Berlin. Die Verhaftung von Ulrike Meinhof sorgte in der linken Szene für Diskussionen. Was tun, wenn jemand aus der RAF um Unterschlupf bittet?
Zu keinem Zeitpunkt konnten die Terroristen der RAF ihrem Anspruch auch nur annähernd gerecht werden, die Arbeiterklasse der Bundesrepublik zum Kampf gegen das herrschende kapitalistische System zu mobilisieren. Doch während die meisten Menschen wenig im Sinn hatten mit den selbst ernannten Revolutionären, gab es in intellektuellen Milieus der Universitäten und der Kulturszene zumindest in den Anfangsjahren durchaus Sympathien für die gewaltbereiten Systemgegner.
Das begann schon mit der Frage, wie die Aktivisten der ersten Stunde genannt wurden: „Baader-Meinhof-Bande“ oder „Baader-Meinhof-Gruppe“? Wer den ersten Begriff wählte, bekannte sich zur staatlichen Sicht, zu den teils drastischen Maßnahmen von Politik, Polizei und Justiz zur Bekämpfung der linken Guerilla. Wer lieber von „Gruppe“ sprach, nahm eine mildere Position ein.
Kaum jemand in den linken Kreisen verteidigte wirklich die Anschläge und Morde der RAF. Was aber, wenn eines Tages jemand aus deren Reihen vor der Tür stehen und für eine Nacht um Unterschlupf bitten sollte? Würde man dann die Polizei rufen oder Schutz bieten? Das war ein Thema, das in den 1970ern in vielen Wohngemeinschaften, auf Partys und an den Esstischen der Linken heftig diskutiert wurde. Hintergrund waren die Umstände der Verhaftung von Ulrike Meinhof am 15. Juni 1972 in Hannover.
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Besonderheit RAF: Guerillakampf in einer Wohlstandsgesellschaft
Dort hatte in der Nacht zuvor eine ihm unbekannte Frau an der Wohnungstür eines zur linken Szene gehörenden Lehrers geklingelt und gefragt, ob zwei Personen für zwei oder drei Nächte bei ihm unterkommen könnten? Es war bekannt in der Szene, dass der Lehrer schon desertierten US-Soldaten Unterschlupf gewährt hatte. Und er sagte auch dieses Mal zu. Doch er ahnte den RAF-Zusammenhang und informierte die Polizei. Die nahm am nächsten Tag die zu der Zeit meistgesuchte Terroristin Ulrike Meinhof in der Wohnung fest. War das Verrat an einer Genossin? So wurde damals diskutiert.
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Große öffentliche Debatten löste 1977 der in einer Göttinger Studentenzeitung abgedruckte „Nachruf“ auf den kurz zuvor von der RAF ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback aus. Unter dem Decknamen „Mescalero“ schrieb dort ein anonymer Autor: „Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen.“ Während Politik und Medien empört reagierten, zeigte sich, dass der Text in weiten Kreisen der universitären Linken durchaus auf Zustimmung stieß – da hatte einer ein verbreitetes Empfinden formuliert.
Prominente Intellektuelle kritisierten die „gnadenlose“ Verfolgung der RAF
Der Historiker Wolfgang Kraushaar führte diese Haltung unter anderem auf den Reiz der Idee des bewaffneten Kampfes für radikale Linke zu einer Zeit zurück, in der eine pragmatische Reformpolitik von der sozialliberalen Koalition, also von Exponenten des ansonsten so verhassten Staates selbst, besetzt war. Auch das Geheimnisumwitterte des Untergrunds und das Außeralltägliche des Guerillakampfes in einer an Abenteuern arm gewordenen Wohlstandsgesellschaft hätten womöglich eine Rolle gespielt.
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Zugleich kritisierten aber auch prominente Intellektuelle wie der Schriftsteller Heinrich Böll die „gnadenlose“ Verfolgung der Terroristen durch die Behörden und Medien wie die „Bild“-Zeitung und das so aufgeheizte innenpolitische Klima. Auch sie gerieten dadurch in den Verdacht, Sympathisanten der RAF zu sein.