Berlin. Die RAF im Untergrund: Ein Experte erklärt, worüber untergetauchte Extremisten häufig stolpern und wann sie besonders gefährlich sind.
Mehr und mehr wird über das Leben der seit Jahrzehnten untergetauchten Ex-RAF-Terroristen bekannt: Wo und wie sie gelebt haben, wie sie sich finanziert haben. Doch was bedeutet es überhaupt unterzutauchen? Hendrik Hansen ist Politikwissenschaftler und Extremismusforscher an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und erklärt die Schwierigkeiten des Lebens im Untergrund.
Herr Prof. Hansen, was bedeutet es unterzutauchen?
Hendrik Hansen: Da spricht man von Leuten, die nicht nur unauffindbar für die Polizei sind, sondern die auch die gesellschaftlichen Bindungen gekappt und keinen Arbeitsvertrag mehr haben – jedenfalls nicht unter ihrem richtigen Namen. Die haben auch kein Bankkonto mehr und sind nicht offiziell Mieter einer Wohnung. Im Gegensatz dazu gibt es Leute, die von der Polizei gesucht werden, aber nicht aufgefunden worden sind. Da reicht es aus, dass jemand zu Verwandten geht, wenn er mit einem „Polizeibesuch“ rechnet.
Hansen: Man braucht ein entsprechendes Netzwerk, auf dessen Unterstützung man sich verlassen kann. Durch diese Unterstützung erhält man eine Wohnung oder sogar eine falsche Identität. Das haben wir beispielsweise beim NSU erlebt. Mit ihren geliehenen Ausweisen konnten die Rechtsterroristen sogar Behördengänge erledigen. Das Unterstützernetzwerk kann sich im Inland, aber auch im Ausland befinden. Einige RAF-Terroristen haben falsche Papiere durch die Staatssicherheit der DDR erhalten.
Sie haben NSU und RAF erwähnt. Wo ist der Unterschied zwischen untergetauchten Rechts- und Linksextremisten?
Hansen: Die Untergetauchten in beiden Bereichen sind Menschen, die wegen schwerer Straftaten gesucht werden. Im Linksextremismus hat man es dabei aktuell überwiegend – mit Ausnahme der Antifa-Ost – mit Sachbeschädigung zu tun, wie zum Beispiel Brandanschläge. Bei gewaltbereiten Rechtsextremen hingegen verzeichnet man eine ganze Reihe von Körperverletzungsdelikten bis hin zu schweren Körperverletzungsdelikten.
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Die jeweilige Gefährlichkeit ist schwierig einzuschätzen, weil es unterschiedlichste Gruppierungen gibt. Bei einzelnen Gruppen besteht aber eine erhebliche Gefahr der Radikalisierung, wenn ein ganzes Netzwerk existiert, das in den Untergrund gegangen ist. Bei der Antifa-Ost ist mutmaßlich eine zweistellige Zahl an Linksextremisten untergetaucht. Bei diesen Leuten ist davon auszugehen, dass sie im Untergrund weiter in Kontakt sind und sich dort weiter radikalisieren. Das ist anders zu bewerten als jemand, der sich einer Haft entziehen will, aber nicht in einem Netzwerk eingespannt ist.
Antifa-Ost und Fahndung nach der dritten RAF-Generation: Warum ist Berlin ein Hotspot für untergetauchte Linksextremisten?
Hansen: Hier, aber auch in Hamburg und Leipzig haben untergetauchte Linksextremisten ein großes Unterstützernetzwerk. Göttingen und Bremen haben eine nennenswerte gewaltbereite linksextremistische Szene, die aber deutlich kleiner als in den erstgenannten Städten ist. In Hamburg gibt es zum Beispiel Sympathiebekundungen für die untergetauchten RAF-Terroristen und die in Berlin festgenommene Daniela Klette.
In der linksextremistischen Szene bewegen sich wahrscheinlich auch die Personen aus der Vulkangruppe, die einen Anschlag auf die Tesla-Fabrik verübt haben. Bei denen weiß man aber nicht, ob sie untergetaucht sind oder ein ganz normales Leben führen und sozusagen als Feierabendterroristen abends Strommasten anzünden.
Wie bewerten Sie die Fahndungserfolgsquote der Ermittlungsbehörden?
Hansen: Die erhebliche Anzahl von Leuten, die untergetaucht sind, und die jahrzehntelange Suche nach den RAF-Mitgliedern zeigt, dass die Ermittlungsbehörden vor großen Schwierigkeiten stehen in der Fahndung nach diesen Personen. Es ist offensichtlich geworden, dass Gesichtserkennungssoftware in den Behörden nicht standardmäßig eingesetzt werden kann. Es gab einen Journalisten, der mit dieser Software Daniela Klette bereits letztes Jahr fast gefunden hat.
Gefunden wurde ihr Gesicht von einem Journalisten bei Facebook. Über welche Fehler stolpern Untergetauchte sonst noch?
Hansen: Ich war erstaunt darüber, dass sie dort zu finden war. Sie muss ein hohes Maß an Sicherheit gespürt haben. Das ist einer der zwei großen Fehler. Wenn man so lange Zeit untergetaucht ist, wird man unachtsam und wiegt sich vielleicht auch in Sicherheit. Nach dem Motto: Das hat die ganze Zeit geklappt und wird nun auch weiter gut gehen.
Ein anderer Faktor ist die psychische Belastung. Wenn man untertaucht, muss man ständig auf der Hut sein, nicht erkannt zu werden. Dieser Stress kann früher oder später dazu führen, dass eine Person Fehler begeht. In einem anarchistischen Wochenblatt in München gab es eine Art Anleitung dafür, in den Untergrund zu gehen. Gleichzeitig wurde gewarnt: Zum Untertauchen braucht es eine gewisse psychische Stärke.
Der Spiegel berichtet, dass Klette bei ihrer Festnahme erleichtert gewirkt haben soll.
Hansen: Das weiß man nicht nur von Extremisten, sondern auch von Straftätern. Das ist ein Phänomen, das die Kriminalpolizei regelmäßig bei Leuten beobachtet, die auf der Flucht waren, insbesondere wenn sie länger untergetaucht waren. Es fällt eine richtige Last von ihnen ab.
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