Tel Aviv. Den Verschleppten läuft die Zeit davon. Ihre Verwandten kämpfen verzweifelt für ihre Rückkehr und haben Forderungen an die Regierung.
Israelische Soldaten erschießen versehentlich drei Geiseln. Die Armee birgt in einem Tunnelsystem der Hamas die Leichen von fünf anderen Geiseln. In den vergangenen Tagen haben sie nur schlimme Nachrichten gehört. Trotzdem wollen Shemi und Yael Calderon die Hoffnung nicht aufgeben, Ofer lebendig wiederzusehen. „Wegen dieser Hoffnung stehen wir hier“, sagt Shemi. Wie jeden Abend haben sich auch an diesem Montag Angehörige und Freunde der verschleppten Menschen in Tel Aviv vor dem israelischen Verteidigungsministerium versammelt. Sie blockieren die Ausfahrt, halten Schilder mit den Bildern der Entführten hoch, rufen ihre Namen. Die Hoffnung aber schwindet. Ofer Calderon und die anderen sind seit über achtzig Tagen Gefangene der Hamas.
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Bei ihrem beispiellosen Terror-Überfall am 7. Oktober auf Gemeinden nahe dem Gazastreifen ermorden die Kämpfer der Hamas und des Islamischen Dschihads nicht nur über 1200 Menschen, sie nehmen auch 240 Geiseln. Das Schicksal der Entführten bewegt ganz Israel. Ende November lässt sich die israelische Regierung auf eine Waffenruhe und einen Deal mit der Hamas ein. Über einhundert Geiseln, vor allem Frauen und Kinder, kommen im Austausch gegen inhaftierte Palästinenser frei. 129 Entführte sollen noch immer in der Gewalt der Terroristen sein, versteckt irgendwo im weitverzweigten Tunnelsystem unter dem Gazastreifen. Die israelische Armee geht davon aus, dass mindestens zwanzig dieser Entführten bereits tot sind.
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In Tel Aviv sind die Entführten allgegenwärtig. Überall kleben Sticker, hängen Poster mit ihren Namen, immer verbunden mit der Parole: „Bring Them Home“ – bringt sie nach Hause. Aber die Plakate vergilben. An der Kaplan-Straße im Herzen der Stadt ist die Mahnwache nahezu verwaist, an der sich in den ersten Tagen nach dem schwarzen Samstag Hunderte versammelt hatten.
Den Geiseln läuft die Zeit davon
Das Leben in Tel Aviv hat sich längst wieder normalisiert. Der Luftalarm gellt nur noch selten. Es ist, als gerate der Krieg in Vergessenheit. Auf dem Platz vor dem Museum halten sie die Erinnerung an die Verschleppten aufrecht. Ein langer Tisch, gedeckt, aber leer. Pavillons, in denen Aktivisten T-Shirts mit der Parole „Bring Them Home“ und Erkennungsmarken verkaufen. Kunstwerke. Zelte, in denen Menschen aus jenen Kibbuzen ausharren, die am 7. Oktober überfallen wurden.
Gegenüber liegt das Verteidigungsministerium. Hier demonstrieren die Angehörigen und ihre Freunde jeden Abend. „Wir wissen nicht, was hinter den geschlossenen Türen geschieht. Aber wir verlangen, hoffen und glauben, dass die Regierung die Geiseln alle zurückbringen kann“, sagt Yael Calderon. Sie ist die Cousine von Ofer Calderon, 53, der zusammen mit seinen Kindern Sahar, 16, und Erez, 12, aus dem Kibbuz Nir Oz entführt wurde. Die Kinder sind seit dem 27. November wieder zu Hause. Körperlich gehe es ihnen gut, psychisch nicht, sagt Yael. Ofer ist noch immer gefangen. Yael hat Angst um ihn: „Wir wissen, dass die Bedingungen für die Geiseln katastrophal sind.“ Was die Regierung unternimmt, um die Entführten nach Hause zu bringen, ist ihr egal. „Wir wissen nur, dass wir sie alle wieder zu Hause haben wollen.“ Sie wissen: Den Geiseln läuft die Zeit davon.
Viele von denen, die sich auf dem Platz vor dem Tel Aviver Museum versammeln oder vor dem Verteidigungsministerium stehen, fordern eine zweite Waffenruhe und erneute Verhandlungen mit der Hamas. Die Chancen dafür stehen schlecht. Während Yael und die anderen vor dem Verteidigungsministerium demonstrieren, macht der israelische Ministerpräsident in der Knesset deutlich, dass er sich nicht auf eine erneute Waffenruhe mit der Hamas einlassen will.
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„Wir werden jeden Baum schütteln und jeden Stein umdrehen, um unsere Geiseln nach Hause zu bringen“, verspricht Benjamin Netanjahu Angehörigen, die zu einer Sondersitzung in das israelische Parlament gekommen sind. Er sagt aber auch, man werde die Freilassung der Geiseln nicht ohne militärischen Druck erreichen. „Und deshalb gibt es eines, was wir nicht tun werden – wir werden nicht aufhören zu kämpfen.“ Manche der Angehörigen buhen Netanjahu während seiner Rede aus, berichten israelische Medien.
Viele Menschen unterstützen die harte Linie
In der israelischen Bevölkerung aber gibt es viele Menschen, die die harte Linie des Ministerpräsidenten unterstützen. Sie wollen Sicherheit. Sicherheit, so sagen viele Gesprächspartner in diesen Tagen in Israel, könne es aber nur geben, wenn die Hamas zerschlagen wird. Die Führung der Hamas wiederum verkündet am Montag, sie werde erst über eine Freilassung der Geiseln verhandeln, wenn es einen dauerhaften Waffenstillstand gebe.
Der Aktivist Amid, Mitte dreißig, hält ein Ende des Krieges für die einzige Lösung, um die Geiseln nach Hause zu bringen. Auch er steht am Montag vor dem Verteidigungsministerium. „Es ist unmöglich, sie mit militärischen Operationen zurückzubringen. Sie werden sterben. Sie werden entweder von israelischen Bomben getötet oder von der Hamas ermordet werden.“
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