Berlin. Wer die Demokratie bekämpft, kann in seinen Grundfreiheiten eingeschränkt werden: etwa dem Wahlrecht. Doch Experten sind skeptisch.
Es ist ein wenig beachteter Artikel im Grundgesetz, der den Höhenflug einer Person stoppen könnte. Eine Person, die per Gerichtsentscheid ein „Faschist“ genannt werden darf: Björn Höcke. Es geht um Artikel 18: die Möglichkeit per Grundgesetz, einem Menschen bestimmte Grundrechte zu entziehen. Artikel 18 gilt neben dem Parteienverbot (Artikel 21) und dem Widerstandsrecht (Artikel 20) als ein letztes Mittel der Demokratie, wehrhaft gegen ihre Feinde zu bleiben.
Höcke ist eine der zentralen Figuren in der Alternative für Deutschland (AfD), er ist Landeschef und Fraktionsvorsitzender der Partei in Thüringen, in Umfragen liegt seine Landespartei weit vorne. Der Verband gilt den Sicherheitsbehörden als „gesichert rechtsextrem“, Höcke ist Rechtsextremist, Aussagen und Schriften von ihm belegen das.
Nun sammelt die Kampagnen-Netzwerk „Campact“ online Unterschriften, mit der sie Druck auf die Politik ausüben will. Höcke könnte per Gerichtsentscheid in seinen Grundrechten beschränkt werden, etwa dem aktiven und passiven Wahlrecht oder der Meinungsfreiheit. Und so politisch kaltgestellt werden, weil er selbst nicht mehr zur Wahl antreten darf?
Artikel 18: Mit der Verfassung die Verfassungsfeinde bekämpfen
Die Unterschriftensammlung „Höcke stoppen!“ hat mittlerweile knapp eine Million Unterzeichnerinnen und Unterzeichner. Zum Vergleich: Nur 50.000 wären notwendig, damit sich der Bundestag mit einer Petition befasst. Über den teilweisen und temporären Entzug von Grundrechten kann am Ende jedoch nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Einen Antrag können der Bundestag, die Bundesregierung oder eine Landesregierung stellen – in den Parlamenten reicht eine einfache Mehrheit.
In Artikel 18 des Grundgesetzes heißt es genau: Wer „die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit“, aber auch andere Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit und das Asylrecht „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte“. Es geht also nicht um das Strafrecht, bei dem sich ein extremistischer Politiker etwa der Volksverhetzung schuldig macht. Es geht um Hebel der Verfassung, mit denen eben diese Verfassung geschützt werden soll gegen „aktive“ und „aggressive“ Versuche ihrer Feinde, sie zu zerstören.
Ein solches Verfahren gilt als juristisch weniger komplex als ein Parteiverbot. Die Folgen für den AfD-Politiker wären dennoch weitgehend. Würde der Antrag vor Gericht durchgehen, könnte Höcke eine Kandidatur zur Landtagswahl in Thüringen im Spätsommer untersagt werden. Demonstrationen, die er anmeldet, könnten behördlich verboten werden.
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In der Vergangenheit allerdings scheiterten Anträge. Viermal wurde versucht, einem Rechtsextremisten die Grundrechte zu verwirken, etwa dem Publizisten und Verleger Gerhard Frey. Das Verfassungsgericht aber winkte ab, etwa weil es die Bedeutung der Person für die Gefährdung der Demokratie nicht sah. In anderen Fällen ließ es die Anträge gar nicht erst zu.
Höcke Freiheiten entziehen: Verfassungsrechtler sind skeptisch
Zwar sehen einzelne Juristen durchaus eine Chance in dem Verfahren, da Höcke seine demokratiefeindlichen Ziele mehrfach auch in öffentlichen Reden präsentiert hat. Die Initiatoren der Unterschriftensammlung verweisen auf die deutsche Geschichte: Die „Mütter und Väter des Grundgesetzes haben im Bewusstsein der Erfahrungen während der Weimarer Republik Instrumente bereit gelegt, um sich gegen Verfassungsfeinde zu wehren“.
Und doch sind mehrere Verfassungsrechtler skeptisch – zum einen, was die Durchsetzung des Vorhabens gegen Höcke angeht. Zum anderen, was die Auswirkungen auf den AfD-Politiker und die Partei betrifft. Praktisch gelten weiterhin Landesgesetze für Höcke, etwa bei Anmeldung von Demonstrationen. So seien die Möglichkeiten der Behörden, gegen den Rechtsextremisten vor Ort vorzugehen, begrenzt. Und selbst bei einem rechtlichen Erfolg gegen Höcke könnte ein solcher Beschluss die Anhänger der Partei zusammenschweißen und Höckes Rolle in der AfD stärken.
Verfassungsrechtler Jochen Rozek sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Die freiheitliche Demokratie vertraut grundsätzlich darauf, dass die Demokratinnen und Demokraten für diese Grundordnung eintreten und ihre Ablehnung von Bestrebungen, die sich gegen diese Ordnung richten, deutlich zum Ausdruck bringen“, sagt der Professor der Universität Leipzig. „Demokratie setzt auf politische Debatte und politischen Streit, und nicht in erster Linie auf Verbote und Rechtsentzug.“
Die Zeit wird eng für die Höcke-Gegner: Schon im Spätsommer wird in Thüringen gewählt
Dennoch kenne die streitbare Demokratie mit Grundrechtsverwirkung und Parteiverbot „Reaktionsmöglichkeiten“, wenn Einzelpersonen oder eine Partei diese Grundordnung „aktiv und aggressiv“ bekämpfen. Rozek hebt hervor: „Doch auch das hat letztlich Grenzen: Eine Demokratie wird stets auf Mehrheiten bauen müssen. Und wenn eine extremistische Partei Mehrheiten für ihre Politik erreicht, wird ein Verbot jedenfalls politisch immer schwieriger.“
Selbst wenn nun eines der Parlamente in Deutschland einen Antrag nach Artikel 18 gegen Björn Höcke stellt, würde eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Bis dahin hat Thüringen längst gewählt. Björn Höckes AfD steht derzeit in Umfragen bei mehr als 36 Prozent der Stimmen.
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