe in Höhe von 60.000 Euro
Gegründet hat die Stiftung Christoph Prüm. Für den frühere Heizungsbaumeister aus dem bayerischen Meinheim ist das Grunderbe ein Herzensprojekt. „Mir ist schon als Jugendlicher klar geworden, dass das mit der Chancengleichheit und auch mit der Demokratie nicht funktioniert, wenn wir keinen Ausgleich beim Thema Erbe schaffen“, erzählt der 73-Jährige. Gemeinsam mit seinem Sohn und seiner Exfrau rief er deswegen 2010 die Stiftung ins Leben – finanziert aus ihrem Privatvermögen. „Ich dachte mir, wir müssen das jetzt einfach machen und zeigen, wie es gehen könnte“, erzählt Prüm.
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Die Idee eines allgemeinen Grunderbes für junge Menschen ist nicht neu. Schon länger wird in der Forschung über das Für und Wider eines solchen Konzepts diskutiert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kam 2021 in einer Simulation zu dem Ergebnis, dass ein allgemeines Grunderbe die Ungleichheit in Deutschland deutlich verbessern würde. Auch aus der Politik gibt es immer wieder Forderungen nach einer solchen Zahlung. Zu den Befürwortern zählt etwa der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), der bereits 2022 eine Zahlung von 20.000 Euro für alle 18-Jährigen forderte. Der Co-Vorsitzende der Linken, Martin Schirdewan, sprach sich im vergangenen Jahr ebenfalls für ein Grunderbe aus – er schlug eine Höhe von 50.000 Euro vor. Die Jusos wollen sogar noch mehr: Sie beschlossen 2023 einen Antrag auf 60.000 Euro Grunderbe für alle 18-Jährigen.
Grunderbe: „Das Geld gibt mir eine Sicherheit, die ich bisher nie hatte“
Der Hintergrund ist ernst: In kaum einem EU-Land ist Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Und die Schere geht immer weiter auseinander – auch aufgrund von Erbschaften. „Schätzungsweise 60 Prozent des Vermögens in Deutschland ist durch Erbschaften zustande gekommen“, sagt Marcel Fratzscher, Ökonom und Präsident des DIW. „Das heißt: Was man hat, hängt weniger von der eigenen Leistung ab, sondern mehr davon, in welche Familie man hineingeboren wird“, erklärt der Experte.
Hinzu kommt: Während einige Menschen sehr viel erben, bekommen viele andere gar nichts oder nur sehr wenig. Eine Studie des DIW kam 2021 zu dem Ergebnis, dass rund ein Viertel aller Erbschaften an die reichsten zehn Prozent geht. Oscar Cuypers-Parsch etwa hätte ohne das Grunderbe wohl nie ein Erbe bekommen, sagt er. Auch große Rücklagen konnte sich der 30-Jährige, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Bochum arbeitet, bisher nicht schaffen.
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„Heutzutage ist es kaum mehr möglich, sich ohne Erbschaften, also nur aus dem eigenen Einkommen heraus, ein Vermögen aufzubauen“, sagt er. Das Grunderbe sei für ihn der erste Kontakt mit einer so großen Summe Geld gewesen. Für Cuypers-Parsch sind die 20.000 Euro zunächst einmal vor allem eine Absicherung. „Das Geld gibt mir eine Sicherheit, die ich bisher nie hatte“, sagt er. „Es ist ein sehr beruhigendes Gefühl zu wissen, dass da etwas ist, worauf man im Notfall zugreifen könnte.“
Zur Finanzierung eines Grunderbes wären jährlich 15 Milliarden Euro notwendig
Direkt ausgeben könnte Cuypers-Parsch das Geld ohnehin nicht. Nach der Auslosung müssen die 20.000 Euro zunächst für drei Jahre angelegt werden. Das ist eine der Bedingungen der Stiftung. „Die Idee dahinter ist einfach, dass es manchen Menschen hilft, zunächst einmal ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie es ist, etwas zu besitzen“, erklärt Stiftungsgründer Prüm. Nach den drei Jahren können die Empfängerinnen und Empfänger dann selbst entscheiden, was sie mit dem Geld machen wollen. Die zweite Bedingung ist, dass das Grunderbe zurückgezahlt wird, falls es doch zu einer signifikanten Erbschaft kommen sollte.
In seiner Studie hat das DIW 2021 ausgerechnet, wie viel ein solches Grunderbe für alle jungen Menschen kosten würde. Das Ergebnis: Bei je 20.000 Euro wären das in etwa 15 Milliarden Euro pro Jahr. Finanziert werden könnte das laut DIW etwa über höhere Abgaben auf Erbschaften und Vermögen. Ein solches Modell schlägt auch Ökonom Fratzscher vor. „Jedes Jahr werden in Deutschland ungefähr 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt“, erklärt er. „15 Milliarden klingen zunächst einmal viel, sind aber nur ein Bruchteil der gesamten Erbmasse.“ Zur Finanzierung würde es reichen, Ausnahmen und Schlupflöcher bei der Erbschaftsteuer zu schließen, sagt der Experte: „Es wäre also nicht einmal eine Erhöhung der Steuersätze notwendig.“
Grunderbe sollte für große berufliche oder private Entscheidungen genutzt werden
Fratzscher plädiert dafür, das Grunderbe – genau wie es die Stiftung umsetzt – nicht bedingungslos auszuzahlen. „Die Idee ist nicht, dass jeder junge Mensch 20.000 Euro überwiesen bekommt und das dann auf den Kopf hauen kann“, sagt er. „Man sollte schon dazu gebracht werden, bewusst zu entscheiden, wofür das Geld eingesetzt wird.“ Eine Möglichkeit wäre etwa, dass junge Menschen das Geld mit einem bestimmten Ziel beantragen könnten. „Das Geld sollte eine Art Grundlage sein, auf die zugegriffen werden kann, wenn eine große Entscheidung getroffen werden muss“, erklärt der Ökonom. Klar sei aber auch, dass es keine Kontrolle geben könnte, wofür das Geld tatsächlich verwendet werden würde: „Am Ende sollte das natürlich immer eine eigene Entscheidung sein. Beim Grunderbe geht es auch darum, den Menschen Freiheit zu geben.“
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Während einige das Grunderbe bereits für 18-Jährige fordern, hält Fratzscher ein höheres Alter für besser. „Optimalerweise würde das Geld zu einem Zeitpunkt ausgezahlt werden, an dem möglichst viele Menschen bereits einen ersten Berufsabschluss haben“, sagt er. Denn dann könne das Geld auch tatsächlich für große berufliche oder private Entscheidungen genutzt werden. Ähnlich sieht das auch Prüm. Im Idealfall werde das Geld dafür eingesetzt, Vermögen aufzubauen oder beispielsweise eine berufliche Veränderung, etwa den Schritt in eine Selbstständigkeit, zu wagen. Die Stiftung habe sich deswegen für ein Alter von 30 Jahren entschieden, denkbar wäre aber auch ein Zeitpunkt zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr, sagt Prüm.
Oscar Cuypers-Parsch muss noch zweieinhalb Jahre warten, bis er tatsächlich über das Geld verfügen kann. Aber auch dann will er es lieber weiter anlegen, sagt er. „Ich bin grundsätzlich eher ein vorsichtigerer Typ. Wenn ich eine größere Anschaffung mache, dann überlege ich lieber 20-mal hin und her, bevor ich mich entscheide.“ Irgendwann würden sich seine Frau und er aber schon auch ein Eigenheim wünschen. Mit dem Grunderbe ist dieser Traum nun zumindest etwas realistischer geworden.