Berlin. Björn Höcke (AfD) könnte Ministerpräsident werden – auch ohne Mehrheit. Der Grund ist ein Schlupfloch in der Verfassung von Thüringen.
- Wird mit Björn Höcke im Herbst ein Rechtsextremist zum Ministerpräsidenten von Thüringen?
- Die Chancen dafür sind gering, denn dafür braucht der AfD-Mann eine derzeit nicht erkennbare Mehrheit
- Doch ein Schlupfloch in der Verfassung könnte ihm helfen
Bei den Landtagswahlen im September 2024 in Thüringen könnte der rechtsextreme AfD-LandeschefBjörn Höcke theoretisch Ministerpräsident werden. Insbesondere, wenn Linke und CDU sich nicht gegen den vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD-Landesverband zusammenraufen. Eine Unklarheit in der Thüringer Landesverfassung verursacht zusätzliche Unsicherheit.
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In Umfragen lag die AfD in Thüringen zuletzt zwischen 31 und 36 Prozent und wäre damit nach jetzigem Stand stärkste Kraft in Thüringen, vor der CDU mit 20, der Linken mit 15 bis 17 und der SPD mit 6 bis 9 Prozent. Die Grünen kämen auf 5 Prozent, während die FDP den Einzug ins Landesparlament verpassen würde. In Bezug auf das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) liefern Umfragen momentan noch widersprüchliche Ergebnisse. Das BSW könnte demnach zwischen 4 und 17 Prozent erhalten. Ausgehend von diesen Umfragewerten wird nun über mögliche Szenarien für die Wahl des Ministerpräsidenten debattiert.
Reichen die Stimmen der AfD, damit Höcke Ministerpräsident wird?
Die Wahl des Ministerpräsidenten oder der Ministerpräsidentin ist in der Thüringer Landesverfassung geregelt. Nachdem die Wahlberechtigten über die Zusammensetzung des Landtags abgestimmt haben, wählt dieser in bis zu drei Wahlgängen den Ministerpräsidenten. In den ersten beiden Wahlgängen braucht es dazu die absolute Mehrheit, mehr als fünfzig Prozent der Mitglieder des Landtags müssen also für den Kandidaten stimmen.
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Kommt diese Mehrheit aber nicht zustande, gewinnt dann in einem weiteren dritten Wahlgang der Kandidat, der „die meisten Stimmen erhält“, so die Verfassung. Diesbezüglich herrscht nun jedoch Unsicherheit, ob damit die relative Mehrheit gemeint ist – also schlicht der Kandidat gewinnt, der mehr Stimmen als jeder andere Kandidat erhält.
Halten die anderen Parteien in diesem Szenario an ihren jeweiligen Kandidaten fest, würden für Björn Höcke die Stimmen der AfD-Abgeordneten reichen, um Ministerpräsident zu werden, falls seine Partei bei der Landtagswahl zur stärksten Kraft geworden ist. Um einen Ministerpräsidenten Höcke zu verhindern, müssten sich im dritten Wahlgang also CDU und Linke auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten einigen. Das gilt angesichts der politischen Unterschiede der beiden Parteien bisher als schwierig. Wenn es von der Stimmzahl her reicht, könnte auch ein von CDU, SPD und Grünen getragener Gegenkandidat Höcke entgegentreten.
Partei | Alternative für Deutschland (AfD) |
Gründung | 6. Februar 2013 |
Ideologie | Rechtspopulismus, Nationalkonservatismus, EU-Skepsis |
Vorsitzende | Tino Chrupalla und Alice Weidel (Stand: April 2023) |
Fraktionsstärke | 83 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023) |
Bekannte Mitglieder | Jörg Meuthen (ehemals), Alexander Gauland, Björn Höcke |
CDU und Linke brauchen Gegenkandidaten
Was aber passiert, wenn im dritten Wahlgang nur noch ein Kandidat übrig ist, wird aktuell debattiert. Wenngleich dieser theoretisch mögliche Fall in der politischen Praxis höchst unwahrscheinlich ist. Gewinnt ein Kandidat, der als einziger im dritten Wahlgang antritt, auch, wenn er zwar relativ die meisten Stimmen bekommt, insgesamt aber eigentlich weniger Abgeordnete für ihn als gegen ihn stimmen? Könnte ein Ministerpräsident also theoretisch sogar gewählt werden, wenn er nur eine einzige Stimme erhält, es aber keinen Gegenkandidaten gibt?
Die Thüringer CDU-Fraktion lässt prüfen, wie der Paragraf auszulegen sei. Um Unklarheiten zu beseitigen, wird in dem Bundesland auch über eine Verfassungsänderung diskutiert. Der amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hält eine Verfassungsänderung dagegen für überflüssig. Es reiche, im dritten Wahlgang einen Gegenkandidaten aufzustellen, um dieses Szenario zu verhindern.
Dieselbe Regelung zur Ministerpräsidentenwahl findet sich in der Brandenburger Landesverfassung. Auch bei der Wahl zum Regierenden Bürgermeister in Berlin gewinnt im dritten Wahlgang der Kandidat mit den meisten Stimmen, also mit relativer Mehrheit. In diesen Bundesländern scheint der Paragraf jedoch nicht die gleichen Diskussionen auszulösen wie in Thüringen.