Berlin. Auf den Besitz von Kinderpornografie stehen hohe Strafen. Der Justizminister will das Strafmaß jetzt in bestimmten Fällen absenken.
Lügde, Münster, Bergisch-Gladbach – nach einer ganzen Reihe schwerer Missbrauchsfälle an Kindern beschließt die Große Koalition aus Union und SPD im Juni 2021 eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Es soll ein klares Abschreckungssignal an pädokriminelle Täter sein, doch schnell zeigt sich: Das Gesetz schießt über das Ziel hinaus, zu oft trifft es die Falschen. Jetzt, mehr als zwei Jahre später, will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Regelung korrigieren. In bestimmten Fällen soll das Strafmaß verringert und die Verfahren damit leichter eingestellt werden können. Der Gesetzentwurf liegt unserer Redaktion vor.
Das Problem betrifft viele – vor allem Eltern und Lehrer, und generell jeden, der im Social Web Bilder und Videos teilt. Der Straftatbestand der Verbreitung und des Besitzes kinderpornografischer Inhalte trifft im Alltag oft auf Personen zu, die ganz offensichtlich nicht aus krimineller Energie handeln. Etwa dann, wenn jemand kinderpornografisches Material im Netz entdeckt und vorübergehend auf dem Handy sichert, um andere darüber zu informieren oder zu warnen. Buschmanns Ministerium nennt ein typisches Beispiel: Eine Frau entdeckt, dass das Profilbild eines Bekannten mit kinderpornografischen Darstellungen verändert wurde. Sie schickt ihm einen Screenshot und warnt „Dein Facebook wurde gehackt.“
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In vielen Fällen gehe es auch um Eltern, die kinderpornografisches Material auf den Handys ihrer Kinder gefunden hatten. Eine typische Fallkonstellation: Eine Mutter entdeckt Kinderpornografie im Klassenchat ihres 12-jährigen Sohnes und schickt das Bild empört an den Lehrer der Klasse, um zu fragen: „Wie kann das sein?“ Oder: Eine Elternvertreterin macht einen Screenshot von Kinderpornografie im Klassenchat und versendet diesen an die Eltern des ursprünglichen Versenders, an die anderen Eltern und die beiden Klassenlehrer, um diese zu informieren.
Das Problem: Minder schwere Fälle gibt es nicht mehr
Nach dem geltenden Strafrecht droht diesen Eltern eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Denn: Seit der Strafverschärfung gelten alle Fallvarianten, bei denen das gespeicherte kinderpornografische Material ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, als Verbrechen. Das heißt gleichzeitig: Minder schwere Fälle gibt es nicht mehr, eine einfache Einstellung des Verfahrens ist nicht möglich.
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Probleme bereitet die Strafverschärfung aber auch bei weniger eindeutigen Fällen. So kam es laut Justizministerium jetzt zu einem Strafverfahren gegen eine junge Frau, die unbeabsichtigt kinderpornografisches Material auf ihrem Handy gespeichert hatte: In einer größeren WhatsApp-Gruppe hatte ein Gruppenmitglied kinderpornografisches Material versendet, obwohl die anderen Gruppenmitglieder dies ablehnen. Die junge Frau vergaß, das Material auf ihrem Handy zu löschen, obwohl sie es offenbar schrecklich findet.
Das Amtsgericht Buchen, wo das Strafverfahren gegen die Frau läuft, ist davon überzeugt, dass die Tat aus Nachlässigkeit geschah. Das Gericht hält die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe ohne die Regelung eines minder schweren Falls deswegen für verfassungswidrig – und will das Problem jetzt vom Bundesverfassungsgericht klären lassen. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder fordern seit längerem eine Änderung: In bestimmten Fällen sollen die Taten wieder vom „Verbrechen“ zum bloßen „Vergehen“ herabgestuft werden, um angemessen auf den Einzelfall reagieren zu können.
Vier von zehn Tatverdächtigen sind Kinder und Jugendliche
Eine dritte Gruppe von Fällen betrifft Taten von Kindern und Jugendlichen, die bewusst kinderpornografisches Material verbreiten – ohne dass dabei aber kriminelle Energie im Spiel wäre: Wenn etwa ein 15-Jähriger ein Bild in den Klassenchat stelle, weil er sich mit dem Bild wichtigmachen wolle, gehe es oft eher um Neugier oder Imponiergehabe. Oft sei Kindern und Jugendlichen die kriminelle Dimension überhaupt nicht bewusst, heißt es im Justizministerium. Laut Kriminalstatistik sind vier von zehn erfassten Tatverdächtigen bei Kinderpornografie selbst Kinder oder Jugendliche.
Zwar gilt im Jugendstrafrecht nicht der strenge Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts. Die aktuell gültige Mindeststrafe von einem Jahr, die Einstufung als „Verbrechen“ im Gegensatz zum „Vergehen“ wirke sich aber dennoch aus, heißt es im Ministerium: Die Staatsanwaltschaft habe so etwa keine Möglichkeit, das Ermittlungsverfahren einzustellen, auch wenn das wegen des geringen Unrechtsgehalts der Tat und der von jugendtypischer Unbedarftheit und Imponiergehabe bestimmten Motivlage sinnvoll wäre.
Kinderpornografie: Höchststrafe soll bei zehn Jahren bleiben
Justizminister Buschmann hat jetzt einen Vorschlag an seine Kabinettskollegen geschickt: Der FDP-Politiker will, dass einige der Tatbestände des Paragrafen 184b (Absatz 1 und Absatz 3) durch Absenken der Mindeststrafe auf sechs beziehungsweise drei Monate wieder zu Vergehen herabgestuft werden: Es geht um Personen, die einen kinderpornografischen Inhalt verbreiten, der Öffentlichkeit zugänglich machen oder herstellen.
Die Erhöhung der Höchstfreiheitsstrafe auf bis zu zehn Jahre für die schwerwiegenderen Tatbestände soll aber bleiben. Dadurch solle sichergestellt werden, dass auch künftig schwere Straftaten angemessen sanktioniert werden können. Zugleich, so die Argumentation, werde dadurch den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit wiedereröffnet, angemessen – etwa durch Einstellung – auf Verfahren zu reagieren, bei denen der Tatvorwurf am unteren Rand der Strafwürdigkeit liegt.
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