Berlin. Von Beginn an spielen Frauen in der RAF eine besondere Rolle: Sie sind nicht nur Komplizinnen, sondern prägen die Identität der Gruppe.

Es wirkt ein wenig wie eine Ironie der Geschichte, dass sich mit der Festnahme der mutmaßlichen RAF-Terroristin Daniela Klette in Berlin ein Kreis schließt. Denn genau hier, in der damals geteilten Stadt, hat vor fast 54 Jahren die Geburtsstunde der Rote Armee Fraktion (RAF) geschlagen. Am 14. Mai 1970 befreiten die Journalistin Ulrike Meinhof und andere ihren Gesinnungsgenossen Andreas Baader bei einem Freigang aus der Gefängnishaft. Er war wie Gudrun Ensslin wegen einer Kaufhausbrandstiftung 1968 in Frankfurt, die er mit Protest gegen den Vietnam-Krieg begründet hatte, zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Bei der Aktion wurde ein Angestellter der Freien Universität angeschossen und verletzt, das erste Opfer der RAF. Am Tag danach veröffentlichte Ulrike Meinhof eine Art Grundsatzerklärung zum bewaffneten Kampf gegen den bundesdeutschen Staat. „Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine“, heißt es darin. „Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.“

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Fahndungsfotos der Polizei von 1972 zeigen Ulrike Meinhof (l.) und Gudrun Ensslin.
Fahndungsfotos der Polizei von 1972 zeigen Ulrike Meinhof (l.) und Gudrun Ensslin. © picture-alliance / dpa | Polizei/dpa

Es war der Beginn des RAF-Terrorismus, der die Bundesrepublik ein Jahrzehnt im Bann gehalten hat und noch einmal elf Jahre später mit dem Vorstandschef der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder 1991 sein letztes prominentes Opfer fand. Auf dem Höhepunkt der Terrorserie erschossen RAF-Mitglieder 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback und den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto. Es folgte die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, während palästinensische Verbündete der RAF die Lufthansa-Maschine „Landshut“ in ihre Gewalt brachten. Man sprach damals vom „Deutschen Herbst“, einer besonders düsteren Phase der bundesdeutschen Geschichte.

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RAF: Frauen waren in der Gruppe „aktive Kämpfer“

Am 20. April 1998 löste sich die RAF offiziell auf. „Heute beenden wir das Projekt“, hieß es lapidar in einer an diesem Tag veröffentlichten Erklärung. Insgesamt 34 Morde wurden von den Terroristen begangen, von denen eine ganze Reihe bis heute nicht wirklich aufgeklärt ist. „Das Kapitel RAF ist eine Ausnahme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewesen; weder davor noch danach hat es eine größere Herausforderung der politischen Ordnung gegeben“, konstatierte die Bundeszentrale für politische Bildung.

Zwei Einschusslöcher sind in dem Fenster zu sehen, durch das Detlev Carsten Rohwedder erschossen wurde.
Zwei Einschusslöcher sind in dem Fenster zu sehen, durch das Detlev Carsten Rohwedder erschossen wurde. © DPA Images | Hartmut Reeh

Dass mit Ulrike Meinhof eine Frau die erste prägende Gestalt der RAF war, gehört zu den Besonderheiten, die diese Terrorgruppe kennzeichnen. In keiner anderen politischen oder gar terroristischen Bewegung der deutschen Geschichte hatten Frauen eine solche Bedeutung wie hier. Neben Ulrike Meinhof spielten Gudrun Ensslin, Inge Viett, Susanne Albrecht, Brigitte Mohnhaupt und weitere Frauen zentrale Rollen. Dass nun aus der letzten Generation der RAF als erste wiederum eine Frau festgenommen wurde, passt zu dieser Geschichte. Der Hamburger Verfassungsschutzchef Josef Horchem sprach 1976 von einer bis dahin beispiellosen Zusammensetzung der Gruppe: „Frauen wirken nicht nur als Helfer, Informanten, Kundschafter, sondern als aktive Kämpfer.“

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Allerdings gab es in vergleichbaren Gruppierungen jener Jahre in Italien, Japan und den USA ähnliche Konstellationen. Eine wirkliche Erklärung dafür gibt es nicht. Freilich führte die in dieser Zeit ebenfalls aufkommende Frauenbewegung generell zu einer neuen Rollenverteilung in den westlichen Gesellschaften. Weshalb sollte es in Terroristenkreisen anders gewesen sein? Schon 1968 rebellierten die Frauen der Studentenbewegung gegen die Dominanz der Männer. Aber auch bei den in den 1980er Jahren in der DDR untergetauchten RAF-Aussteigern dominierten wiederum die Frauen.

BKA setzte 150.000 Euro für Hinweise zur Ergreifung aus

Daniela Klette gehörte mutmaßlich zur letzten Generation der RAF, die mit der Ermordung von Rohwedder und acht weiteren Personen in Verbindung gebracht wird und weitgehend schemenhaft geblieben ist. Die Mörder sind höchst professionell vorgegangen, sodass es den Ermittlern bis heute nicht gelungen ist, den jeweiligen Taten einzelne Personen zuzuordnen. Welche Rolle Klette hier gespielt hat, ist bislang unklar.

Der erste öffentliche Fahndungsaufruf gegen sie stammt aus dem Jahr 1993, als sie 34 Jahre alt war. Zu ihr gibt es eine Spur im Zusammenhang mit einem bewaffneten Überfall auf die US-Botschaft in Bonn vom 13. Februar 1991. In einem Fluchtwagen fand sich ein Haar Klettes, das erst zehn Jahre später mit Hilfe neuer Verfahren identifiziert werden konnte. Auch am letzten großen RAF-Anschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt 1993 dürfte sie beteiligt gewesen sein. Diese Taten sind aber verjährt. Aktuell werden ihr gemeinsam mit zwei weiteren Untergetauchten diverse Banküberfälle angelastet, die in den vergangenen Jahren offenbar allein der Geldbeschaffung für den Lebensunterhalt im Untergrund dienten. Sie lebten in perfekter Tarnung.

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Das Bundeskriminalamt fahndete seit 2015 nach der Gruppe, die sie in Niedersachsen vermutete. Insgesamt waren 150.000 Euro als Belohnung für Hinweise zu ihrer Ergreifung ausgesetzt. Dafür schufen die Behörden auch ein System, mit dessen Hilfe sich Personen anonym an die Ermittler wenden können. „Auch die Gesuchten selber können sich auf diesem sicheren Weg an die Staatsanwaltschaft wenden und Modalitäten eines etwaigen Sich-Stellens oder die Möglichkeit der Kronzeugenregelung besprechen“, heißt es in einem Aufruf der Staatsanwaltschaft.