Berlin. Vor der Polizei hatten Journalisten die Spur zu RAF-Frau Klette aufgenommen. Doch die Polizei muss auf bestimmte Methoden verzichten.
Die Polizei hat Lunte gerochen. Auf die Festnahme von Daniela Klette folgten weitere Hausdurchsuchungen. Nach Ernst-Volker Staub (69) und Burkhard Garweg (55), ebenfalls mutmaßliche RAF-Terroristen, wird intensiv gefahndet; sie werden „unter Wind“ genommen, wie die Beamten sagen. Die Sicherheitsbehörden greifen auch auf die Gesichtserkennung zurück. Von Garweg hatten sie erst am Wochenende aktuellere Fotos veröffentlicht, die sie in Berlin bei Klette gefunden hatten.
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Mit diesen Bildern fahndet die Polizei nach Burkhard Garweg
Im Wesentlichen gibt es bei der Erkennung drei Varianten:
- Klassisch: Jemand erkennt einen Verdächtigen aus Fahndungsfotos wieder und alarmiert die Polizei. Erst Mitte Februar war in Wuppertal ein Zug gestoppt worden, weil ein Passagier Staub entdeckt haben wollte. Falscher Alarm. Keine Seltenheit.
- Sogenannte „Super-Recognizer“ hingegen vergleichen Fotos oder Videos und filtern Verdächtige heraus. Sie können sich Gesichter extrem gut einprägen und wiedererkennen. Es ist eine angeborene Begabung, über die nur rund zwei Prozent der Bevölkerung verfügt. Bei der Kölner Silvesternacht 2015/16 und bei der Stuttgarter Krawallnacht 2020 identifizierte die Polizei so viele Verdächtige.
- Computergestützte biometrische Gesichtserkennung. Sie ist bequem, gilt als sicher, erleichtert allerdings auch die Überwachung. Sie hat sich seit 2008 bei den Landespolizeien und beim Bundeskriminalamt (BKA) etabliert und wird nicht zuletzt stark kommerziell genutzt. Bei vielen Handys erspart sie den Nutzern, Passwörter oder PIN-Code einzugeben.
Gesichtserkennung: Eine Million Einträge in weniger als einer Sekunde
Die heißeste Spur zu Klette hatte nicht die Polizei, sondern ein Team von Journalisten aufgenommen. Mithilfe einer Software, die Gesichter aus Millionen Fotos im Netz erkennt, waren sie auf eine Frau in Berlin gestoßen, die Klette ähnlich war, sie aber letztlich nicht gefunden. Erst nach der Festnahme stellt sich heraus, dass es sich bei der Frau tatsächlich um die Gesuchte handelte. Die Ermittlungsbehörden hätten eine solche Software nicht anwenden können, beklagt die Gewerkschaft der Polizei.
In Deutschland wird das polizeiliche Gesichtserkennungssystem (GES) zentral beim BKA geführt. Typischerweise fragt man an, wenn eine Person tatverdächtig und ihr Name unbekannt ist, aber ein Foto von ihr vorliegt. Der GES-Algorithmus recherchiert dann im zentralen Informationssystem der Polizei (INPOL-Z), ebenfalls beim BKA, nach Bildern und sucht nach der größtmöglichen Übereinstimmung. Dafür braucht GES bei einer Datenbank mit einer Million Einträgen weniger als eine Sekunde.
Bei INPOL-Z dürften rund sechs Millionen Porträtbilder gespeichert sein. Die Zahl ändert sich fortlaufend; neue werden hinzugefügt, alte entfernt. Im Falle Garwegs wäre die Methode schon deswegen erfolgversprechend, weil er offenbar anders als Staub und Klette nie erkennungsdienstlich behandelt wurde. Von ihm soll es keine Fingerabdrücke geben, aber immerhin: Fotos.
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Der nächste Schritt: Gesichtserkennung in 3D
Bei der Gesichtserkennung wird über eine Kamera das Gesicht einer Person aufgenommen. Zunächst wird es mittels PC digitalisiert. Eine spezielle Software erkennt das Gesicht und berechnet seine charakteristischen Eigenschaften, gerade Merkmale, die sich aufgrund der Mimik nicht ständig verändern: die oberen Kanten der Augenhöhlen, die Wangenknochen und die Seitenpartien des Mundes, wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie erläutert.
Das Ergebnis ist ein sogenanntes Template. Das vergleicht man nun mit Templates der Referenzbilder. Das läuft über ein Bildverarbeitungs- und Bildanalyseverfahren anhand eines Gitternetzes, das über das Gesicht gelegt wird. Die Templategröße beträgt bis zu 1300 Bytes. Inzwischen wird auch an einer 3D-Gesichtserkennung geforscht.
2020 berichtete die „New York Times“ über ein Unternehmen namens „Clearview AI“, das Bilder von 300 Millionen Menschen aus dem Internet und den sozialen Medien abgegriffen und in eine Datenbank überführt hatte – und mehr als 600 Behörden kauften umgehend die Dienste von Clearview ein.
Polizei: Mehr als 20.000 Recherchen im Jahr
In Deutschland sei der Abgleich im Rahmen einer richterlich angeordneten Öffentlichkeitsfahndung rechtlich zulässig, so das BKA. Rein technisch könnte man fortlaufend und massenhaft Menschen identifizieren, anlasslos und ohne jeden Verdacht, zum Beispiel jeden Passanten in einem Bahnhof, der von einer Überwachungskamera aufgenommen wird. Das hat die Bundespolizei auch schon mal im Bahnhof Berlin Südkreuz getestet. Allerdings betrug die Erfolgsquote nur 80 Prozent und die Datenschützer erhoben Protest.
„Biometrische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, aber auch durch Apps und Geräte gefährdet die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger“, sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber. Die Praxis greife tief in die Grundrechte ein. „Wer zum Beispiel bei Demonstrationen befürchten muss, trotz gesetzestreuem Auftreten identifiziert und gespeichert zu werden, der ändert möglicherweise sein Verhalten und geht nicht mehr demonstrieren.“
Anlässlich der neuerlichen RAF-Fahndung warnte der Deutsche Anwaltsverein am Montag erneut vor einer flächendeckenden Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung. Ein solcher Dauer-Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger sei nicht hinnehmbar.
Seit 2016 führten BKA, Bundespolizei und die Landespolizeien pro Jahr mehr als 20.000 Recherchen im GES durch. Das ist keine monströs große Zahl, aber die Dynamik ist interessant: Die Zahlen hatten sich zuletzt Jahr für Jahr verdoppelt.
Hoher Aufwand, relativ hohe Fehlerquote
Das BKA selbst rechnet mit einem weiteren Anstieg, weil es immer mehr digitale Aufnahmen gibt, etwa in den sozialen Netzwerken – und weil mit einem Handy jeder praktisch jederzeit fotografieren kann. Das heißt: Mehr Menschen stellen Bilder zur Verfügung, die Polizei kommt im Rahmen von Durchsuchungen an mehr Fotos ran, so wie bei Klette an Aufnahmen von Garweg.
Die bislang relativ niedrigen Zahlen liegen auch daran, dass GES aufwendig ist und nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage trifft. Es gibt drei Kriterien: „wahrscheinlich“, „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ und „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“. Es müssen meist jeweils ein Experte und Gutachter herangezogen werden, um das jedes Ergebnis der technischen Suche noch einmal visuell zu prüfen. Den hohen Identifizierungsgrad der Fingerabdruckerkennung, so Fahnder, erreicht die Gesichtserkennung ohnehin nicht.
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