Berlin. Russland ist der Ukraine in der elektronischen Kriegsführung überlegen. Ein Experte erklärt, was China und die Nato damit zu tun haben.
Es ist nicht der Kampf zwischen Panzern und Artillerie, es ist der Krieg im Unsichtbaren. Es geht darum, feindliche Raketen durcheinanderzubringen oder angreifende Drohnen zu kapern. Russland und die Ukraine ringen um die Hoheit über elektromagnetische Wellen. Bisher hat die russische Armee von Machthaber Wladimir Putin die Oberhand in der elektronischen Kriegsführung. Das will die Ukraine dringend ändern. Die Nato zögert allerdings mit der Unterstützung.
„Die elektronische Kampfführung ist ein häufig übersehener Aspekt des Krieges, der aber extrem wichtig ist“, sagt der Militärexperte Nico Lange. Unterschieden wird im Fachjargon zwischen zwei Methoden: Jamming und Spoofing, Blocken und Täuschen. „Beim Jamming wird die Navigation des Waffensystems oder die Verbindung zum Drohnenpiloten gestört“, erklärt Lange, früher Chef des Leitungsstabs im Bundesverteidigungsministerium, im Gespräch mit dieser Redaktion.
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Es sei, wie mit einer „unsichtbaren Schere“ die Verbindung zu zertrennen, beschreibt der Kommandeur einer ukrainischen Drohneneinheit, Mykola Kolesnyk, in der „Financial Times“ ein solches Manöver. Dann kann eine Drohne übernommen und zerstört oder sogar sicher gelandet werden. Möglich ist auch, den Standort des ursprünglichen Drohnenpiloten zu lokalisieren – um zum Gegenschlag auszuholen. Die ukrainischen Streitkräfte zerstörten am Sonntag nach eigener Darstellung eine russische Leitstelle für Kampfdrohnen, von wo die Fluggeräte elektronisch zu Angriffen in der Ukraine gesteuert werden.
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Elektronische Kriegsführung: Feindliche Drohnen werden übernommen
Beim Spoofing wird das Navigationssystem auf eine falsche Fährte gelenkt. „Eine Rakete oder eine Drohne wird verwirrt und weiß nicht mehr, wo sie ist, somit findet sie ihr Ziel nicht“, erklärt Lange. Anstatt beispielsweise in einem Kraftwerk schlägt die Rakete in sicherer Entfernung ein. Statt Geschossen kommt elektromagnetische Strahlung zum Einsatz, statt mit Panzern oder Haubitzen wird mit Antennen, Satellitenschüsseln und Funkfrequenzen gekämpft.
Elektronische Kampfführung ist nicht neu. Wegen des massenhaften Einsatzes günstiger Drohnen auf beiden Seiten spielt sie im Krieg zwischen der Ukraine und Russland aber eine besondere Rolle. „Russland hat seit Anfang des Jahres über 330 Raketen verschiedener Typen und etwa 600 Kampfdrohnen auf ukrainische Städte abgefeuert“, erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich. „Luftverteidigung und elektronische Kampfführung haben für uns oberste Priorität.“
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In der elektronischen Kriegsführung ist die russische Armee auf dem neuesten Stand. Bereits vor dem Angriff auf die Ukraine vor fast zwei Jahren machte Russland in dem Bereich große Fortschritte und war so zu Beginn des Überfalls weit im Vorteil. Die Geräte der Ukraine zur elektronischen Kriegsführung stammten weitgehend aus der Sowjetzeit.
Experten: Russland ist in der elektronischen Kampfführung überlegen
Die Ukraine bekam von Deutschland und den anderen Partnern Präzisionsartillerie oder Raketenartillerie geliefert, die über GPS, also über Satellitennavigation, geleitet werden. Irgendwann fiel auf, dass etwa teure und für die Ukraine kostbare Raketenartilleriegeschosse vom Typ HIMARS immer öfter ihre Ziele verfehlten. Russland war es gelungen, diese Systeme zu stören.
Die Russen konnten zudem alle möglichen Typen ukrainischer Drohnen außer Gefecht setzen. Das russische Shipovnik-Aero-System gilt als besonders effektiv: Es sieht aus wie ein Laster mit mehreren großen Antennen auf dem Dach. Entlang der Frontlinie spannten die russischen Truppen ein enges Netz von Störsendern. Alle zehn Kilometer wurde eine solche Station installiert, um ukrainische Drohnen abzufangen, schreiben Experten der britischen Sicherheitspolitik-Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI) in einer Analyse. Russland knackte zudem verschlüsselte Kommunikation der ukrainischen Seite. „Das russische Militär erweist sich in diesem Bereich als äußerst fähig“, so die RUSI-Experten.
Der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj beschrieb im November in einem Aufsatz Russlands Übermacht in der elektronischen Kriegsführung, die notwendigen Geräte seien dort in der Truppe weit verbreitet. Obwohl Russland seit Kriegsbeginn viel Ausrüstung verloren habe, „verfügt es auch heute noch über eine deutliche Überlegenheit bei der elektronischen Kriegsführung“, räumte der Oberbefehlshaber ein. Die eigenen Fähigkeiten zu stärken, zähle daher zu den vordringlichsten Aufgaben.
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Ukrainischer Oberbefehlshaber Saluschnyj räumt Russlands Vorteil ein
Die Ukraine spricht inzwischen davon, mit dem landesweiten Abwehrsystem Pokrova besser aufgestellt zu sein. Das Land habe eigene Technik entwickelt und lerne ständig aus den Daten des Krieges, sagt Lange. „So ist es der Ukraine gelungen, die Navigationssysteme der russischen Marschflugkörper zu stören und diese fernab des eigentlichen Ziels zum Absturz zu bringen.“ Auch könne die Ukraine inzwischen viele der massenhaft vom Iran an Russland gelieferten Shahed-Drohnen außer Gefecht setzen.
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Ein wichtiger Punkt sind zudem die Kosten: „Der Einsatz elektromagnetischer Waffen ist auf Dauer viel billiger, als mit teuren Lenkflugkörpern Drohnen und Raketen abzuschießen“, so Lange. „Die elektromagnetischen Waffen kosten nach ihrer Herstellung eigentlich nichts mehr außer Strom.“ Auch die Produktion vieler elektromagnetischer Impulswaffen sei nicht so teuer. Juri Ihnat, Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, sagte kürzlich, die Gemeinden könnten selbst die Mittel für den Kauf elektronischer Geräte aufbringen, mit deren Hilfe die Sensoren der anfliegenden Drohnen gestört werden können.
Nato-Technik soll nicht Russland und China in die Hände fallen
Ein Nebeneffekt der ukrainischen Aufrüstung ist, dass das Abwehrsystem auch zivile GPS-Systeme stört. „Alle Systeme, die auf die Satellitennavigation angewiesen sind, werden bei der Aktivierung von Pokrova nicht nur innerhalb der Frontlinie, sondern fast in der gesamten Ukraine nicht mehr funktionieren“, schreibt das Sicherheitspolitik-Portal „Defense Express“. Autofahrer, die sich an Navigations-Apps gewöhnt haben, müssten dann auf herkömmliche Methoden zurückgreifen. Sprich, den Blick auf die Landkarte.
Die elektronische Kriegsführung ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Gelingt es der einen Seite aufzurüsten, zieht die andere nach, indem sie die eigenen Systeme besser schützt oder die des Gegners entschlüsselt. „Der Wettbewerb auf dem Gebiet der elektronischen Kampfführung geht schnell weiter“, beschreibt Militärexperte Lange den Kampf um die Hoheit auf dem elektromagnetischen Schlachtfeld. Er kritisiert, dass die Nato die Ukraine nicht mit ihrer modernsten Technik versorge.
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„Die Technik der Nato-Staaten im Bereich elektronische Kampfführung ist extrem sensibel und geheim“, sagt Lange. „Es besteht die Befürchtung, dass diese Technik den Russen und somit möglicherweise auch den Chinesen in die Hände fällt.“ Die Ukraine erhalte deswegen nicht die leistungsfähigsten Nato-Systeme. „Darüber sollten wir noch einmal nachdenken, wenn wir der Ukraine wirklich helfen wollen“, sagt Lange.
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